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Dänischer Pfad der Fußballtugend
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| Sonntag, 27. Juni 2004Peter Heß (FAS 27.6.) hält die Dänen für sehr stark: “Der dänische Pfad der Fußball-Tugend ist für die Gegner verschlungen. Olsen läßt seine Spieler nach einem System agieren, wie er es Mitte der neunziger Jahre für Ajax Amsterdam entwarf und nach dessen Grundzügen die holländische Nationalmannschaft noch heute agiert: zwei Innenverteidiger in der Abwehr, ein Stürmer im Zentrum, und der Rest ist immer in Bewegung. Wobei eine gute Besetzung der Außenpositionen Pflicht ist. Jeder einzelne hat im Prinzip einen bestimmten Raum zu beackern. Aber je nach Erfordernis sind alle Profis dazu angehalten, den Zuständigkeitsbereich um ein paar Meter zu erweitern – um einen Kollegen in Not zu unterstützen oder um Überzahl zu schaffen. Dieses System erfordert von jedem einzelnen eine große Laufbereitschaft, eine hohe Antizipationsfähigkeit und Mut zur Verantwortung. Nur einer dieser bundesligatypischen Alibifußballer, der nur seinen Raum abdeckt und ansonsten hofft, so selten wie möglich ins Spiel verwickelt zu werden, und die Taktik scheitert. Während die holländischen Stars an schlechten Tagen ihre Schwierigkeiten haben, ihrem Kollegen auf dem Feld beizuspringen, zeichnet die Dänen generell eine hohe Opferbereitschaft aus. „Dieses Nationalteam funktioniert wie eine Klubmannschaft“, sagt Olsen voller Stolz. Sein Kollektiv weist zudem einige überragende Einzelkönner auf. Der frühere Hamburger Gravesen hält im zentralen Mittelfeld alle Fäden in der Hand. Mit der Figur eines Freistilringers und dem Schädel eines Hooligan wirkt Gravesen optisch, als wäre er für das Grobe zuständig. Seine Übersicht, Auffassungsgabe und Ballfertigkeit verleihen ihm aber die Mitgliedschaft in der feineren Fußballgesellschaft. Grönkjaer ist ein spektakulärer Dribbler an der Außenlinie. Jörgensen spielt genauso trickreich, läuft aber nicht so schnell wie der Mann von Chelsea. Jon Dahl Tomasson gehört zu den cleversten Stürmern Europas.“
Thomas Klemm (FAS 27.6.) klopft Otto Rehhagel auf die Schultern: „Völker, hört die Signale! Es ist zwar nicht überliefert, welches Lied Otto Rehhagel am Freitag in der Mannschaftskabine gesungen hat, aber seine Botschaft war eine internationale. Die Nachricht vom Einzug der griechischen Nationalmannschaft in das Halbfinale der Fußball-Europameisterschaft werde um die Welt gehen, behauptete der deutsche Trainer, der von New York, Rio, Tokio sprach – aber Deutschland und besonders München meinte. Die stille Genugtuung, nach dem Ausscheiden der DFB-Auswahl der letzte deutsche Wertarbeiter in Portugal zu sein, wurde nach dem Sieg über Titelverteidiger Frankreich zur Selbstfeier eines Mannes, der sich hierzulande oft verkannt fühlt. Otto Rehhagel, der als Provinzfürst in Bremen und in Kaiserslautern seine größten Erfolge erreichte, aber immer Weltmann sein wollte, hat es endlich geschafft. Bei der Weltmarke FC Bayern an Stars und Schickeria gescheitert, interessieren sich plötzlich alle für den griechischen Fußball – und damit für ihn und seine Arbeit mit dem Gütesiegel made in Germany.“
WamS-Interview (27.6.) mit Otto Rehhagel
WamS: Herr Rehhagel, was war gestern Morgen Ihr erster Gedanke nach dem Aufwachen?
OR: Die Planung des Halbfinales. Die ganzen organisatorischen Fragen – wann wir an den Spielort Porto reisen, in welches Hotel wie ziehen. Wir konnten ja nicht davon ausgehen, dass wir gegen Titelverteidiger Frankreich gewinnen und weiter im Turnier bleiben. Und dann beim Frühstück habe ich mich an eine merkwürdige Szene erinnert…
WamS: Erzählen Sie, bitte.
OR: Ich saß im Stadion von Monte Carlo, links neben der Ehrenloge, es spielte der AS Monaco gegen Real Madrid. Fürst Rainier, Prinzessin Caroline, Ernst August von Hannover und die Kinder verfolgten das Spiel. Dann fiel das 3:2 für Monaco, und diese Menschen, die schon so viel mitgemacht haben in ihrem Leben, so viel Leid und tragische Momente, sind sich in den Armen gelegen wie kleine Kinder. Dieser Moment der Freude der Fürstenfamilie, ausgelöst durch ein Tor im Fußball, das hatte ich noch nicht erlebt. Dieser Glücksmoment, den man nicht planen, nicht herbeirufen und für kein Geld der Welt kaufen kann, den es im normalen Leben nicht gibt – dafür lohnt es sich zu arbeiten, den Menschen diese Momente zu bescheren. Das haben wir gegen Frankreich für die Griechen geschafft.
WamS: In Griechenland ist es mehr als nur ein Moment. Die Menschen sind in einem andauernden Freudentaumel, eine Million Griechen sollen nach dem Spiel in Athen auf den Straßen gewesen sein.
OR: Nicht nur dort, die Nachricht ging um die Welt. Sie eint die Griechen in New York, Rio und Tokio. Überall spielen die Leute verrückt.
WamS: Macht Ihnen diese grenzenlose Euphorie nicht ein wenig Angst?
OR: Wie alle Südeuropäer sind die Griechen in einem Ausmaß begeisterungsfähig, dass wir Mitteleuropäer nur staunen können. Sie neigen dazu, ob in Freude oder in Trauer, zu überziehen. Umso wichtiger ist es, dass einer auf dem Boden bleibt und zu Bescheidenheit aufruft: Das bin ich.