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MV an seinen Grenzen

Oliver Fritsch | Donnerstag, 1. Juli 2004 Kommentare deaktiviert für MV an seinen Grenzen

Im FAZ-Interview spricht DFB-Vize-Präsident Engelbert Nelle unüblich offene Worte über Gerhard Mayer-Vorfelder: „Ich habe für seine Haltung kein Verständnis und meine Kollegen auch nicht“ / ein Kommentar Roland Zorns (FAZ) über den Konflikt an der DFB-Spitze: „Die Zeit des alleinigen Chefs MV neigt sich dem Ende zu“ / für den alten Haudegen Mayer-Vorfelder ist „die derzeitige Debatte ein Stürmchen im Wasserglas“ (SZ) u.v.m.

Ich habe für seine Haltung kein Verständnis und meine Kollegen auch nicht
Deutliche Worte! FAZ-Interview (1.7.) mit Engelbert Nelle, DFB-Vize-Präsident, über die Fehler Gerhard Mayer-Vorfelders

FAZ: Hat sich der DFB-Präsident bei der Suche nach einem neuen Bundestrainer, die er zur alleinigen Chefsache erklärte, in eine einsame Position manövriert?
EN: Ich habe für seine Haltung kein Verständnis und meine Kollegen auch nicht. Die werden nun entsprechende Gespräche in ihren Verbänden führen, so daß ich mir bis zum Wochenende ein Bild von der Stimmung an der Basis machen kann. Am Montag der kommenden Woche haben wir ja eine außerordentliche Präsidiumssitzung, auf der all diese Dinge zur Sprache kommen werden.
FAZ: Halten Sie als sein erster Stellvertreter und Vorsitzender des Norddeutschen Fußball-Verbandes Mayer-Vorfelders Wiederwahl auf dem DFB-Bundestag in Osnabrück am 23. Oktober für gefährdet, und erkennen Sie jemanden, der dort gegen den Amtsinhaber antreten könnte?
EN: Ich könnte mir da schon jemand vorstellen: Theo Zwanziger. Er ist (mit 59) der jüngste unter uns, bringt eine Menge Erfahrung mit als langjähriger Vorsitzender des Fußballverbandes Rheinland und macht seine Sache als Schatzmeister des DFB außerordentlich gut. Ihn könnte ich mir sehr gut als DFB-Präsidenten vorstellen. Die Bedingung ist, daß er es auch machen will. So weit sind wir aber noch nicht. Warten wir mal ab, was am Montag passiert.
FAZ: Was werfen Sie als langjähriger Weggefährte Mayer-Vorfelder vor allem vor?
EN: Daß er nicht in der Lage scheint, eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zu suchen. Seine Defizite in der Informations- und Kommunikationspolitik sind schon länger erkennbar, sie haben sich in Portugal kumuliert. Der Gipfel sind die Erklärungen, die inzwischen sein Referent (Jan Lengerke) zum Thema Fußball abgibt. Ich werde erst einmal feststellen, ob dieser Mann bei ihm oder bei uns angestellt ist. Da muß gehandelt werden, das kann man sich nicht bieten lassen.

FR-Interview (1.7.) mit Gerhard Mayer-Vorfelder

FR: Im Verband herrschen ebenfalls erhebliche Irritationen über Ihre interne Kommunikationspolitik.
GMV: Ich habe im DFB eine wöchentliche Sitzung eingeführt. Wenn da einer der Direktoren das Gefühl hat, er werde nicht genügend respektiert, dann gehe ich davon aus, dass er mir das sagt. So viel Teamwork wie mit mir hat es beim DFB noch nie gegeben.
FR: Aber gerade diese Woche haben Sie keine Sitzung einberufen.
GMV: Ich war ja nicht da. Ich bin ja hier in Portugal. Ich bin ja nicht der liebe Gott, der an mehreren Stellen gleichzeitig sein kann. Ich habe in kürzester Zeit ungestört mit dem verhandelt, den alle wollten. Alle sollten zufrieden sein. Jetzt müssen wir abwarten, wie Ottmar Hitzfeld sich entscheidet.
FR: Sie haben sich zuvor auffällig zurückgezogen.
GMV: Ich habe mir selbst ein Redeverbot auferlegt, damit ich nicht pausenlos gelöchert werde. Manchmal ist es besser, Verhandlungen nicht auf dem offenen Mark zu führen.
FR: Es ging deshalb die Angst um, Sie könnten was aushecken und Christoph Daum holen.
GMV: Dass eine Zeitung wie die FAZ schreiben wird, ich hätte Kontakt zu Daum gehabt, das hätte ich nicht für möglich gehalten. Das ist nämlich eine glatte Lüge. Daum ist ein guter Trainer, aber im Augenblick nicht zu vermitteln.
FR: Jetzt reden Sie endlich mal darüber.
GMV: Das sehen Sie ja. Ich tue das, weil jetzt nichts mehr kaputt gehen kann. Ich habe die Erfahrung aus 25 Jahren Führung eines Profivereins. Die habe nur ich, die hat sonst niemand beim DFB.
FR: Könnten Sie bei der Wahl im Oktober mit einem Gegenkandidaten leben?
Das wäre im Deutschen Fußball-Bund zwar unüblich, aber ich würde mich dem stellen. Ich bin es aus 25 Jahren Politik gewohnt, dass Gegenkandidaten aufgestellt werden.
FR: Sind Sie angeschlagen?
GMV: Nein, bin ich nicht. Die Politik ist da eine gute Schule gewesen.

