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Interview mit Franz Böhmert und Jürgen Friedrich, EM-Fazit der NZZ
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| Sonntag, 4. Juli 2004FR-Interview mit Franz Böhmert und Jürgen Friedrich über die Qualität Otto Rehhagels – die NZZ zieht ein EM-Fazit: “leistungsmässig und substanziell lag das Turnier ziemlich genau in der Mitte zwischen seiner Vorgängerin vor vier Jahren sowie der WM in Ostasien 2002” u.v.m.
Otto, Du bist der prädestinierte Mann dafür
FR-Interview mit Franz Böhmert und Jürgen Friedrich, Weggefährten Otto Rehhagels
FR: Können Sie für uns das Erfolgsgeheimnis von Otto Rehhagel lüften?
FB: Er ist ein exzellenter Taktiker. Er weiß genau, wie er wo welchen Spieler einsetzen muss. Ich erzähle Ihnen mal ein Beispiel: Irgendwann in den 80ern liegen wir mit Werder ganz schnell 0:2 in Leverkusen zurück. Da bringt der Otto Manni Burgsmüller und Norbert Meier, es waren noch keine 20 Minuten gespielt. Hinter mir saßen Leverkusener Fachmänner und haben sich über den Otto lustig gemacht. Wir haben 3:2 gewonnen, Burgsmüller und Meier haben die Tore gemacht. Da habe ich mich umgedreht und denen gesagt: „Und deshalb verdient der Otto ein paar Mark mehr und ist bei uns.“
JF: Otto erkennt Stärken von Spielern wie kein anderer. Er sagt dem Dellas, seinem Koloss von Rhodos: „Du bist 1,93 Meter groß. Wenn du zehnmal über die Mittellinie gehst, bist du bald mausetot, mach‘ es dreimal, aber dann im richtigen Moment.“
FR: Rehhagels Ansprache galt immer als seine große Stärke. Aber er kann ja kein griechisch und es klappt trotzdem. Wieso?
FB: Weil er sehr viel mit der Körpersprache arbeitet. Die kommt auch in Griechenland an. Haben Sie ihn dabei mal beobachtet? Er macht das unglaublich gut. Er ist ein großer Psychologe.
JF: Er ist ein sehr gut erzogener Mensch. Das spüren die Leute. Er kehrt nicht den Deutschen raus und biedert sich auch nicht an. Er macht deutlich, dass er im Herzen Deutscher ist, aber die Griechen liebt. Die Leute merken: Der meint das ernst.
FR: Wie schafft er es, aus durchschnittlichen Spielern so gute Mannschaften zu formen?
JF: Er ist ein Menschenfreund. Er kommt an die Herzen der Spieler. Er kann sie unheimlich stark reden. Aber er ist auch Realist. Dem Jens Nowotny hätte er gesagt: „Jens, Du bist noch ein Reha-Patient. Arbeite an Dir, werde fit, danach bist Du mein Mann.“ Aber eben erst danach. Das hätte Otto erkannt.
FB: Er ist wie ein Vater für alle seine Spieler. Aber er war auch bereit, den von ihm hoch geschätzten Klaus Fichtel nach 20 Minuten auszuwechseln, um auf eine offensivere Taktik umzustellen. Wenn er gewollt hätte, wäre er noch immer Trainer bei uns.
FR: Wäre er auch der richtige Mann als Bundestrainer?
JF: Ich habe ihm schon vor Jahren gesagt: Otto, Du bist der prädestinierte Mann dafür. Aber ich glaube, dass er bei Griechenland im Wort steht. Er hat sein Wort bisher immer gehalten. Aber es wird dort jetzt ganz schwierig. Nach der Meisterschaft mit dem 1. FC Kaiserslautern hat er zu mir gesagt: „Jetzt haben wir den Salat.“ Da hat er recht behalten.
FB: Er wäre auf jeden Fall ein geeigneter Kandidat. Er ist Weltklasse, dieser Otto.
