Vermischtes
Tendenz zur Arbeitsteilung
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| Donnerstag, 1. Juli 2004Politiker Hans-Christian Ströbele ist der Neffe Herbert Zimmermanns und verwaltet sein Erbe (SZ) – „Carsten Ramelows Rücktritt war umsonst, weil er einen perfekten Stellvertreter gefunden hatte in der Kunst, mitzuspielen und doch unsichtbar zu sein: Dietmar Hamann“ (SZ) – „diese EM zeigt eine Taktik-Tendenz zu einer neuen alten Arbeitsteilung“ (FAZ) u.v.m.
Tendenz zu einer neuen alten Arbeitsteilung
Diese EM geht in die Fußball-Lehrbücher ein! Christian Eichler (FAZ 2.7.): „Nicht nur Fans sind begeistert vom Niveau der Europameisterschaft, auch die Experten. „Man hat zurückgefunden zum Angriffsfußball“, schwärmt Berti Vogts, der mit einer Handvoll anderer Trainer der Technischen Kommission der UEFA angehört. „Bis auf die Griechen spielten alle Teams offensiv, mit drei oder gar vier Stürmern, dazu unterstützenden Mittelfeld- oder Außenspielern. Mehr als die Hälfte der 16 Teams traten mit richtigen Außenstürmern auf, die allerdings viel moderner eingesetzt werden als noch vor zehn oder zwanzig Jahren.“ Als beispielhaft sieht Vogts das Flügelspiel der Dänen an oder die offensive Koordination der Tschechen. Ihre Analysen der Spielsysteme, taktischen Varianten, Standardsituationen werden von der UEFA in einer DVD, einem Dossier und in Anleitungen für die Trainerausbildung dokumentiert, um die EM-Fortschritte in den Spielalltag zu übertragen. Die Resultate der „Studiengruppe“ werden im September in Stockholm präsentiert. Doch schon jetzt äußern einige der Fachleute ihre vorwiegend positiven Eindrücke. Eine „deutliche Verbesserung der individuellen Qualitäten der Spieler“ konstatierte Venglos. Und Vogts zeigt sich „begeistert vom Fortschritt im Stürmerspiel, mit oft drei bis vier reinen Angreifern, die von Defensivaufgaben befreit sind“. Selbst Italien, Gegner der von Vogts trainierten Schotten in der WM-Qualifikation für 2006, spielte nach dessen Beobachtung „mit drei richtigen Angriffsstürmern ohne Defensivaufgabe“. Während der Trend im Fußball der vergangenen Jahrzehnte dahin ging, die Aufgaben der Mannschaftsteile zu vermengen, stürmende Verteidiger, verteidigende Stürmer, hat Vogts in Portugal eine Tendenz zu einer neuen alten Arbeitsteilung beobachtet: einerseits von Abwehraufgaben weitgehend befreite Angreifer, andererseits Defensivspieler, die ihnen den Rücken freihalten. „Die meisten Mannschaften tun das mit zwei Spielern vor der Abwehr“, sagt Vogts. „Wie diese zwei Spieler die Freiräume für ihre Vorderleute organisieren, ist in vielen Teams sehr schön zu sehen.“ Taugt der europäische Qualitätssprung als Modell für Deutschland?“
Sechs Wochen Urlaub im Jahr sind zu wenig
Für Peter Heß (FAZ 2.7.) waren die Topstars nach der langen Saison einfach ausgebrannt: “Warum wurden die großen Bekannten des europäischen Fußballs in diesem Turnier überstrahlt? Nicht dass ein Zidane versagt hätte. Aber nach mehr als 60 Saisonspielen mit Real Madrid und der Nationalmannschaft fehlte ihm die letzte Spritzigkeit, um seine überraschenden Dribblings und Drehungen so erfolgreich wie gewohnt abzuschließen. Auch seine Mitspieler im Sturm, Trezeguet und Henry, wirkten nach über 50 Einsätzen für Juventus und Arsenal überspielt. Vieri und del Piero wurden in der Squadra Azzurra vom jugendlichen Stürmer Andrea Cassano in den Schatten gestellt. Raul und Morientes fielen gegen die Unbekümmertheit eines Joaquin und Fernando Torres ab. Beckham entzieht sich sowieso einer sportlichen Einschätzung. Der Engländer ist eher ein Popstar als ein Fußballheld, zu dem er unverdientermaßen aufstieg. Der Trend, der bei der WM 2002 in Südkorea und Japan auffällig wurde, bestätigt sich in Portugal: Das Fußballgeschäft frißt seine talentiertesten Kinder. Es ist nicht allein die körperliche Überforderung, die der nur aufs Geldverdienen ausgelegte Terminplan hervorruft. Es ist die geistige Leere, die der ständige Leistungsdruck hinterläßt. Sechs Wochen Urlaub im Jahr sind zu wenig. 52 Spiele in 46 Wochen muten die Spitzenvereine in den italienischen, spanischen, englischen und deutschen Ligen ihren Besten im Schnitt zu. Wie soll nach Jahren im Hamsterrad noch die Vorfreude auf ein großen Turnier entstehen?“
