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Deutsche Elf

Otto Rehhagel ist amtlich

Oliver Fritsch | Montag, 5. Juli 2004 Kommentare deaktiviert für Otto Rehhagel ist amtlich

Otto Rehhagel folgt auf Rudi Völler, das ist wohl amtlich (SZ) – “wie weit der Weg für Deutschland zurück an die Spitze ist, hat diese EM in aller Schönheit gezeigt” (FAZ) / FAZ-Interview mit Jürgen Klinmann über das Defizit im deutschen Fußball / “ganz gewiß muß der deutsche Fußball seine Strukturen in der Nachwuchsarbeit selbstkritisch hinterfragen, will er zu alter Stärke zurück” (FAZ) – Interview mit Ottmar Hitzfeld (Tagesanzeiger) u.v.m.

Jämmerlich

Ludger Schulze (SZ 5.7.) ärgert sich über die Trainersuchenden – in Vergangenheit und Gegenwart: “Tatsächlich wäre es ehrlicher, den künftigen Teamchef per TED-Umfrage ermitteln zu lassen, weil die Angelegenheit an Populismus ohnehin nicht zu überbieten ist. Nachdem der griechische Nationaltrainer Otto Rehhagel von Bild auf den Favoritenschild gehoben wurde, kann an seiner baldigen Ernennung kaum mehr ein Zweifel sein. Kolumnist der Nackedei-Gazette ist Franz Beckenbauer, der einflussreichste Mann im deutschen Fußball. Und damit ist die Personalie quasi amtlich. Nun sei in diesem Zusammenhang auch daran erinnert, dass es Beckenbauer war, der im Jahre 1996 als Präsident des FC Bayern jenen Rehhagel wegen Unfähigkeit fristlos entließ. Rehhagel, argumentierten die Münchner seinerzeit, habe es an Inkompetenz nahezu mit seinem Vorvorgänger Erich Ribbeck aufgenommen, er sei unbelehrbar, selbstgerecht, jeder Kritik gegenüber unempfänglich und taktisch hinter dem Mond. Was nun – ist Rehhagel in Griechenland als Ander-Otto wiedergeboren worden, oder haben die Bayern einen furchtbaren Irrtum eingesehen? Rehhagel hat auf dem Peloponnes glanzvolle Arbeit geleistet, was niemand bezweifeln kann. Vielleicht auch deshalb, weil er einen geschickten Übersetzer hat, der die selbstverliebten Tiraden des Meisters besser verschweigt und somit möglichen Unmut von vornherein erstickt. Hierzulande sind die aus der Vergangenheit rührenden Vorbehalte gegen Rehhagel durch seinen Erfolg hinweg geschwemmt worden. Und dabei spielen die Bayern erneut eine ähnliche Rolle wie im Jahr 1998. Damals wurde Erich Ribbeck als Nachfolger von Berti Vogts installiert, obwohl sich die gesamte Branche hinter vorgehaltener Hand über den Rentner aus Teneriffa lustig machte. Die Großhirne des FC Bayern, Beckenbauer, Hoeneß, Rummenigge, verschwiegen ihre Kenntnisse und ließen das Nationalteam ins Verderben der EM 2000 laufen. Es musste erst ein kleiner, aufrichtiger Mann wie Jens Jeremies kommen, um den Zustand dieser Mannschaft als das zu bezeichnen, was er war: jämmerlich.“

Wie weit der Weg für Deutschland zurück an die Spitze ist, hat diese EM in aller Schönheit gezeigt

Michael Horeni (FAZ 5.7.) fügt hinzu: “Die Erfolgsgeschichte von Rehhagel sollte nicht darüber täuschen, daß moderner Fußball erfreulich anders aussieht als in seiner griechischen Variante. Aber in Deutschland erscheint für dringend nötige frische Spielideen angesichts einer schwierigen Trainersuche die Zeit noch immer nicht reif. Bis zur WM sind es nur noch 23 Monate, und es wird dem Nachfolger Völlers, wie auch immer er heißen mag, kaum gelingen, die Defizite nach vielen verschenkten Jahren auszugleichen. Wie weit der Weg für Deutschland zurück an die Spitze ist, hat diese EM in aller Schönheit gezeigt.”

