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Zentralorgan der Deutschenhasser
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| Donnerstag, 24. Juni 2004Während in Lissabon angepfiffen wird, blättern die Kurgäste gelangweilt in alten Illustrierten
Deutschland spielt gegen Tschechien, und Karl-Peter Schwarz (FAZ/Medien 25.6.) könnte sich in den Hintern beißen, dass er schon vor Wochen seine Teilnahme an einer politischen Veranstaltung zugesagt hat: „Hotel Radium Palac, Jachymov (Joachimsthal), Nordwestböhmen. Die Parkwächter sehen ganz so aus, als hätte sie Kundera für einen Roman hier abgestellt und dann einfach vergessen. Es regnet nicht, es schüttet. Natürliche Strahlung über dem ehemaligen Uranbergwerk etwa so stark wie neben dem Temelin-Reaktor nach dem 176. Austritt des Kühlwassers. Während in Lissabon angepfiffen wird, blättern die Kurgäste gelangweilt in alten Illustrierten. Im Festsaal tagt das Comenius Forum Erzgebirge, eine ehrenwerte deutsch-tschechische Initiative – an dem Abend, an dem tschechische Kicker deutsches Schicksal besiegeln. Man hat das unangenehme Gefühl, der beruflichen Pflicht nachzukommen und dennoch am absolut falschen Platz zu sein, jedenfalls nicht dort, wo die Kugel rollt; noch dazu unter Leuten, denen es völlig gleichgültig zu sein scheint, wo sie einschlägt. Da wird nicht gevöllert, nicht einmal nachher am Buffet. Statt dessen wird ernstlich darüber nachgedacht, was sich die Deutschen von der EU erwarten und was die Tschechen. Ein journalistischer Betriebsunfall, vorhersehbar, aber unausweichlich, denn die Zusage, an der Veranstaltung teilzunehmen, hatte man schon vor Wochen gegeben. Kurt Biedenkopf kramt in sächsisch-böhmischen Erinnerungen. Václav Havel, erzählt er, habe ihn einmal darauf aufmerksam gemacht, daß die Tschechen ihre Identität über die Deutschen definierten. Da die kleinen Tschechen, dort die riesigen, starken Deutschen, ein hochneurotisches Verhältnis. Aber das muß schon lange her sein. Heute definiert sich über die Deutschen hier keiner mehr. Nicht einmal auf die Kollegen von „Pravo“, dem Zentralorgan der Deutschenhasser, kann man sich noch verlassen. Für ihre Donnerstagausgabe zogen sie eine elegante schmale Zeile über den Titel, in einer Schrift, die ohne Brille kaum noch zu entziffern ist. Darin wird knapp und präzis das krude Faktum vermerkt: „Wir haben die Deutschen nach Hause geschickt.““
Es war ein Spiel, was eine junge Katze mit einer alten Maus treibt
„Langsam macht sich die Erkenntnis breit, dass der Fußball hierzulande die schwerste Zeit wohl noch vor sich hat“, resigniert Holger Gertz (SZ/Seite 3 25.6.): „Mittwochnacht fahren Fans in dieser U-Bahn, die das Deutschland-Trikot tragen, das schwarze, hintendrauf gedruckt ihre Namen: Plautze, Ralle, Steini. Richtig deutsche Spitznamen, solche, mit denen man auf dem Fußballplatz seinen Mitspieler ruft. Wie die drei wirklich heißen, ist nicht wichtig. Plautze, Ralle und Steini könnten Klaus, Herbert und Hans sein, oder Olaf, Peter und Michael: Fans, die der Nationalmannschaft folgen, auch in den Untergang. Steini sagt, man könne ja nicht wirklich böse sein, die Spieler hätten sich angestrengt und alles. Und Ralle sagt: „Es war auch Pech dabei.“ Die Bahn fährt, die gekachelten Wände der Stationen ziehen vorbei, Cidade Universitária, Entre Campos, irgendwo kullert eine Cola-Dose durch den Gang, ohne Halt zu finden. Man hört das kalt scheppernde Geräusch, während einer Heimfahrt in aller Stille. Ralle sagt: „Wir haben ja keine Besseren.