Die Zeit des alleinigen Chefs MV neigt sich dem Ende zu

Roland Zorn (FAZ 1.7.) kommentiert den Konflikt an der DFB-Spitze: „Im Präsidium, aber auch an der Basis des DFBs herrscht so etwas wie vorrevolutionäre Stimmung. Droht oder winkt der Sturz von Gerhard Mayer-Vorfelder, dem schon immer umstrittenen Vormann einer Organisation, zu der sich über sechs Millionen Mitglieder bekennen? Im Augenblick zumindest hätte der Stuttgarter Berufspolitiker von gestern keine guten Aussichten, noch einmal an die Spitze seines Verbandes gewählt zu werden. Nicht nur denen, die ihm auf Schritt und Tritt begegnen, auch jenen, die die Selbstverliebtheit dieses Präsidenten von weitem beobachten, dämmert: Die Zeit des alleinigen Chefs „MV“ neigt sich dem Ende zu. Wie so oft bei den alten Inhabern der Macht drängt sich diese Erkenntnis dem Objekt aller Kritik und Veränderungswünsche zuletzt auf. Mayer-Vorfelder hält unbeirrt an der Fiktion fest, auch in Zukunft die unentbehrliche Führungspersönlichkeit des deutschen Fußballs zu sein. Begleitet von einem beratenden Referenten, der ihm zusätzliche Wichtigkeit vorgaukelt, hat der DFB-Präsident seine liebe Müh und Not, vom sonnigen Portugal aus die für ihn ungemütliche deutsche Wirklichkeit ins Auge zu fassen.“

Mayer-Vorfelder wirt so schnell nichts um, Philipp Selldorf (SZ/Meinung 1.7.): „Wer nun annimmt, dass Mayer-Vorfelder in der Sorge um seinen Platz an der Spitze des DFB nervös werden könnte, der unterschätzt ihn wieder einmal. Als Mitglied der baden-württembergischen Staatsregierung, in der er Kultus- und Finanzminister war, hat Mayer-Vorfelder etliche Vorstöße seiner Widersacher in der CDU, politische und persönliche Affären sowie publizistische Attacken abgewehrt. Krisen machen ihm eher Spaß, als dass sie ihn verunsichern. Dass er bei der Pressekonferenz während Völlers Rücktrittserklärung wie ein gebrochener Mann wirkte, war nichts als ein Schauspiel. Vielmehr kostete er es aus, dass ihm das Monopol für die Lösung der deutschen Schicksalsfrage – die Bestimmung des neuen Bundestrainers – oblag, denn der DFB hat in der öffentlichen Meinung an Bedeutung verloren, seit sich die Bundesliga selbstständig gemacht hat. Sachlich betrachtet, hat sich Mayer-Vorfelder pflichtgemäß und im Sinne der breiten Mehrheit der Fußballbosse im Verband und in der Liga verhalten, als er die Verhandlungen mit Ottmar Hitzfeld aufgenommen hat. Doch hat er die gebotene Diskretion so sehr übertrieben, dass er nun ein wenig kämpfen muss um seine Fidel-Castro-artige Präsidentenmehrheit.“

Es gibt Grenzen

Thomas Kistner (SZ 1.7.) beobachtet das Macht-Gerangel beim DFB: „Die Kamera läuft, es kommt das Zeichen, und Gerhard Mayer-Vorfelder setzt sich beschwingt in Bewegung Richtung Lissabonner Talk-Studio des Deutschen Sportfernsehens (DSF). Dort gibt er joviale Statements ab, tätschelt die Knie der Umsitzenden, lächelt viel und sagt kein essentielles Wort zur großen Krise und der Oppositionsbildung im Deutschen Fußball-Bund, dem er seit drei Jahren präsidiert. Muss er auch nicht. Steif und von angestrengter Blässe wie das Gros der Verbandskollegen ist er ja nicht, der braun gebrannte Medienprofi Mayer-Vorfelder, der in seiner Karriere als Politiker und Fußballfunktionär ungefähr so viele Skandale und Skandälchen eingefahren hat wie der FC Bayern Titel. Und er ahnt mit der Erfahrung seiner 71 Lebensjahre, dass es den Widersachern auch diesmal nicht gelingen wird, ihn zu stürzen. Nicht am 23. Oktober, wenn er sich zur Wiederwahl als DFB-Boss stellen will, und nicht am Montag bei der Sondersitzung des Präsidiums, auf der er seine Alleingänge in der Causa Völler-Nachfolge/Hitzfeld darlegen muss. (…) Trotzdem wäre diesen braven Opponenten ein echter Aufstand kaum zuzutrauen, wäre da nicht auf höchster DFB-Ebene entscheidendes Vertrauen verloren gegangen. Sie alle sind, wie auch der Liga-Chef Werner Hackmann, empört darüber, dass sie von MV bei dessen Trainersuche für 2006 tagelang isoliert wurden, während der präsidiale Privatadjutant Jan Lengerke ständig an der Seite Mayer-Vorfelders über jeden Schritt informiert war. Ein Mann, der gar kein Mandatsträger im DFB ist. Das habe den Anschein eines „Schattenkabinetts“, hieß es aus der DFB-Zentrale.“

