Strafstoss
Strafstoß #14 – Reine Nervensache 3 – Stoßgebete in Super Mario World
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| Dienstag, 29. Juni 2004von Herrn Bieber und Herrn Mertens
Christoph Bieber: Wenn Sie eine Standardsituation wären, Herr Mertens, welche wären Sie?
Mathias Mertens: Tja, Herr Bieber, da werde ich Sie jetzt überraschen, weil ich keine langen historischen und allgemeinen taxonomischen Erörterungen brauche. Ich würde ein Eckstoß sein wollen.
CB: Bravo, Herr Mertens, das nenne ich eine schnörkellose und direkte Spielweise. Doch Sie haben ja sicher schon geahnt, dass ich alles tun werde, um den Ball noch eine Weile im Spiel zu halten. Nun, bekanntlich ist der Eckstoß Paragraph 17 der Fußballregeln als eine „Spielfortsetzung“ definiert. Erlauben Sie mir daher eine kleine Nachfrage: Warum möchten Sie ein Eck-Stoß sein und kein Eck-Ball?
MM: Ich wäre schon sehr enttäuscht gewesen, wenn Sie sich nicht auch beim Fragenstellen als Taxonomiker erwiesen hätten. Aber diesmal scheinen Sie ins Leere zu rennen. Da liegt nun Paragraph 17 der Fußballregeln vor mir, und ich finde darin ausschließlich den Eckstoß beschrieben. Einen Eckball dagegen nicht.
CB: Hm, einen Eckball gibt es also nicht. Dann, Herr Mertens, erklären Sie mir doch bitte die 44.000 google-Einträge für „Eckball“ gegenüber den bescheidenen 5.000 für „Eckstoß“.
MM: Na ja, unter den 43.200 Einträgen muss ich Sachen wie „Eckball-toaster in der fritoise? Muß das sein?“ lesen, bei den 5010 Einträgen handeln gleich die ersten fünf vom Paragraph 17 der internationalen Fußballregeln. Was ich damit sagen will? Auch wenn alle „Lübien“ sagen, ist damit das richtige „Libüen“ nicht falsch. Was ich damit sagen will? Ein Eckstoß ist ein Eckball ist ein Eckstoß, wie es Gertrude Stein sagen würde. Bloß weil ein Ball dabei ist, darf der Stoß nicht übersehen werden. Beziehungsweise der Ball ist immer da, in jeder Situation des Spiels, der Stoß dagegen nur gelegentlich.
CB: Angesichts solch messerscharfer Entgegnungen wundert es mich eigentlich, dass sie keine trickreiche „Abseitsfalle“ sein mögen, sondern nur ein Allerwelt-Eckstoß. Warum so bescheiden?
MM: Interessante Sichtweise. Andere können die eigene Person ja immer besser einschätzen als man selbst. Aber es geht ja nicht um die Realität, sondern um das, was ich, wenn ich könnte, sein wollte. Die Abseitsfalle mag kunst- und anspruchsvoll sein, aber ihr Ziel ist doch, dass nichts passiert. Der Eckstoß dagegen, wie Sie schon richtig recherchierten, ist eine Spielfortsetzung aus der, so heißt es weiter, „für die ausführende Mannschaft ein Tor direkt erzielt werden“ kann. So soll mein Leben sein. Alles starrt gebannt auf mich, ich lege alles zurecht, und obwohl sich alle auf mich einstellen konnten und sich vollständig versammelt haben, gleite ich mühelos durch alles hindurch, setze vielleicht noch einmal auf, verändere aufgrund meines Spins die Richtung und tropfe ungehindert hinter die Torlinie. 50 Augen plus X können mir nur zuschauen, niemand hat einen Fehler gemacht, und doch war nichts möglich gegen mich. War das unbescheiden genug?
CB: Dazu zwei Anmerkungen – die Ecke als Standardsituation dient wohl wie keine zweite dazu, Spiele, in denen sonst nichts passiert, wiederzubeleben (das gilt auch in Bezug auf „die ausführende Mannschaft“). Und: Direkt verwandelte Ecken resultieren stets aus den Fehlern der Gegner, besonders des Torwarts. Ich erkenne durchaus noch Bescheidenheitsreste, Herr Mertens. (nebenbei – die FAZ braucht Nachhilfe: „Poborsky zirkelte den EckBALL punktgenau und unerreichbar für alle anderen auf Kollers erhobenes Haupt.“)
MM: Sie beschreiben genau den heroischen Aspekt des Eckstoßes, der mir so zusagt. Alles scheint verfahren, die Weltläufte stagnieren, da erscheint die historische Gestalt, erschafft ein neues Paradigma, und schlagartig ist wieder eine Entwicklung begonnen. Wer will ein Freistoß in der eigenen Hälfte sein? Oder ein Elfmeter, von dem man nichts anderes erwartet, als dass er reingeht? Oder, dass er nicht reingeht, denn das wäre das Außergewöhnliche. Leider wieder Etwas, was Nichts als Resultat hat. Lasst mich also eine Ecke von Basler sein! Ich könnte mich zufrieden ob meiner Lebensleistung zurücklehnen.
CB: Schön gesagt, Herr Mertens. Im übrigen würde sich Herr Basler an Ihrer Wahl erfreuen, denn Super Mario wusste sehr wohl, welche Last er, zur Ecke gedrängt, als historische Gestalt, zu schultern hatte: „Ich bin wieder derjenige, der wo alles ausbaden muss.“