“ Es sind ungewöhnliche Fans, hilflos, ratlos und sehr schweigsam. Zwischen Depression und Annahme des Schicksals. Es sind deutsche Fans in der Lissaboner U-Bahn, noch fahrend, aber schon angekommen in der Realität. Ralle sagt: „Die Tschechen waren einfach besser.“ Zwei Stunden vorher war passiert, was die meisten ihrer Glaubensgenossen daheim wahrscheinlich befürchtet, aber irgendwie doch nicht geglaubt hatten. Raus in der EM-Vorrunde, 1:2 verloren hatte die deutsche Nationalmannschaft gegen die Tschechen, gegen deren B-Mannschaft, die Besten wurden für die nächste Runde geschont. Es war ein Spiel, was eine junge Katze mit einer alten Maus treibt. Eigentlich hat die Katze die Maus schon sicher, die deutsche Maus, aber aus Spaß jagt sie sie noch ein bisschen rum und packt irgendwann zu. Die Tschechen wechselten in der zweiten Halbzeit zwei ihrer Spieler aus dem A-Team ein, den Mittelfeldmann Poborsky und den Stürmer Baros. Kurz darauf schoss Baros das 2:1, sie hatten ihre Arbeit erledigt, zweckmäßig, effektiv und schön, einfach ihre Arbeit, und eine größere Demütigung für das deutsche Team wäre es nur noch gewesen, wenn der Tschechencoach Karel Brückner die zwei aus dem A-Team nach dem Tor, nach vollbrachter Vollstreckung, wieder ausgewechselt hätte. Als alles vorbei war, fielen einem zwei Bilder besonders auf. Der deutsche Torwart Oliver Kahn, wie er nach dem Spiel über den Platz geht, um sich von den Schiedsrichtern zu verabschieden. Im WM-Finale vor zwei Jahren trug er sein Haar kurz, eine Titanenfrisur, von entschlossener Klinge getrimmt. Jetzt stand ihm das Haar ungeordnet nach allen Seiten. Die Spannung war weg, auch bei ihm, und als er zu den Schiedsrichtern trottete, mit einem weißen Handtuch über den Schultern, sah er aus wie ein Bademeister nach Dienstschluss. Das zweite Bild, die deutschen Fans in der Kurve: klatschten ihren Fußballern zaghaft Beifall, ein Applaus wie in Zeitlupe. Wenig Pfiffe, dann ging der Teamchef Rudi Völler – der inzwischen keiner mehr ist – Richtung Tribüne und applaudierte mechanisch zurück, während unten, auf der anderen Seite des Spielfelds, die Tschechen sich mit Wasser vollspritzten. Die Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross hat den Prozess des Trauerns in fünf Phasen unterteilt, sie heißen Leug-nen, Wut, Feilschen und Verhandeln, Depression und schließlich Annahme des Schicksals. Auf die Fans und den Fußball und die Nationalmannschaft bezogen – immer vorausgesetzt, dass es sich hier um einen Trauerfall handelt – bedeutet das: Man leugnet, dass es vorbei ist mit der Nationalmannschaft und verweist auf deren Wiederauferstehungspotential als so genannte Turniermannschaft. Leugnen ist wichtig, damit einen der Schmerz nicht frisst. Dann, die Wut: Warum spielen wir so viel langsamer, so viel langweiliger als alle anderen? Ausgedrückt durch lautes Pfeifen und wütendes Trommeln auf Gegenstände. Feilschen und Verhandeln: Die Tschechen werden nicht konzentriert sein, sie sind schon in der nächsten Runde, sie haben sich müde gefeiert. Depression schließlich: Hamann hat keine Strategie, Nowotny keine Schnelligkeit, dafür inzwischen fast eine Halbglatze. Der Stürmer Kuranyi trifft nicht, aber auf der Bank sitzt nur der Stürmer Klose von einem Fastabsteiger, der Stürmer Bobic von einem Fastabsteiger, der Stürmer Brdaric von einem Fastabsteiger, der Stürmer Podolski von einem Absteiger. Depression führt zum vorübergehenden Verlust von Spaß an Aktivitäten, die einem sonst gefallen. Also: die Fans rollen ihre Fahnen ein. Am Ende des Trauerprozesses, nach vielen Kämpfen: die Annahme der Realität. Oder, wie Steini das nach dem Spiel in der U-Bahn sagen wird, Steini mit dem schwarzen Hemd: „Unsere Mannschaft ist nicht gut genug fürs Viertelfinale.““
