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Sexuelle Anspielungen mag er am liebsten

Oliver Fritsch | Donnerstag, 24. Juni 2004 Kommentare deaktiviert für Sexuelle Anspielungen mag er am liebsten

„man ahnt, wie sehr Michael Owen unter den unerfüllten Erwartungen leidet, vor allem den eigenen“ (FR) – David Beckham und Luís Figo, „die Herren Diener“ (FAZ) u.v.m.

Scolaris Aussagen sind oft doppeldeutig, sexuelle Anspielungen mag er am liebsten

Ralf Itzel (FR 24.6.) lacht über Luis Felipe Scolari: „Jede Frage- und Antwort-Stunde mit „Felipão“, wie die Landsleute den 55-Jährigen nennen, ist kurzweilig. Immer zieht er eine Show ab. Still sitzen geht nicht, Zappel-Felipe kratzt sich ständig irgendwo oder verzieht das markante Gesicht zu Grimassen. Die Aussagen sind oft doppeldeutig, sexuelle Anspielungen mag er am liebsten. (…) Nach einer bescheidenen Spielerkarriere gelang der Durchbruch als Trainer, als er den Provinzclub EC Criciúma zum Sieg im brasilianischen Pokal führte. Später glückte mit Gremio und Palmeiras der Triumph in der Copa Libertadores. Neben dem legendären Tele Santana ist er der einzige brasilianische Coach, der den Südamerika-Pokal zweimal gewann. Er versteht es, die Akteure auf die wichtigen Momente einzustellen, wenn nötig packt er sogar selbst mit an. Einmal warf er einen Ball auf den Rasen, um einen gegnerischen Konter zu stoppen. Der Schiedsrichter musste pfeifen, lief dann aber Richtung Auswechselbank. Dort hatte sich Scolari aber bereits umgedreht, um einen Unschuldigen zu schimpfen: So etwas könne man doch nicht tun! Fragt man Portugals Nationalstürmer Nuno Gomes, was der Boss der Mannschaft bringe, muss er nicht lang überlegen: „Motivation und Freude.““

Die nächste Generation von Superstars ist gut aus den Startlöchern gekommen – Thomas Klemm (FAZ 24.6.): „Spektakuläre Momente sind es, die Fußballfreunde stets von den Stars ihrer Mannschaft erwarten, aber bei dieser Endrunde von Luis Figo hüben und David Beckham drüben noch nicht gesehen haben. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit klafft eine Lücke. Er wolle bei dieser Europameisterschaft eine besondere Wirkung entfalten, kündigte der Engländer an, „aber vor allem muß ich auftreten wie alle anderen Spieler“. Dabei standen die beiden Köpfe und Kapitäne ihrer Mannschaften zuletzt im Schatten ihrer jüngeren Kollegen. Beckham selbst setzt vor dem Viertelfinale an diesem Donnerstag auf den 18 Jahre jungen Wayne Rooney, mit vier Treffern bislang erfolgreichster EM-Angreifer, „der nicht mehr beweisen muß, was für ein großartiger Spieler er ist“. Figo kümmert sich um Cristiano Ronaldo, den Engländern als Profi bei Manchester United wohlbekannt, weil der Neunzehnjährige als sein designierter Nachfolger im rechten offensiven Mittelfeld gilt. „Ich bin in der Nationalmannschaft, um ihr zu dienen, nicht um bedient zu werden“, lautet das Credo des gebürtigen Lissabonners, der zur Symbolfigur der „Goldenen Generation“ wurde und derzeit der letzte noch in der Startelf verbliebene Vertreter jenes Jahrgangs ist, der nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft 1991 bei den Junioren „Unter 21 Jahren“ selten die in ihn gesteckten Erwartungen erfüllen konnte. Während die Öffentlichkeit die jüngsten Auftritte der beiden ersten Diener ihrer Länder, die bei Real Madrid Seite an Seite spielen, kritisch beäugte, bleiben sie bei ihresgleichen die unumstrittenen Integrationsfiguren. Beide zeigten sich unbeeindruckt von ihrem schlechten Start ins Turnier. Als Anführer trugen sie ihren Teil dazu bei – Figo mehr als Beckham –, daß sie mit ihren Teams auf den letzten Drücker das Viertelfinale erreicht haben.“

