Deutsche Elf
Söldner, keine Kegelbrüder
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| Samstag, 26. Juni 2004Kritik an Rudi Völler und Michael Skibbe (SZ) und an der Kritik / „wie mit einem Jojo spielte Völler mit den Medien“ (SZ) – „Gerhard Mayer-Vorfelder sollte sich schnell für Ottmar Hitzfeld entscheiden, ehe er sich die Sache anders überlegt“ (FAZ) – „es schien, als spielte die deutsche Konkurrenz ein anderes, schöneres Spiel in Portugal: schneller, direkter, zielstrebiger“ (SZ) u.v.m.
Wie mit einem Jojo spielte Völler mit den Medien
Diskurskritik. Ralf Wiegand (SZ/Medien 26.6.) fordert mehr kritische Berichterstattung über die deutsche Nationalmannschaft und den (ehemaligen und künftigen) Bundestrainer: „Der „starke Abschied“ (Hamburger Morgenpost), dieser „Abgang mit Stil“ (Hannoversche Allgemeine), „Rudis Tränen-Rücktritt“ (Bild) war der letzte gelungene Akt einer Öffentlichkeitsarbeit, auf die der DFB stolz sein kann, aus seiner Sicht. Einfach genial war es, nicht verhindert zu haben, dass alle Pressekonferenzen live im Fernsehen übertragen wurden. All der gesprochene Nonsens lief nicht erst durch die Filter kritischen Journalismus“, sondern prasselte ungeschnitten nieder aufs Fußballvolk, auf das es glaube, was es hörte. Da konnten die Zeitungen weglassen, was sie wollten: Michael Skibbes Worte waren schon gesendet. Hübsch zu beobachten war ebenfalls die lähmende Kraft von Kamera und Mikrofon. Wer will sich schon vor der versammelten Rudisten-Nation mit dem Ober-Rudi streiten, wer würde gar in der Stunde des Abschieds sich des Nachtretens bezichtigen lassen wollen, indem er Fragen stellte nach Taktik und Risikobereitschaft des Teamchefs im Turnier? Wer wollte ernsthaft live und in Farbe am Stammtisch-Favoriten Hitzfeld zweifeln, unter dem ein Talent wie Roque Santa Cruz zum Edelreservisten reifte, man Ex-Nationalspieler Tobias Rau inzwischen für den Enkel des Bundespräsidenten hält und Michael Ballack sich so stark entwickelte, dass der FC Bayern ja gar nicht anders kann, als ihn zu verkaufen? Wer provoziert hätte, wäre als Nachrichtenmann selbst zur Nachricht geworden – Zensur kann so einfach sein. Unter der Führung des schulterklopfenden, augenzwinkernden Teamchefs Völler sind Mannschaftshotels zu Sperrzonen geworden, Interviews zu PR-Präsentationen und Pressekonferenzen zur Farce – aber zu niemandem sagte er je ein böses Wort, nur einmal zu Waldi, und der ist seither Kult. Nähe schaffen, Distanz halten: Wie mit einem Jojo spielte Völler mit den Medien.“
Fußballer sind Söldner, keine Kegelbrüder
Thomas Kistner (SZ 26.6.) erweitert die Kritik: „Dem ehrenvoll abgetretenen Teamchef Rudi Völler wurde womöglich zu schnell die Generalabsolution zuteil. Der Teamchef habe den geringsten Anteil am deutschen EM-Desaster, heißt es. Aber: Was kann ein Neuer dann besser machen als Völler, wenn der schon alles richtig machte? So eine Logik zerbröselt mit den ersten Fortschritten des Nachfolgers. Es ist einfacher. Es lässt sich anhand der EM klar belegen, dass auch in der sportlichen Führung des DFB-Aufgebotes gepatzt worden ist: Grundsätzlich, indem einer limitierten Mannschaft noch engere Grenzen gezogen worden sind. Dieser und andere Fehler sind zu vermeiden, sofern noch die Absicht besteht, 2006 eine über das Organisatorische hinaus gehende Rolle zu spielen. Gewiss, Rudi Völler wurde im Stich gelassen von den alten WM-Kameraden (Hamann, Schneider, Frings etc.), die ihn 2002 zum glücklichen Vize gemacht hatten. Aber diese Haudegen waren ja seine fachliche Wahl für die EM – und nicht etwa andere, zuletzt aufstrebende Kräfte, von Fahrenhorst bis Borowski. Mit einer harmonischen