Der große Fernseher-Check
Wilfried Urbe (FR 2.7.) mahnt, sich frühzeitig über die technischen Gegebenheiten der WM 2006 Gedanken zu machen: „Es gibt Übertragungen, da kann es durch aus auf den Rand des Bildes ankommen – gerade liefert die Europameisterschaft dafür Beispiele, etwa das Siegestor der Portugiesen durch Maniche. Und nun hat die e von der FIFA beauftragte Produktionsfirma HBS (Host Broadcast Services) in Paris bekannt gegeben hatte, das gesamte WM-Turnier in Deutschland 2006 ausschließlich auf dem neuen Standard High Definition (HD) auszustrahlen – wegen besserer Bildqualität. Doch HD-Kameras können ausschließlich Bilder im 16 : 9- Format aufnehmen und übertragen. Zuschauer aber, die das gewandelte Bild mit einem herkömmlichen 4 : 3- Fernseher anschauen, hätten oben und unten breite schwarze Flächen – wie bei einem Cinemascope-Film. Bekämen sie dagegen nur einen passenden Bildausschnitt in 4 : 3 aus der 16 : 9-Aufnahme, würden links und rechts Bildteile fehlen. Über das endgültige Ausstrahlungsformat ist bei den Sendern noch nicht entschieden, sagt Dietrich Sauter vom Münchener Institut für Rundfunktechnik. Es gebe immerhin “ die Möglichkeit, dass während der Aufzeichnung eine so genannte Maske über das produzierte 16 : 9 Format gelegt wird, die dann nachgeführt werden muss.“ Und da die Qualität der HD-Technik der bisher verwendeten überlegen ist, könnten sich nun die Fernsehgerätehersteller freuen und noch ein bisschen Angst bei der fußballbegeisterten Nation schüren, um den Absatz von 16 : 9-Fernsehern zu steigern, oder? „Nicht unbedingt“, meint Robert Adams von der Münchener Plaza Media, die als Produktionsfirma für die technische Umsetzung der WM-Übertragung in Betracht kommt, „wir haben kürzlich die erste Bundesliga-HD-Produktion gemacht. Da setzen wir eine Technik ein, die beide Signale erstellt und in 16 : 9 wie in 4 : 3 ausstrahlt. Kameraleute und Regie haben sich da immer auf das 4 : 3-Bild konzentriert.“ Auch Jörg Sander von HBS tröstet das Publikum: „Wer einen herkömmlichen Fernseher hat, bekommt das Bild wie gehabt, und wer einen 16 : 9-Fernseher hat, erhält sozusagen bildtechnisch etwas zusätzlich, wir werden die Kameraleute auf den 4 :3 Ausschnitt anweisen. Schwarze Balken oder ein unvollständiges Bild wird es 2006 nicht geben.“ Also ist die Fernsehwelt zur WM doch in Ordnung? Das steht leider eben noch nicht fest. „Wenn man sich nur auf den 4 :3-Ausschnitt konzentriert, ist der ganze HD-Effekt ja weg“, weiß Sauter, „die Bildfolgen sind viel schneller. HD setze ich ja letztlich ein, um einen weiteren Blick auf die Totale zu haben.“ Der Verzicht auf den HD-Effekt träfe also die Besitzer von 16 : 9-Fernsehern, das wären aber im Jahre 2006, so lauten Expertenschätzungen, vielleicht schon rund 25 Prozent des Fernsehpublikums.“
Er wollte uns nicht mehr quälen
Aus der Reihe Alle auf einen – Benjamin Henrichs (SZ/Medien 2.7.) muss noch was über Ramelow loswerden: „Gewiss, einiges wird unauslöschlich bleiben. Die Tore von Ibrahimovic und Maniche. Der Angriffsschwung der Portugiesen und der Tschechen. Die Hinfälligkeit der französischen Fußballgötter. Beckhams Elfmetertragödie. Natürlich auch die deutsche Schmach, nebst Rudis Rücktritt. Das Stolpern der deutschen Stürmer, von Bobic und Klose. Die Erschöpfung der deutschen Abwehrsenioren, von Wörns und Nowotny. Und vor allem das geistlose deutsche Mittelfeld, mit Schneider, Frings und Ramelow. Halt, halt, halt! Ramelow