Der Fußballsport produziert einen grausamen Jugendwahn

Ronald Reng (FR 24.6.) leidet mit Michael Owen: „Die Angst des Stürmers vor dem Tor ist nun schon seit Tagen gewachsen, als er endlich frei vor dem Torwart steht. Er deutet mit der rechten Hüfte einen Haken an, der Torhüter fällt nicht auf die Täuschung herein. Stürmer, denen seit mehreren Spielen kein Tor geglückt ist, hassen die klaren Chancen. Sie lassen ihnen zu viel Zeit, sich an die vorangegangen Fehlschüsse zu erinnern. Er lupft den Fußball über den Torwart. Der Ball, von seiner Angst getragen, fliegt über das Tor, das in dem Moment so leer und groß wirkt. England wird trotz dieses Fehlschusses das Vorrundenspiel gegen Kroatien souverän 4:2 gewinnen und sich für das Viertelfinale an diesem Donnerstag gegen Portugal qualifizieren. Aber Michael Owen wird den Sieg nicht mehr vollends genießen können. „Wenn wir gewinnen und ich kein Tor dazu beigetragen habe, sind in meinem Hinterkopf fünf Prozent Unzufriedenheit, die an mir nagen“, sagt er später. Nicht ein Tor hat Europas Fußballer des Jahres 2001 in der Vorrunde geschossen, was bei einem Stürmer mit seinem Ruf nie unbemerkt bleibt, diesmal jedoch besondere Aufmerksamkeit findet – weil der Mann neben Owen unaufhörlich trifft. (…) Der Fußballsport produziert einen grausamen Jugendwahn. Wir alle lassen uns verführen vom Anblick eines Teenagers, der im Strafraum gestandene Männer lächerlich aussehen lässt, aber wenn der Teenager selbst ein Mann geworden ist, wird plötzlich jedes schlechte Spiel als unweigerlicher Beweis seines Abstiegs gesehen. „Owen so tief“, titelt der Londoner Daily Express. „Owen nur noch ein Gespenst des wunderbaren Jungen von 98″, notiert der Guardian. „Owen ein entladener Revolver“, schreibt das Madrider Blatt El País. Und das sind nur die seriöseren Zeitungen. Owen ist nicht blöd, er weiß, was geschrieben wird, wenn einer wie er partout nicht trifft. Er hatte neun Tage lang nicht mit der Presse geredet, das ist während einer EM diesem medialen Dauerfeuer eine Ewigkeit. Vermutlich wollte er erst wieder antworten, wenn er Erfolg zu vermelden hat, aber jetzt lässt es sich nicht weiter rauszögern. „Natürlich beschäftigt mich meine Dürre. Toreschießen ist das, was von mir erwartet wird. Wenn ich kein Tor schieße, kann ich nicht sagen, ich habe aber gut gespielt“, sagt er, und auf einmal fällt einem wieder ein, wie jung er noch ist, 24. Man ahnt, wie sehr er unter den unerfüllten Erwartungen leidet, vor allem den eigenen.“

Axel Kintzinger (FTD 24.6.) gibt Portugals Abwehr ein Gesicht: „Wenn über den Generationswechsel in Portugals Nationalmannschaft gesprochen wird, ist meist von den offensiven Spielern die Rede. Von Rui Costa, der dem überragenden Deco vom FC Porto weichen musste. Von Figo, der als Einziger der so genannten Goldenen Generation noch seinen Stammplatz behaupten konnte – sein Spiel ist zwar noch immer schön anzuschauen, aber nicht mehr sonderlich effektiv. Als Superstar in Portugals Sturm ist während dieser Europameisterschaft längst der 19-jährige Cristiano Ronaldo von Manchester United ausgemacht worden. Aber auch in der Abwehr fand eine Wachablösung statt – und mit ihr eine Personalie, die für Portugal zum Schlüssel werden könnte im heutigen Viertelfinale gegen England. Nach der Auftaktniederlage gegen Griechenland hatte Trainer Luiz Felipe Scolari nämlich auch genug gesehen von Fernando Couto, 34, Verteidiger von Lazio Rom. Und so stellte er ab dem zweiten Spiel mit Ricardo Carvalho, 26, einen weiteren Abwehrspieler vom Champions-League-Gewinner FC Porto in die Startformation. Wer Carvalho in den Spielen gegen Russland und Spanien gesehen hat, kann noch weniger verstehen, warum diese Entscheidung so spät fiel. In der Innenverteidigung brillierte Carvalho, wie es sonst nur Italiens Allesandro Nesta kann oder – vor allem in diesem Turnier – Dänemarks Martin Laursen. Er behandelt den Ball mit beiden Füßen gleichermaßen gut und ist sehr schnell. Carvalhos unaufgeregte Art, sein überragendes Stellungsspiel und seine kompromisslose Zweikampfstärke haben zuletzt die spanischen Stürmerstars Raúl und Fernando Morientes in tiefe Resignation gestürzt. Heute nun soll er Englands Wunderkind stoppen, die 18-jährige Wuchtbrumme Wayne Rooney, der die Welt mit mehr als nur seinen bisher vier EM-Toren verzückt. Carvalho selbst glaubt, dass ihm das gelingen wird. Kein Wunder, dass jetzt alle hinter ihm her sind, die Größen des europäischen Vereinsfußballs.“

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