So einen Rummel um meine Person habe ich noch nie erlebt

Fredy Wettstein (Tagesanzeiger, Zürich 4.7.) spricht mit Ottmar Hitzfeld: “Dunkel hängen die Wolken in den steilen Bergwänden, dazwischen scheint die Sonne wieder, und die Aussicht von der Terrasse der Dachwohnung im Haus ist imposant, unten liegt das Dorf Engelberg, gegenüber der Titlis. „Und dort“, und Ottmar Hitzfeld zeigt auf die linke Seite, „liegt der Golfplatz, es ist ein wunderschöner Platz.“ Hitzfelds Gesicht ist entspannt, er strahlt, lacht, ist bester Laune, und als später, drinnen im Wohnraum, seine Frau Beatrix den Fernsehen einschaltet und beim Zappen auf das Deutsche Sportfernsehen kommt, wird ein EM-Talk aus Lissabon gesendet. Auch Udo Lattek plaudert in der Diskussionsrunde, und er sagt: „Irgendwann kommt die Wahrheit heraus“ und man werde die Hintergründe kennen, weshalb Ottmar abgesagt habe. Auch andere stellen ihre eigenen Theorien auf, und Hitzfeld sieht sich alles an, nicht sehr konzentriert, eher amüsiert, schmunzelt immer wieder. Irgendwie scheint es nicht, als sitze einer hier und höre zu, wie über ihn geredet und spekuliert wird, sondern als würden sie eher über einen Fremden reden, als sei für ihn alles weit weg. Auf dem Tisch vor ihm liegt auf einem Stapel die „Süddeutsche Zeitung“ vom Samstag, „Deutschland spekuliert“ heisst ein Titel, darunter die „Bild“ vom Vortag, „Chaos nach Hitzfelds Absage“ war die Schlagzeile auf der Frontseite gewesen. Daneben liegt auch „Der Methusalem-Komplott“ von Frank Schirrmacher, das Buch des Herausgebers der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, das sich mit dem Problem des Älterwerdens befasst. Schon seit langem wollte es Hitzfeld lesen, und „jetzt habe ich endlich auch dazu Zeit und ich freue mich“, sagt er. Lattek plaudert am TV weiter drauflos.”

T: An diesem Wochenende müssten Sie aber in Lissabon sein, um den Vertrag als neuen deutschen Bundestrainer zu unterschreiben.
OH: Ich hatte mich vor einer Woche in Sevilla mit Gerhard Mayer-Vorfelder getroffen, und er wollte, dass ich zusammen mit Karl-Heinz Rummenigge nochmals nach Portugal komme. Aber das ist kein Thema mehr. Wenn man einmal abgesagt hat, dann ist der Entschluss endgültig, dass habe ich auch MV mitgeteilt.
T: Es gab seither für Sie nie einen Zweifel, ob Sie richtig entschieden haben?
OH: Überhaupt nicht, im Gegenteil: Eher Erleichterung. Der Druck, der aufgesetzt wurde, war ja immens . . .
T:. . . alle wollten, dass Sie es machen.
OH: Ich spürte eine grosse Unterstützung bei den Medien, in der Öffentlichkeit, auch viele Freunde haben angerufen, mir schon gratuliert. Ich kriegte viele SMS, und das hat meine Entscheidung natürlich noch schwerer gemacht.
T: Die Debatte, die in Deutschland nach dem Rücktritt von Rudi Völler losging, war enorm, nur zu vergleichen mit Diskussionen um einen neuen Bundeskanzler.
OH: So einen Rummel um meine Person habe ich noch nie erlebt, obschon ich ja schon vieles kannte und schon manche Schlagzeile geliefert habe. Aber diesmal ging es in eine Richtung, die schon unglaublich war.
T: Unvorbereitet waren Sie aber nicht.
OH: Ich hatte es seit einigen Wochen gespürt. Zwischen den Zeilen konnte man ja lesen, dass Rudi Völler bei einem Scheitern vielleicht aufhört . . .
T:. . . und Sie dann zum Thema werden.
OH: Deshalb konnte ich ja meine Ferien auch nicht richtig geniessen. Ich spürte, dass der Druck, den ich in den letzten sechs Jahren bei Bayern München hatte, bald wieder kommen könnte. Und wenn man weiss, dass man keine Topleistungen bringen kann, als Trainer auf die Spieler nicht eine riesige Begeisterung und Freude ausstrahlt, dann helfe ich mir nicht und auch Deutschland nicht. Nur ein Amt anzunehmen, weil es eine Ehre, ein Traum . . . (er macht eine Pause und sagt dann Natürlich ist jetzt ein Traum geplatzt. (Nochmals Pause) Aber was nützt mir, das Amt anzunehmen und dann zu scheitern und die Gesundheit zu riskieren. Das ist ein zu hoher Preis. Das wäre in höchstem Masse unvernünftig.
T: Am Tag, als Völler zurücktrat, machten Sie aber den Eindruck, als seien Sie bereit und wollten deutscher Bundestrainer werden.
OH: Innerlich wehrte ich mich zwar dagegen, aber ich war im Zwiespalt. Das Herz war dafür, aber die Vernunft sagte nein. Und da wusste ich, jetzt gibt es in dir drin eine Auseinandersetzung. Wer übernimmt die Oberhand?
T: Aber Sie sagten, Sie seien bereit.
OH: (energisch) Die Medien haben es so interpretiert. Ich sagte immer nur, es sei offen. Ich sagte damals dem Journalisten der „Welt“, der mich als Erstes angefragt hatte, ich sei offen. Daraus wurde aber überall die Schlagzeile, Hitzfeld sei bereit.
T: Wie sind ihre Gefühle heute?
OH: Als der Entscheid definitiv war, das Communiqué draussen, da habe ich schon mit den Tränen kämpfen müssen.
T: Tränen?
OH: Nicht Freudentränen, mehr Traurigkeit. Vom Herzen wollte ich es ja machen, und vom Herzen her war ich enttäuscht. Aber es war auch eine Befreiung: Jetzt ist es draussen. (Pause) Aber jetzt, heute, spüre ich, wie erleichtert ich bin. Jetzt beginnen die Ferien, jetzt kommt die innere Zufriedenheit, kann ich befreit das Leben geniessen. Ich freue mich jetzt auf das EM-Finalspiel, jetzt kann ich auch einmal ein Fan sein.
T: Ein neues Gefühl für Sie.
OH: Das können doch viele nicht begreifen: Als Trainer kannst du das Spiel nie geniessen. Du hockst in der Kabine, hast Angstschweiss auf der Stirn, machst dir Gedanken, was kannst du vielleicht während des Spiels ändern, welche Spieler, ein anderes System? (Pause) Das Champions-League-Final beispielsweise habe ich nicht genossen, das war purer Stress.
T: Verrückt, Sie sind in einem Beruf tätig, der eigentlich keinen Spass, keine Freude bereiten kann.
OH: Das ist doch wie ein Clown im Zirkus. Rolf Knie hat mir einmal erzählt, wie er vor einem Auftritt Weinkrämpfe hatte, Nervenzusammenbrüche. Er musste rausgehen, wusste, dass er lachen und Witze machen muss, und er war manchmal nicht in der Laune, sondern in einer angespannten und traurigen Stimmung. Das ist ein enormer Druck, Stress.