Niederlagen auf dem Fußballplatz sind offenbar keine nationalen Katastrophen mehr
Stefan Reinecke (taz/Politik 25.6.) bewundert die Gelassenheit Deutschlands: „Wir haben verloren – wegen Pech, wegen Unvermögen, weil die anderen halt besser waren. Und genau so scheint das nationale Kollektiv die Niederlage zu betrachten. Man leidet an diesem Scheitern gemeinsam und auf auf eine sehr vernünftige, erwachsene Art (zumindest jenseits der Redaktionszimmer der Bild-Zeitung). Niederlagen auf dem Fußballplatz sind offenbar keine nationalen Katastrophen mehr. Vorbei die Zeit als Berti Vogts, wie 1998, sinistre Mächte für das WM-Aus verantwortlich machen musste. Und nichts von dem Absturz in die Depression nach dem schrecklichen 0:3 gegen Portugal 2000. Die Deutschen haben verlieren gelernt. Das zeigt auch der Rücktritt von Rudi Völler. Er will nicht mehr – und alle verstehen ihn. Nichts von der Häme, mit der Erich Ribbeck und zuvor Berti Vogts bedacht worden waren. Deutschland kann verlieren, ohne dass der emotionale Notstand ausgerufen wird. Das ist die gute Nachricht in der schlechten. Die Fähigkeit von Kollektiven, Niederlagen, die das eigene Selbstbild empfindlich stören, zu ertragen, ohne Revanchegelüste und den Zwang, Schuldige dingfest zu machen, zeigt ein erfreuliches ziviles Niveau an. (…) Die Deutschen haben bei EM und in den Wirtschaftsstatistiken der EU keinen naturgegebenen Anspruch auf Sieg mehr. Zumindest beim Fußball dürfte sich das auch nicht so schnell ändern. Mit der Industriearbeit scheint in Deutschland auch der proletarische Volkssport Nummer eins auf dem absteigenden Ast zu sein. Die Jugend fährt lieber Skateboard. Die stählerne Verknüpfung von Nationalgeschichte und Fußball, die seit 1954 existiert, lockert sich. Das Echo auf diese Niederlage zeigt, dass die Deutschen pragmatischer und gelassener geworden sind. Sie verstehen, dass sie nicht mehr die Besten sind – und auch nicht mehr sein müssen. Parallel dazu ist ein ebenso erfreuliches Verblassen der früher rituell alle Jahre inszenierten Feuilletondebatte, was eigentlich deutsch ist, zu beobachten. Auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Diskurse steht auch der ewige „linke“ Gegenaffekt, der die deutsche Elf verlieren sehen will. Das antideutsche Ressentiment war stets eng an den verbohrten Nationalismus gekoppelt, als dessen Gegenteil es sich verstand. Beides gehörte lange zur mentalen Grundausstattung der Republik. Beides verschwindet nun. An seine Stelle tritt ein relaxter Wirklichkeitssinn, der die eigenen Omnipotenzträume ohne Hysterie mit der Einsicht in die eigenen Möglichkeiten abgleicht. Was soll daran falsch sein?“
Seit ich denken kann, ist Deutschland an sich selbst enttäuscht
Dagegen wirft Robin Alexander (taz/Politik 25.6.) ein: „Immer siegen macht dumm. Immer verlieren aber auch. Seit ich denken kann, ist Deutschland an sich selbst enttäuscht. Selbst die Ironie, die letzte Phase vor der Verzweiflung, scheint mittlerweile aufgebraucht. Die objektiv falsche Vorstellung, alles ginge den Bach herunter, wird in diesem Land gepflegt. Gestern erschien der Stern mit dem Cover: „Wir sind besser, als wir glauben.