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Der älteste 31-Jährige, den der Fußball hervorgebracht hat
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| Donnerstag, 24. Juni 2004Luís Figo, der einstige Torjäger, braucht nichts dringender als ein Tor
Wie alt ist Luís Figo, Stefan Willeke (Zeit 24.6.)? „Auf dem Podium im Pressezelt gibt ein Mann Auskunft, der nicht über sich Auskunft geben möchte. Dies tut er auf Portugiesisch, Spanisch, Englisch, Italienisch und Schwedisch, ein Mann von Format. Draußen, im Hinterland von Lissabon, liegt das Trainingscamp der portugiesischen Nationalelf auf abgeschiedenem Gelände, großflächig mit Korkeichen dekoriert. Drinnen im Zelt ein Weltstar, an dem die Welt seit dieser Europameisterschaft zu zweifeln beginnt. Luís Figo, der Anführer der „Goldenen Generation“ in der portugiesischen Nationalelf, jener Generation, die 1991 in Lissabon als U-20-Juniorenauswahl Weltmeister wurde. Luís Figo will seinem Land noch einmal beweisen, zu was es imstande sein kann. Portugal hat es ins Viertelfinale geschafft, aber Luís Figo, der einstige Torjäger, braucht nichts dringender als ein Tor. Darüber allerdings will er nicht sprechen. Luís Figo sitzt verkniffen auf einem Stuhl, als müsse er verbergen, dass ihm gerade ein peinliches Malheur passiert ist. Luís, wie siehst du selbst deine Leistung während der EM? Erst schweigt er ein paar Sekunden lang, dann sagt er: „Ich bin sehr glücklich mit mir.“ Heldenhafter kann kein anderer Nationalspieler lügen. (…) Auf einem Foto in einer Ecke der Hafenbar grinst Paulo China zwischen Luís Figo und David Beckham. Figo trägt einen sandfarbenen Sommeranzug, Beckham hat eine Wollmütze aufgesetzt. Figo sieht aus wie der älteste 31-Jährige, den eine Fußballmeisterschaft je hervorgebracht hat. Ein Gesicht wie aus einer Zeit, als noch Jean-Paul Belmondo und Clint Eastwood Hauptrollen abkriegten. (…) Luís Figo war elf Jahre alt, als der Gaslieferant Mário Ferreira ihn erstmals spielen sah, hier, auf dem Betonplatz vor dem Hochhaus, aus dessen Fenstern Leinen mit aufgespannter Wäsche baumeln. Neben dem Spielfeld fraßen sich damals Ratten durch Müllbeutel, als der hakenschlagende Luís den Gaslieferanten Ferreira so sehr beeindruckte, dass Ferreira Spielerbeobachter vom berühmten Club Benfica Lissabon herholte. „Zu schmächtig“, urteilten die Besucher über Figo, und der Junge durfte bei dem Straßenfußballverein anfangen, den Mário Ferreira mitgegründet hatte, bei Os Pastilhas, einem winzigen Club ohne Tradition und ohne eigenen Platz. Os Pastilhas, Pastillen – ein Apotheker war unter den Gründern. Später ging Figo zu Sporting Lissabon, von dort aus zum FC Barcelona, danach zu Real Madrid. „Luís ist berühmt geworden, aber er ist von hier“, sagt Ferreira. Ein liebenswerter, hagerer Mann mit ovalem Kopf spricht über den großen Traum eines kleinen Landes. Es gibt eigentlich keine Verbindung zwischen diesem aschgrauen Viertel und den weiß lackierten Segelyachten im Hafen von Vilamoura. Luís Figo aber, dieser Teufelskerl, habe einen schmalen Pfad entdeckt. Auch deswegen verehren sie ihn in Cova da Piedade noch stärker als im übrigen Land. Ein kitschiges Märchen mit einem schönen Prinzen namens Figo, eine verspielte Variante des unausrottbaren Tellerwäscher-Mythos, so aufdringlich bebildert, dass man zunächst nichts davon glauben will. Aber manche Wahrheiten bleiben kitschig, egal, wie lange man sie dreht und wendet. In diesem ballverliebten Land, das Geld und Prestige nach wie vor sehr ungleich verteilt, taugt auch ein abgekämpfter Figo als Anspielung auf ein besseres Leben.“