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Strafstoß #18 – Gib mich die Kalebasse – transtheologische Erläuterungen der Fußballergebnisbeeinflussung

Oliver Fritsch | Sonntag, 4. Juli 2004 Kommentare deaktiviert für Strafstoß #18 – Gib mich die Kalebasse – transtheologische Erläuterungen der Fußballergebnisbeeinflussung

von Mathias Mertens

Es müssen ja nicht immer gleich Verschwörungen hinter bestimmten Spielkonstellationen und –ergebnissen stecken – etwa, daß man nach Rehhagels Äußerung im Spiegel-Interview „Ich kenne Markus Merk schon, seit er 15 Jahre alt war und ich noch Spieler auf dem Betzenberg. Er ist ein ausgezeichneter Schiedsrichter.“ vermutet, bestimmte Kreise in der UEFA verfolgen seit 27 Jahren einen Plan, der dazu führen sollte, daß Griechenland eine Europameisterschaft gewinnt. Das kann schon deshalb nicht stimmen, weil Otto Rehhagel nachweislich nur bis 1972 in Kaiserslautern spielte, danach sofort als Co-Trainer in Offenbach anheuerte und während des 16. Lebensjahres Merks (geb. 1962) in Dortmund auf der Trainerbank saß. Aber wie gesagt, es müssen nicht gleich Verschwörungen vermutet werden. Meistens steckt da bloß handfester Voodoo-Zauber dahinter. Häh? Ja, richtig gelesen. Oder haben Sie noch nie den Verlauf eines Spieles dadurch beeinflusst, indem Sie zum Kühlschrank oder aufs Klo gegangen sind und dadurch ein Tor verursachten? Na sehen Sie. Ich selbst habe sogar das Viertelfinale Portugal gegen England zum besten Spiel des Turniers gemacht, weil es die einzige Partie war, die ich nicht sehen konnte. Und Friedrich Christian Delius erleichterte 1994 sein Gewissen, als er in „Der Sonntag, an dem ich Fußballweltmeister wurde“ gestand, für den frühen Doppelschlag der Ungarn verantwortlich gewesen zu sein: „Ich faßte es nicht sofort, völlig überrascht, und das Schlimmste an der Enttäuschung über das Tor war, daß ich mich ertappt fühlte, weil ich dazu beigetragen hatte: mein Hochgefühl am Radio in Wehrda hatte auf dem Spielfeld in Bern den Gegenschlag ausgelöst. Das Tor fällt immer dann, wenn man überheblich und leichtfertig wird, dann paßt man nicht auf, dann passiert es, so viel verstand ich vom Fußball.“

Die Mischreligion Voodoo und die Parareligion Fußball sind von jeher in einer unheimlichen Allianz verbunden. Das beginnt schon bei ihrem Vokabular. Mit „Vodun“, „Orisa“, „Hun“ oder „Tron“ wird in den verschiedenen Kwa-Sprachen der afrikanischen Stämme das bezeichnet, „was man nicht ergründen kann“. Im Trappatonischen wird Fußball als „Ding, Dang, Dong“ beschrieben, denn „es gibt nicht nur Ding“. Und daß man trotz entgegenlautender Aussagen ein Spiel nicht lesen, also ergründen kann, zeigen schon die tautologischen Ontologismen des Existentialschamanen Sepp Herberger, für den das Spiel das Spiel, der Ball der Ball und der Platz der Platz war. Oder, wissenschaftlich präziser gefaßt: „Hinsichtlich der Fußball-Rituale fehlt die eindeutige Interpretation: 1. weil die Kontingenzbewältigung Fußball einer inneren Kontingenz unterliegt: Der Ausgang des Fußballspiels ist nicht vorherbestimmbar.“ So Dietmar Kehlbreier in seiner Studie Ein Tor zum Leben? Säkulare Rituale und ihre Bedeutung für die kirchliche Kasualpraxis Statt also Eindeutigkeit zu erreichen, steht im Zentrum des Voodoo die kultische Inkorporation der „Loa“, der Gottheiten, durch Besessenheitstrance. Im Zentrum des Fußballs steht die kultige Inkorporation der „Ola“, der Welle an Begeisterung, die von Zuschauerrängen bis zum Torwart durchs Stadion schwappt und Milliarden von Menschen an Altären weltweit in Trance versetzt.

Die augenfälligste Gemeinsamkeit ist aber in der Kosmologie zu sehen. Nicht nur Dirk Schümer hat ja ausgeplaudert, an was die Eingeweihten in die Fußballreligion denken, nämlich daß Gott rund sei – ursprünglich eine mit Lumpen umwickelte Schweinsblase, inzwischen ein mit Längen- und Breitengraden versehener und in patentierter Klebetechnik hergestellter Globus namens Roteiro. Entsprechend ist das Universum im Voodoo eine getrocknete Kalebasse, deren zwei Hälften Himmel und Erde bilden. In diesem geschlossenen System gibt es kein Oben und Untern, keine Trennung von Leben und Tod, Menschlichem und Nichtmenschlichem. Und in beiden Religionen, Voodoo und Fußball, muß man sich für alles, was man tut, sofort vor den Göttern verantworten. Diese haben durchaus menschliche Charakterzüge und können fröhlich und großzügig, aber auch launisch und wütend sein. Sie helfen nicht nur, sondern sie strafen auch – etwa, wenn ihnen nicht der nötige Respekt für ihren Siebziger-Jahre-Fußball/Voodoo gezollt wird, oder wenn gegen die religiösen oder sittlichen Gebote verstoßen wurde, die da sagen, daß man zu gewinnen hat, der Gegner niemals besser war und es keine Zwerge mehr gibt. Dann lassen die Götter Krankheiten, Dürre oder Kolumnen über einen kommen.

Also: heute abend sich einfach zum (immer schon praktizierten) Voodoo bekennen und für einen genehmen Verlauf des Endspiels sorgen. Zum Beispiel, indem man statt der europäischen Variante der Puppenmagie, den Panini-Bildern, tatsächlich mal kleine Puppen aus Wachs, Stoff und Sisal bastelt und manipuliert. Dabei muß man allerdings auf die Farben achten. Rote, grüne, rosa und schwarze Puppen, die für Sex, Glück im Spiel, Erfolg bzw. Abwehr von bösem Zauber sorgen würden, hätten schon innerhalb der Woche geweiht werden müssen. Am heutigen Sonntag lassen sich nur noch weiße, die für Friede, Ruhe, Heilung und Gesundheit sorgen, und gelbe, die das Böse, Ängste und Depressionen vertreiben, an den Start bringen. Völlig sinnlos wäre es, blaue Puppen herzustellen, um die Griechen zu piesacken oder sie anzustacheln, denn diese Farbe hat keinerlei magische Wirkung. Ansonsten empfiehlt es sich natürlich weiterhin, auf die Toilette zu gehen, um das Spielergebnis zu bestimmen. Egal in welche Richtung.

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