“ So machen sich notorische Verlierer Mut. Deutsche Niederlagen als Normalisierung zu beschreiben ist irrig: In der Krise wird Deutschland ja nicht europäischer. Im Gegenteil. Umfragen zeigen, unsere Nachbarn werden immer gelassener, wir werden immer selbstmitleidiger. Auch die Krise der Wirtschaft macht diese ja nicht den anderen, erfolgreicheren europäischen Ökonomien ähnlicher. Wenn sich – wie angeblich in den fernen Zeiten der Erfolge – die gesellschaftlichen Verhältnisse tatsächlich auf dem Fußballplatz abbilden würden: Wo wird der deutsche Fußball denn normal? Es ist nicht normal, keine Stürmer zu haben, die Tore schießen können. Es ist nicht normal, dass Angst alle Kreativität erstickt. Europa wundert sich über Deutschland, das es immer weniger versteht: Wie sich dieses Land in seine Niederlagen fügt.“
Mehr Schrecken geht nicht
Benjamin Henrichs (SZ/Medien 25.6.) stöhnt über Reinhold Beckmann: „Es war ganz kurz vor Spielschluss, als der Reporter endgültig das Land des Grauens betrat. „Jetzt ist also“, sagte Reinhold Beckmann, „die Reformdiskussion auch im deutschen Fußball da.“ Er sagte es nicht etwa ironisch, sondern staatsmännisch-tragisch. Und da wusste der Mensch vor dem Bildschirm, dass er auch aus diesem Elysium vertrieben wird: aus dem Fußballparadies, dem wohl letzten Ort, an dem man sich noch sicher fühlte vor der würgenden, alles verschlingenden deutschen Reformdebatte. Jetzt muss eine Regierungserklärung zum Fußball her, sonst: Schröder raus! Jetzt müssen Hartz und Rürup wieder ran. Jetzt muss der Bundespräsident zum deutschen Fußballvolk sprechen, oder besser: beide Bundespräsidenten, Rau und Köhler zusammen. Und auch von Roman Ruck-Herzog wollen wir unbedingt ein Wörtlein hören. Und in allen Feuilletons der Republik müssen alle Schwerdenker des Landes gemeinschaftlich zur Großen Fußballdebatte antreten. Damit Deutschland endlich wieder auf die Beine kommt! Es wird fürchterlich werden, aber es muss sein. Denn der Deutsche ist kein Italiener. Der Italiener kann jetzt, wie der Kollege vom Corriere dello Sport, einfach losbrüllen: „Wir brauchen eine totale Revolution!“ Wir, so viel ist sicher, wollen keine Revolution, sondern die totale Reformdiskussion. Nebst der dazugehörigen totalen Teamchefdiskussion. Nebst der Frage: Was tut Mayer-Vorfelder? Mehr Schrecken geht nicht.“
Jürgen Roth (FR 25.6.) stöhnt über Johannes Kerner und dies und das: „Allerdings erfüllt das auch von einem gewissen J. Kerner permanent im Mund spazieren geführte Wort „Euro“ einen stilistischen Straftatbestand oberster Güte. Es heißt: Europameisterschaft. Ist das so schwer? „Im tristen, langweiligen Europa“, so Viegas, „brauchen wir eine radikale Schönheit, die stärker ist als die Macht der Europäischen Bank.“ Und eine Sprache, die ein langes, schönes Wort nicht durch einen Währungsnamen oder eine kapitalistische Effizienzabbreviatur ersetzt, zum Henker! „Das Fernsehen“, klagte Viegas hellsichtig, „hat den Fußball eben auch ziemlich massakriert.“ Deutlich wird das an einer fetischistischen, trotz ihres Tempos entscheidende Spielszenen verschlafenden Wiederholungs- und Zeitlupendramaturgie – sowie an eingeblendeten Graphiken, die einerseits dem Kitsch des Herzens huldigen (Logo), andererseits zuweilen sogar die Aktionen verdecken. „Gallas humpelt sich hier unter der Schrifteinblendung ins Spiel zurück“, meckerte Reinhold Beckmann kürzlich zu Recht. Überhaupt: Was ist denn das für eine portugiesische Spielstandeinblendung? Dieser gekrümmte, gold-braune Balkenprotz am unteren Bildrand? Ein folkloristisches Emblem, eine südeuropäische Variante des Gelsenkirchener Barock? Prangen 2006 Graphiken in Hirschgeweihform auf dem Schirm?“
Fritz Tietz (taz 25.6.) über das Zuschauertelefon von ARD und ZDF