Jämmerlich
FAZ-Interview (5.7.) mit Jürgen Klinsmann über Deutschlands Fußball

FAZ: Beinahe jede Fußballnation hat einen Ronaldo, einen Rooney oder Robben. Was hat der deutsche Fußball zu bieten im Hinblick auf die WM 2006 im eigenen Land?
JK: Abgesehen von den Talenten, die wir auch haben wie Lahm, Hinkel und Schweinsteiger, sind wir an einem sehr kritischen Punkt angelangt, an dem wir über unsere Gesamtstruktur nachdenken müssen. Es sind ein paar Fehler passiert nach dem Ausscheiden, die einfach nicht passieren durften. Wir stehen vor der einmaligen Situation, eine WM im eigenen Lande zu haben. Wir haben die Chance, uns zu präsentieren, wie wir sie in den nächsten dreißig, vierzig Jahren nicht mehr bekommen werden. Deshalb können wir es uns einfach nicht erlauben, ein so unwürdiges Bild abzugeben.
FAZ: Was ist des DFB unwürdig?
JK: Es geht damit los, daß Rudi Völler einen Tag nach dem Ausscheiden seinen Rücktritt erklärt. Da hätte jemand da sein müssen, der das abfängt, der gesagt hätte: Rudi, laß uns mal vier, fünf Tage die Sache analysieren, und dann kannst du immer noch zurücktreten, wenn du unbedingt möchtest. Wir müssen dringend eine Art Manager für die Nationalmannschaft schaffen. Es muß jemand da sein mit Stärke und Ausstrahlung, der dem Trainer zur Seite steht, der auch mal als Schutzschild dient.
FAZ: Wer könnte diesen Posten übernehmen?
JK: Wir haben genügend qualifizierte Manager in den Bundesligaklubs, die diese Ausstrahlung haben. Es muß jede Position mit Profis besetzt sein. Was macht ein Uli Hoeneß seit dreißig Jahren beim FC Bayern? Er ist ein Auffangbecken für Spieler, Trainer und die Vereinsoberen, nur beim DFB wehrt man sich dagegen, weil da wohl Ego-Gedanken eine Rolle spielen.
FAZ: Es sind also neue Personen gefordert im DFB?
JK: Es muß dringend überlegt werden, wie sich der Verband weiter zeigen möchte. Im Ausland wird über uns gelacht, weil wir ein jämmerliches Bild abgeben. Es kann doch nicht sein, daß man direkt nach Völlers Rücktritt auf einen Trainer zugeht, um ihn zu verpflichten. Es wurde nur versucht, von den eigenen Schwächen abzulenken und schnell jemanden zu präsentieren. Vielleicht hätte Ottmar Hitzfeld in zwei, drei Monaten ganz anders gedacht.