war gar nicht dabei. Ramelow ist nämlich kurz vor der EM still und nobel zurückgetreten. Er wollte uns nicht mehr quälen. Doch der Rücktritt war umsonst, weil Ramelow einen perfekten Stellvertreter gefunden hatte in der Kunst, mitzuspielen und doch unsichtbar zu sein. Den braven Kollegen Hamann. Wir alle lieben die Zauberer und hassen die Zerstörer. Ronaldo ja, Ramelow nein. Man muss ja nur den Sportreportern lauschen und ihren aktuellen Lieblingswörtern. Wenn sie mal nicht von den Laufwegen schwadronieren und von den Knipsern, dann sagen sie rustikal und verwalten – und weisen damit diskret auch auf den eigenen Feinsinn hin. Der rustikale Spielverwalter ist der Erzfeind des schönen Fußballs – und wer hätte diese klägliche Rolle im deutschen Fußball zäher gespielt als eben Ramelow? Auch die Dichter haben immer nur die Lichtgestalten besungen, niemals die Schattenmänner. Götter und Schlachtenlenker waren ihre Helden, philosophische Prinzen und rauschhafte Liebespaare. Bis endlich Anton Tschechow kam. Er hat die Grauen, die Unscheinbaren, die Kümmerlinge für die Poesie entdeckt, sie zum Leben und Leuchten gebracht, ja unsterblich gemacht. Er müsste jetzt für uns das Fußballdrama schreiben! Es gibt von Tschechow einen „Platonow“ und einen „Iwanow“, wieso dann keinen „Ramelow“?“
Damals saßen die Reporter nicht in den Kabinen, sie standen mit dem Mikrofon auf dem Dach der Tribüne
Wie war das noch? Gebt das Hanf frei?! Marcus Jauer (SZ/Medien 2.7.): „Wenn Hans-Christian Ströbele von Herbert Zimmermann spricht, dann sagt er immer nur „der Onkel“. Der Onkel war für uns ein Weltmann. Der Onkel war ein Familienmensch. Der Onkel hatte diese einprägsame Stimme. Zimmermann war der Bruder von Ströbeles Mutter. Er hatte keine Kinder, und so hat er die seiner Schwester behandelt, als wären es seine eigenen. Er brachte ihnen von seinen Reisen Geschenke mit, er reportierte die Einfahrt des Zuges, wenn er mit ihnen und der elektrischen Eisenbahn spielte. Er nahm Hans-Christian mit auf Schalke. Damals saßen die Reporter nicht in den Kabinen, sie standen mit dem Mikrofon auf dem Dach der Tribüne. Und da stand Ströbele nun auch. (…) Dass das Spiel einmal zum Gründungsmythos der Bundesrepublik erklärt werden würde und sein „Tor!“-Jubel zu ihrem Geburtsschrei, hat Herbert Zimmermann sicherlich nicht geahnt. Ströbele sagt, das Spiel sei ein paar Wochen später schon wieder vergessen gewesen. „Es wird heute überinterpretiert.“ Der Onkel sei nach Hause gekommen und habe geschimpft, dass er sich für den Ausdruck „Fußballgott“ bei seinem Sender entschuldigen musste. Nur eine Zeitung schreibt einen großen Artikel über seine Reportage. Der Journalist Erik Eggers, der nun mit „Die Stimme von Bern“ eine sehr aufschlussreiche Biographie zu Herbert Zimmermann geschrieben hat, glaubt, der Mythos von Bern sei erst nach der Wiedervereinigung beschworen worden. Als kleinster gemeinsamer Nenner eines Landes, das sich sonst in vieler Hinsicht unsicher geworden ist. Ströbele sagt, es habe sich jahrzehntelang kaum jemand für die Reportage des Onkels interessiert. Aber nun bekomme er fünf bis sechs Anfragen pro Woche. 1966 war Herbert Zimmermann bei einem Autounfall gestorben. Die Rechte an seiner Reportage gingen an seine Schwester über, und jetzt liegen sie bei Ströbele und seinen Geschwistern. Sie entscheiden, wer die Stimme von Bern heute wofür benutzen darf, und was das kostet. Das Geld, was dabei zusammenkommt, spenden sie für Tierschutz oder Kindergärten. Er würde es auch für den Wahlkampf einsetzen, sagt Ströbele, sein Onkel hätte ihn da sicher unterstützt. Was er allerdings nicht will, ist dass sein Onkel aus einem Papierkorb ruft. Deshalb wird er dagegen auch vorgehen. Genauso wie er das schon gegen die Leute getan hat, die den „Tor“-Ruf in eine Kuckucksuhr einbauten oder als Klingelton für das Handy verschicken wollten. Für alle anderen gebe es keine Preisliste, es komme einfach darauf an, wer fragt.“