Algarve-Reisegruppe allein war in solchen Zeiten das Glück nicht mehr zu zwingen. (…) Fußballer sind Söldner, keine Kegelbrüder, auch wenn sie so kicken und die Stimmung super ist. Der minderen Qualität dieser Spieler aber entsprach ihr lizenzierter Stabstrainer Skibbe. Was immer der seinem Teamchef riet, es lag völlig daneben. Abgesehen von oft fragwürdigen Auswechslungen – die DFB-Elf begann stets (und strikt gegen den obwaltenden Geist) mit circa einstündigem Abtasten, passend dazu mit einer Spitze. Wurden dann die Beine zittriger, rückte der Uhrzeiger bedrohlich vor, begann ein verzehrendes Strampeln und Hecheln. Dass aber diese Drangphasen nun als die lichtesten Momente gelten, entlarvt ja gerade das taktische Versagen: Warum 19 statt 90 Minuten?“
Der Einpeitscher von Almancil
Michael Rosentritt (Tsp 26.6.) sorgt sich um Michael Skibbe: „Was macht jemand wie Skibbe jetzt? Sollte er vielleicht bei seinem Werbepartner anklopfen? Im professionellen Verkaufen einer eigentlich schlechten Ware hat es Michael Skibbe zu einer gewissen Meisterschaft gebracht. Drei Wochen lang quasselte der Mann aus Gelsenkirchen von den „großen Qualitäten im Team“ und der „absolut internationalen Wettbewerbsfähigkeit“. Das führte bei Völlers Assistent zu der „felsenfesten Überzeugung“, das jeweils anstehende Spiel zu gewinnen. Dass dies der deutschen Mannschaft bei dieser Europameisterschaft nicht einmal gelungen ist, hatte Skibbe stets ausgeblendet. „Ist er der Fehler-Flüsterer?“, witzelte vor wenigen Tagen die „Bild“-Zeitung. Zu sehen war ein Foto, auf dem Skibbe hinter seinem Chef steht und ihm etwas sagt. War es die falsche Aufstellung im Spiel gegen Lettland oder doch eine falsche Einwechslung? „Wir besprechen seit vier Jahren alles gemeinsam“, hatte Skibbe anderntags geantwortet. Aufstellungen und Einwechslungen seien „gemeinsame Beschlusssache“. Skibbes Aufgabe in Portugal war jedoch vor allem die Verbreitung von Optimismus und Stärke. Mit Völler wechselte er sich bei den täglichen Pressekonferenzen ab. Während Völler von Tag zu Tag lockerer wurde und gelegentlich ins Auditorium zwinkerte, fuhr der kühle Skibbe weiterhin mit finsterer Miene schwere Geschütze auf. In seiner bisweilen nassforschen Art war er der Mann, der Schärfe in die Öffentlichkeitsarbeit des DFB brachte. „Um unsere Bilanz in Pflichtspielen beneidet uns Europa – ach, die ganze Welt“, war einer seiner Sätze, die ihm den Beinamen „der Einpeitscher von Almancil“ einbrachten.“
Bundestrainer stehen, so altmodisch das klingen mag, in einer ethischen Pflicht gegenüber dem Land
Roland Zorn (FAZ 26.6.) hofft, dass Mayer-Vorfelder Christoph Daum schnell wieder vergisst: „Der Job des Bundestrainers oder Teamchefs der Nationalmannschaft besitzt eine Außenwirkung, die sich nicht in der Vermittlung didaktischer, taktischer und strategischer Fußball-Weisheiten erschöpft. Bundestrainer stehen, so altmodisch das klingen mag, auch in einer ethischen Pflicht gegenüber dem Land, das sie an herausragender Stelle nach innen wie außen repräsentieren. Ebendeshalb wäre ein noch so geläuterter Christoph Daum auf diesem Posten fehl am Platz. Weil die Beurteilung eines Bundestrainers höheren Maßstäben als denjenigen auch des besten Vereinstrainers genügen sollte, wäre ein von vornherein klares Wort des DFB-Präsidenten wünschenswert gewesen. So aber ist zu befürchten, daß wieder einmal zu ergiebig taktiert und zu lange sondiert wird, ehe der öffentliche Druck eine vernünftige Entscheidung herbeiführt. Ob Ottmar Hitzfeld am Ende überhaupt noch Bundestrainer werden will, hängt vielleicht jetzt schon mit dem Verhalten des DFB-Präsidenten bei seiner Trainersuche zusammen. Entschiede er sich dafür, den Namen Christoph Daum, und sei es noch so vage, ins Spiel zu bringen, liefe Mayer-Vorfelder Gefahr, seine eigene Bonität als DFB-Präsident nachhaltig zu beschädigen. Da der Mann Berufspolitiker ist und Populist dazu, wird er vermutlich nach kurzer Bedenkzeit auf die Linie der Mehrheitsmeinung einschwenken. Die aber ist die Linie der Vernunft und zeichnet die Berufung von Hitzfeld, dem erfolgreichsten deutschen Vereinstrainer, in das höchste deutsche Traineramt eindeutig vor.“