Wie geht es weiter in der Trainersuche? taz

“Ganz gewiß muß der deutsche Fußball seine Strukturen in der Nachwuchsarbeit selbstkritisch hinterfragen, will er zu alter Stärke zurück”, schreibt Michael Ashelm (FAZ 5.7.), nachdem er mit Experten gesprochen hat: “Es gibt genug Fachleute, die nicht an ein schnelles Comeback des deutschen Fußballs glauben. „Es hat sich nichts getan. Wir müssen so ehrlich sein und endlich erkennen, daß wir nicht mehr das Niveau der Spitzenteams haben“, sagt Felix Magath. „Was in der Bundesliga zu sehen ist, genügt fußballerisch und mental nicht erstklassigen Ansprüchen.“ Der neue Trainer des FC Bayern München, der in Stuttgart mit Philipp Lahm, Kevin Kuranyi und Andreas Hinkel drei junge Spieler in die Nationalmannschaft brachte, gehört zu den schärfsten Systemkritikern. Längst hat die deutsche Trainergilde erkannt, daß der schöne Erfolg als WM-Zweiter von 2002 die Probleme der Kickernation nur kurzzeitig überdecken konnte. Mit dem Powerfußball aktueller Prägung tun sich deutsche Spieler schwer. „Die EM hat bestätigt: Der moderne Profi braucht totale Fitneß, Technik in allerhöchstem Tempo und taktische Disziplin“, sagt Falko Götz (…) Die Wohlstandsgesellschaft mit all ihren negativen Auswirkungen fördert nicht gerade den Spitzensport: schlechte Ernährung, Übergewicht, vielerlei Ablenkungen. Die Zahl der Sportstunden in den Schulen geht zurück, Kinder zeigen wegen Bewegungsmangels körperliche und koordinative Defizite. Zudem fehlt oft der Antrieb, die Sportleidenschaft zum sozialen Aufstieg zu nutzen. Zwar ist die Begeisterung in Deutschland für Fußball ungebrochen, doch es fehlt die Konstanz auf dem Platz. Der DFB, größter Sportfachverband der Welt, zählt in seiner aktuellen Mitgliederstatistik mehr als 1,3 Millionen Kinder und Jugendliche bis 14 Jahre. Doch davon bleibt in der Altersgruppe bis 18 Jahre meist nur etwas mehr als ein Drittel der Jugendlichen übrig. Es scheint, andere Länder arbeiteten effektiver. „In Skandinavien, Holland oder England wird viel gezielter und mit mehr Fachwissen gefördert“, sagt Ralf Rangnick, der Querdenker unter den Trainern. Er fordert mehr Konzentration auf die Fußballkinder. „Fünf, sechs Jahre – das ist das beste Lernalter“, sagt Rangnick. „Da bräuchten wir gut ausgebildete Fachkräfte. In den meisten Vereinen wird doch hier nur ein reduziertes Erwachsenentraining angeboten.“ Es fehlen qualifizierte Trainer und eine gezielte Trainerausbildung. Immer noch spielt bei der Schulung für die A- oder B-Lizenz das Kindertraining eine Nebenrolle. Für die Altersgruppe der Jugendlichen hat der DFB vor zwei Jahren ein Nachwuchsprogramm aufgelegt. 390 Stützpunkte sind über das Land verteilt und sollen Jahr für Jahr rund 22 000 talentierten Kickern eine „Sonderförderung“ neben der Vereinsarbeit ermöglichen. „Ein Tropfen auf den heißen Stein“, sagt Rangnick. Insgesamt werde in Deutschland noch viel zuwenig trainiert. „Bei uns gehen C-Jugendspieler im Leistungsbereich dreimal pro Woche auf den Platz. In Holland siebenmal.“ Und auch die vielzitierten Nachwuchsleistungszentren der 36 deutschen Profiklubs, Bedingung für eine Lizenzerteilung in der ersten und zweiten Liga, „erfüllen nur zu einem Drittel die Forderungen auf dem Papier“, sagt ein Bundesliga-Insider, der nicht genannt werden will.”

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