Welche Note bekommt die EM? Felix Reidhaar (NZZ 5.7.) verteilt „gut”: “Leistungsmässig und substanziell lag das Turnier ziemlich genau in der Mitte zwischen seiner Vorgängerin vor vier Jahren sowie der WM in Ostasien 2002. An das durchschnittliche Spielniveau der Euro 2000 reichte diese Endrunde nicht ganz heran – vielleicht war es dafür vor allem nachmittags zu heiss. Aber ein Turnier der Müdigkeit, wie überspitzt der World Cup vor zwei Jahren bezeichnet wurde, war sie höchstens partiell, und für die Favoriten. Denn jene Mannschaften bzw. Professionals, die unter konstruktiven und offensiven Geistern auf der Trainerbank einen intensiven Rhythmus einzuschlagen versuchten, drückten den drei Fussball-Wochen den Stempel auf. Es waren dies ausgeprägt die „Kleinen“, die im Konzert der Grossen den Solopart an sich rissen. Sie zogen Nutzen daraus, dass die europäischen Cracks in den Spitzenklubs aus den führenden Ligen müde ans Westende Europas kamen, gezeichnet von oft bis zu 60 Ernstkämpfen (oder mehr) während der Saison, zum Teil auch überheblich ihres Status wegen und vielleicht übersättigt. Am Beispiel von Real Madrid lässt sich dies am besten veranschaulichen; die Krise in Bernabeu war manchem Star anzumerken – ausser Figo. Die Teams aus kleineren Verbänden zählten auf frischere, motiviertere und jüngere Spieler, die sich in der Emigration noch nicht durchgesetzt haben und wegen der geringeren Belastung von Teileinsätzen noch Kraftreserven aufbieten konnten. Sie sprühten vor Tatendrang, waren noch hungrig, erfüllten die athletischen Grundvoraussetzungen und wirkten ambitioniert auf der nicht alltäglichen Bühne der Eigenwerbung: Rooney, Ronaldo II, Baroš, Robben, Cassano, Ricardo Carvalho, Miguel, Seitaridis, Charistea, Ibrahimovic, Poulsen, Heinz, Lahm, um die auffälligsten der „neuen“ Generation zu nennen. Für manch anderen mag „Portugal“ das letzte grosse Turnier gewesen sein.“
“Fest des Fußballs” – ein euphorisches Fazit der FR
Die FR nennt die Gewinnerder EM und die Verlierer
“Während der Europameisterschaft in Portugal haben deutsche Feuilletonisten wieder einmal versucht, sich dem gesellschaftlichen Phänomen Fußball gedanklich zu nähern.“ Eine Collage der taz
Die FAZ (5.7.) meldet: “Francesco Totti hat um göttliche Vergebung für seine Spuckattacke bei der Euro in Portugal gebeten. Am Schrein der Heiligen Madonna der Göttlichen Liebe südlich von Rom wurden nach einem Bericht der „Gazzetta dello Sport“ eine Karte und sein Trikot mit der Nummer 10 niedergelegt. „Ich bitte Dich, mir zu vergeben und mich niemals zu verlassen“, stand auf der handschriftlich verfaßten Karte.”
Hollands Fußball scheitert nicht zuletzt an der Urteilsfreude der Holländer, meint Siggi Weidemann (SZ/Feuilleton 5.7.): “Eines der hartnäckigsten Missverständnisse betrifft die Qualität des holländischen Fußballs, das über keine intelligenten Spieler verfüge. Kolumnist Frits Abrahams: „Dieser Mythos ist ein schwer zu bekämpfendes Virus. Die Niederlande sind kein Fußball-Land, sondern ein Fußball-Streitland. Deshalb werden sie nie Fußball-Weltmeister werden.““
Marcus Jauer (SZ/Medien 5.7.) schaut Wetten dass: „Es brauchte erst einen wegen Erfolglosigkeit zurückgetretenen Fußball-Teamchef, bis die Waldbühne geschlossen aufstand und klatschte. Rudi Völler, so sahen es alle auf der Leinwand, drang die Rührung ins Gesicht, während er in der zum Steinbruch dekorierten Bühne stand. Gottschalk, der angekündigt hatte, Rudi sei vor Fachfragen sicher, erkundigte sich zuerst nach dessen Plänen für eine neue Frisur, bevor er fragte: „Du bewirbst Dich ja mit Harald Schmidt um den besten Rücktritt des Jahres. Glaubst Du, dass DFB-Präsident Mayer-Vorfelder Dir noch den Rang ablaufen kann?“ Völler glaubte das nicht und bat wieder für alle und jeden um Verständnis. Dann liefen nochmal Bilder des Portugal-Ausflugs, bei dem Völler alle Hoffnung auf Überdurchschnittlichkeit mit einem einzigen Schulterzucken erledigt hatte. „Es ging eben nicht besser.“ Das muss man ihm erst mal nachmachen.“
Axel Kintzinger (FTD 5.7.) freut sich auf die Bundesliga: “Für die Korrespondenten in Portugal werden die Entzugserscheinungen besonders schlimm. Wie weiterleben, ohne die warme Singsangstimme von Luis Felipe Scolari? Worüber reden, wenn nicht über den weinenden Pavel Nedved? Worüber lästern, wenn nicht über Otto Rehhagels ungebetene Proseminare zu journalistischer Ethik? Wovon träumen, wenn nicht von Zlatan Ibrahimovics Hackensprungseitfalldrehtor gegen Italien? Und überhaupt: Was trinken, wenn nicht Vinho Verde? Aber das Schlimmste kommt noch. Irgendwann im August fängt in Deutschland die Fußball-Bundesliga an, auch so eine alte Liebe. Wie konnten wir uns jemals in sie verknallen? Dann heißt es: Wolfsburg gegen Rostock statt Holland gegen Tschechien. Freier statt Figo, Rydlewicz statt Ronaldo. Regen statt Sonne.”