Ein nüchterner Analytiker, nicht herz- oder seelenlos, aber stets mathematisch exakt
Hält Hitzfeld, was sich alle von ihm versprechen, Helmut Schümann (Tsp 26.6.)? „Trainer der Fußball-Nationalmannschaft, das ist der emotionalste Job, den dieses Land zu vergeben hat. Im Ansehen und in der möglichen öffentlichen Herabstufung rangiert er gleich hinter dem Kanzler. Ottmar Hitzfeld aber ist bekannt als Mann ohne Emotionen oder zumindest als einer, der sie zu unterdrücken wünscht bis über die eigene Schmerzgrenze hinaus. Ein nüchterner Analytiker, nicht herz- oder seelenlos, aber stets mathematisch exakt. Auf der Geschäftsstelle des FC Bayern schwärmen sie noch von der Hilfsbereitschaft Hitzfelds und seinem verborgenen Engagement für schwerstbehinderte Kinder. So viel zum Herz Hitzfelds. Und beim FC Bayern denken sie noch gerne an die großen Erfolge zurück unter Hitzfeld, die möglich wurden durch ein kühles Rotationsprinzip, das sich nicht scherte um Meriten und Marotten. Als Hitzfeld mit Borussia Dortmund die Champions League gewann, wurde er weich, beließ die verdienten Mitarbeiter in der Mannschaft – und verlor. Ein Fehler, wie er später betonte. Ein Fehler, den er nicht wiederholen werde. Ohnehin begeht Hitzfeld Irrtümer nur einmal, ein Vorteil für die Nationalmannschaft, besonders bei der Auswahl vorwärts gerichteten Personals. Da aber kann, wer will, einen Schwachpunkt ausmachen in den ansonsten herausragenden Referenzen Ottmar Hitzfelds. Kaum verlässliche Fakten sind zu finden, wie er es mit dem Aufbau und Einbau junger bis jüngster Spieler zu halten pflegt.“
Staunend und eine Spur neidisch
Reicht die Zeit bis zur WM 2006 für den Umbruch, Michael Horeni (FAZ 26.6.)? “Die Europameisterschaft zeigt sich von ihrer schönsten Seite – wenn die Deutschen nicht dabei sind. So gerecht kann der Fußball manchmal sein. Am Tag der deutschen Abreise imponierten die Engländer trotz ihres Ausscheidens im Viertelfinale mit Tempofußball und erstklassigen Stürmern. Die Portugiesen zeigten Fußball in seinen wunderbaren spielerischen Varianten. Schon in den Tagen zuvor hatten die deutschen Fans staunend und eine Spur neidisch auf rasante Schweden und Dänen, wirbelnde Tschechen oder holländische Individualisten geblickt. Die Reihe ließe sich fortsetzen und müßte nicht beim französischen Titelverteidiger mit seinem riesigen Potential enden. Es schien, als spielte die deutsche Konkurrenz ein anderes, schöneres Spiel in Portugal: schneller, direkter, zielstrebiger. „Ich mache mir Sorgen“, sagt nicht nur Franz Beckenbauer, wenn er auf die Unterschiede zwischen Deutschland und dem Rest in Portugal schaut. Nur noch zwei Jahre mit zwei ausgedehnten Länderspielreisen (Asien und Südamerika) sowie dem Confederations Cup trennen die Deutschen von der Weltmeisterschaft im eigenen Land, und die bange Frage schwingt mit: Wer soll’s richten? Die gleichen Spieler wie bei dieser Europameisterschaft – zumindest der größte Teil des 23 Profis umfassenden Kaders wird auch, da sind sich die Experten einig, in zwei Jahren die Basis des Teams bei der Weltmeisterschaft bilden.“
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