Wer ist Jan Lengerke? FR

Die derzeitige Debatte ist ein Stürmchen im Wasserglas

Ist Mayer-Vorfelder am Ende, Ludger Schulze (SZ 1.7.)? „Wer die Akte Gerhard Mayer-Vorfelder schon für abgeschlossen hält, begeht einen semantischen Fehler: Er verwechselt die Begriffe „straucheln“ und „fallen“. Der Präsident des DFBs, vormaliger Kultus- sowie Finanzminister des Landes Baden-Württemberg, hat vermutlich mehr Lebenszeit im Sturzraum zwischen Vertikale und Horizontale zugebracht als irgendein anderer Funktionär/Politiker in diesem Land. Nur: Gefallen ist er nie. Er hat gravierende politische Skandale überstanden und auch im Sport jeden Eklat locker ausgesessen. Wer spricht noch davon, dass er den VfB Stuttgart nach fast 30-jähriger Präsidentschaft mit rund 30 Millionen Mark Schulden hinterließ, nicht ohne dem von ihm nahezu ruinierten Klub noch schnell fürstliche „Aufwandsentschädigungen“ abzupressen? Dass er danach unter Verdacht der Steuerhinterziehung bei der Staatsanwaltschaft geriet, passt zu seiner Vita wie die Nut zur Feder. Gegen derlei Aufreger ist die derzeitige Debatte ein Stürmchen im Wasserglas. Niemand sollte glauben, dass der Präsident des Deutschen Fußball-Bundes allein deshalb gestürzt wird, weil er keine Lust hatte, ein paar zugegeben wichtige Leute anzurufen. Dass Mayer-Vorfelder die Bundestrainer-Suche tagelang als One-Man-Show betrieben hat, ist vielleicht unverschämt, ungeschickt oder selbstverliebt – ein hinreichender Grund, ihn in die Wüste zu schicken, ist es nicht. Ganz offenbar dient MVs Headhunter-Solo vielen Leuten als Vorwand, alte Rechnungen zu begleichen. Dass Gerhard Mayer-Vorfelder im DFB auch nur einen Freund hätte, ist nicht bekannt. Es hat ihm nicht geschadet. Dass die Zahl seiner Feinde jüngst ordentlich gewachsen ist, ist ebenfalls bekannt. Es wird ihm wieder nicht schaden.“

Als Gastgeber können wir beweisen, daß wir immer noch ein Fußballvolk sind

Wie steht es um eine deutsche Partizipation in Portugal, Peter Heß (FAZ 1.7.)? „Was bleibt uns denn sonst noch bei dieser EM? Hmm. Viele Hostessen und Bedienungen im VIP-Bereich stammen aus Deutschland. Und sonst? Die Autos des Fahrdienstes? Noch nicht mal die, die kommen aus Korea. Ach ja, Markus Merk. Der Zahnarzt darf sogar das Endspiel pfeifen, wahrscheinlich sogar jedes Finale bis zum Erreichen der Altersgrenze, weil sich die deutschen Profis ohnehin nie mehr so weit in einem Turnier verirren werden. Aber wollten wir wirklich ein Land der Unparteiischen werden? Wollen wir am Morgen danach nicht mehr über Neuvilles Pfostenschuß, über Kahns Fehlgriff und über Ballacks Endspielsperre diskutieren, sondern darüber, wie elegant Merk seine Pfeife an den Mund führte und wie überzeugend er das passive Abseits von van Nistelrooy interpretierte? Nein, nein, nein. Damit darf sich Fußball-Deutschland nicht bescheiden. Es muß etwas geschehen. (…) Zum Glück findet das nächste große Fußballturnier in Deutschland statt. Bei der WM 2006 wird der deutsche Beitrag zum großen Fußball zwangsläufig größer sein: deutsche Organisation, deutsche Infrastruktur, deutsche Fans. Dann können wir als Gastgeber beweisen, daß wir immer noch ein Fußballvolk sind. Gerade wenn die Nationalelf wieder in der Vorrunde ausscheidet.“

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