Ein Fußball-Shirt, das automatisch durch eingebaute EKG-Sensoren die Herzfunktion überwacht
Andrea Naica-Loebell (Telepolis Online) skizziert die fortschreitende Digitalisierung des Fußball mittels schlauer Spielkleidung und virtuellen Computerassistenten: „An der Schule für Industriedesign der englischen Northumbria University hat der Student David Evans in Zusammenarbeit mit Sportwissenschaftlern ein Fußball-Shirt entwickelt, das automatisch durch eingebaute Elektro-Kardiogramm-Sensoren (EKG) die Herzfunktion überwacht. Zudem wird die Schweißabsonderung durch integrierte Siliziumgelstreifen gemessen. Die Daten werden zu einem Laptop oder Handheld am Spielfeldrand übermittelt, so dass der Coach stets den Überblick über den körperlichen Zustand seines Teams hat und ermüdete oder dehydrierte Spieler auswechseln kann. (…) Evans bastelt (auch) an einer Einlegesohle mit Drucksensoren, die vor Ort jeweils klären soll, ob die Härte des Fußballfeldes mit dem gewählten Schuhwerk harmoniert oder ob durch den Stollendruck eine Verletzungsgefahr besteht. Sein Anliegen ist es, jede gesundheitliche Gefährdung der Fußballer auszuschließen. (…) Aus Deutschland kommt ein funkbasiertes Echtzeit-3-D-Ortungssystem, das bei der nächsten Weltmeisterschaft als elektronischer Schiedsrichterassistent eingesetzt werden soll. (…) Kleine und leichte Funksender werden in die Schienbeinschoner der Spieler eingebaut, auch der Ball wird digital verwanzt. Die Daten werden von mehreren Antennen in verschiedener Höhe rund um den Rasen erfasst und an Computer weitergeleitet und dort aufbereitet. Dadurch soll sofort deutlich werden, ob der Ball im Aus ist oder hinter der Torlinie. Abseitspositionen von Spielern sollen zweifelsfrei festgestellt werden – wobei hier noch die Schwierigkeit besteht, dass nach den Regeln die Position des Gesamtkörpers entscheidend ist.“
Die führenden Vereine, vor allem in Südeuropa, suchten Prestigeobjekte
Ronald Reng (FTD 2.7.) erklärt den Kicker-Goldrausch für beendet: „Als Messe, auf der Spieler auf die Schnelle neue lukrative Verträge ergattern können, hat eine EM kaum noch Bedeutung. „30 bis 50 Anrufer hatte ich auch, die natürlich alle die besten Angebote für Angelos hatten, von Real Madrid bis Barcelona“, sagt Koutsoliakos und lacht. „Aber das sind diese Vermittler, die musst du sofort abblocken, sonst machen sie dich wahnsinnig mit ihren Luftschlössern.“ Ein paar direkte Anfragen von Vereinen habe es gegeben – ein großer Klub, war nicht dabei. Bei der EM 2000 war das noch anders. Damals machten der Serbe Savo Milosevic mit fünf und der Portugiese Nuno Gomes mit vier Toren auf sich aufmerksam. Der AC Parma zahlte 25 Mio. Euro für Milosevic an Real Saragossa, der AC Florenz 19 Mio. Euro für Gomes. Die führenden Vereine, vor allem in Südeuropa, suchten Prestigeobjekte, die ihnen die eigene Größe bestätigen sollten. Mittelklasse-Vereine nutzten die EM zur Schnäppchenjagd. Doch der Goldrausch ist passé, viele Klubs sind verschuldet. Der einzige wichtige Transfer der EM – der Schwede Henrik Larsson wechselt von Celtic Glasgow zum FC Barcelona – fand ohne Ablöse statt. Aber der Geldmangel ist nicht alles – Starkult ist out. Das Scheitern der „Galaktischen“ von Real Madrid und der Champions-League-Sieg des FC Porto verdeutlichen, dass die Klubs nach der perfekten Mannschaft suchen, nicht nach Stars. Zudem ist das Scouting professioneller geworden. Vorbei die Zeiten, als der damalige Trainer von Newcastle United, Kevin Keegan, bei der WM 1994 zu Hause saß und den Schweizer Marc Hottiger, den er zum ersten Mal sah, vom Fernseher weg verpflichtete. Heute gibt es bei einer EM keine Fußballer mehr, „die wir nicht schon kennen“, sagt Husnija Fazlic, Chefscout von Werder Bremen.“