Vermischtes
Es fehlt die Kultur des Sieges
Kommentare deaktiviert für Es fehlt die Kultur des Sieges
| Montag, 5. Juli 2004Euphorie und Tatendrang in Griechenland, „ist wirklich Rehhagel-Land“ (SZ) – „es fehlt den Schweizern die Kultur des Sieges“ (FAZ) – TV-Dokumentation (ARD) über die WM 74 u.v.m.
Michael Martens (FAZ/Politik 6.7.) schildert Euphorie und Entschlossenheit in Athen: „Der Tag nach dem Wunder beginnt still in Athen. Stiller als üblich jedenfalls, denn nach den Feiern der vergangenen Nacht erwacht die Stadt später als sonst. Ab acht Uhr morgens, so steht es auf einem kleinen Schild neben dem Eingang zum Museumsgelände der antiken Agora, des vorchristlichen Zentrums von Athen, seien die Tore für Besucher geöffnet. Doch an diesem Tag regt sich um diese Uhrzeit vielerorts noch nichts in der griechischen Hauptstadt, und auch das kleine Wärterhäuschen neben dem Eingang scheint heute erst etwas später besetzt zu werden als sonst. Aber niemand ist erbost darüber, denn alle wissen, daß dieser Montag kein normaler Tag ist in Griechenland, sogar die beiden älteren Damen aus Amerika, die nichts ahnend in den lautstarken Freudentaumel geraten waren und nun immer noch rätseln, was wohl am „soccer“ das Besondere sei, der ein ganzes Volk gleichsam außer Betrieb setzen kann. Viele Athener, die sonst durchaus ruppig miteinander umgehen, begrüßen sich an diesem Morgen mit einem freundlichen Lächeln. Man beglückwünscht einander, und es wirkt so, als habe das ganze Land Geburtstag. Schließlich hat in der vorigen Nacht der Essener Fußballehrer Otto Rehhagel (die griechischen Fernsehkommentatoren legen mit Wonne die Betonung auf das „a“ des Nachnamens) Portugal besiegt. Mit Hilfe seiner Spieler natürlich, die am Montag ein Empfang im Panathinaikos-Stadion erwartete, dem Austragungsort der Olympischen Siele von 1896. Doch der hektische Alltag kündigt sich auch an diesem Ausnahmedatum an, denn das nächste naht. Die zweiten Spiele Athens, die im kommenden Monat, am 13. August, eröffnet werden sollen, halten die Stadt in Atem. Allenfalls für eine Nacht boten die Feiern nach dem Fußballsieg in Portugal eine Ablenkung von den Strapazen, denen die Athener seit Monaten ausgesetzt sind. Noch immer wird an allen Ecken und Enden der Viermillionenmetropole gebaut, und wie schon vor Wochen rätseln viele Laien weiterhin darüber, wie aus der größten Baustelle Südosteuropas in den kommenden Wochen jenes blitzblanke Forum für das größte Sportereignis der Welt werden soll, das pünktlich herzurichten die Verantwortlichen versprochen haben. Immerhin, Forschritte sind unverkennbar.“
Ist wirklich Rehhagel-Land
Christiane Schlötzer (SZ/Seite 3 6.7.) ergänzt: „Eigentlich sollte Rehhagel-Land jetzt ruhen, nach der Ekstase und den Seelenstürmen, dem Taumel und den Freudentänzen, in der Nacht der Nächte. Hatte uns Konstantinos Anastasiakis, der Arzt aus einem Athener Krankenhaus, nach dem Abpfiff nicht versprochen, ganz Athen würde heute eine Auszeit nehmen, nach dem größten Triumph des griechischen Fußballs? „Keiner wird zur Arbeit gehen“, hatte Anastasiakis, der in blau-weißes Fahnentuch gewickelte Chirurg, vorhergesagt. Und nun ist Montag, sieben Uhr morgens, und auf dem Syntagma-Platz vor dem griechischen Parlament braust der Verkehr, wobei der einzige Unterschied zur Epoche vor dem Europapokal ist, dass Taxis und Polizeiautos griechisch beflaggt fahren und junge Frauen auf dem Weg ins Büro mit blau-weißen Baseballmützen an der Bushaltestelle stehen. Der Zeitungsverkäufer trägt sein Fahnen-Tatoo, das neue Indianer-Zeichen des weltweit verzweigten griechischen Stammes, auf beiden Backen. Der Mann grüßt mit einem festen Kalimera, an seinem Stand flattern Fußball-Shirts, blau-weiß natürlich, im Wind, ordentlich an Kleiderbügeln aufgehängt. Davor fegen Straßenkehrerinnen den Festmüll weg, wobei die Zahl der leeren Wasserflaschen auffällig die der Bierdosen übersteigt. Sogar die Bauarbeiter auf dem Platz, der immer noch im Olympia-Staub versinkt, sind schon da, was nun wirklich an eine andere, hell leuchtende Prophezeiung aus dieser langen Nacht glauben lässt. „Morgen“, hat uns ein langjähriger Kenner der hellenischen Verhältnisse im Überschwang der Siegerlaune gesagt, „morgen wacht Griechenland auf und ist ein anderes Land.“ Ist wirklich Rehhagel-Land. Diszipliniert und mannschaftsstark, organisiert und voller Selbstvertrauen, und das alles, weil das ganze Land – und nicht nur 23 Männer in kurzen Hosen – jetzt einen Coach gefunden hat. (…) Der emotionale Schub ist angekommen. Die Stadien werden voll werden, niemand will die griechischen Sportler nun allein lassen. Das sagen jedenfalls viele in dieser Nacht, in der den neuen Helden die Herzen zufliegen. „Das war das schönste Geschenk, das uns passieren konnte. Dieses kleine Griechenland, von dem man nicht so Großes erwartet hat, wird wunderbare Olympische Spiele machen“, sagt die Athener Bürgermeisterin Dora Bakoyanni. Sie tut es im deutschen Fernsehen, auf Deutsch, wie der Trainer mit dem Titanentitel Rehakles, dem sein griechisches Gastland nun seine zweite Nationalhymne gewidmet hat: „Einai trelos o Germanos, einai trelos o Germanos“, er ist verrückt, der Deutsche, er ist verrückt. Auf Griechisch klingt das wie eine Liebeserklärung. Vom Dach des Athener Rathauses, eines prächtigen neoklassizistischen Baus aus der Zeit Otto I., des Bayern-Königs von Griechenland, schießt in der Nacht das blau-weiße Feuerwerk in den Himmel. Aber der Platz explodiert schon in der 57. Spielminute, als Angelos Charisteas den Ball in Lissabon ins portugiesische Tor befördert. Tausende auf dem Platz haben den Schuss allerdings gar nicht gesehen, weil die Menge vor der Großleinwand schon seit der ersten Minute auf Zehenspitzen steht. Nicht mal, wer der Torschütze war, spricht sich in der Aufregung bis in in hinteren Reihen durch. Dafür skandieren alle immer wieder „Hellas, Hellas“ und „Einai trelos“. Es ist ein absolut friedliches Fußballfest, (…) Eigentlich hätte die griechische Elf an diesem Sonntag ja gar nicht mehr gewinnen müssen. „Wir sind bereits die Sieger“, hatte die Zeitung Kathimerini ihre Leser nach dem griechischen Crescendo auf das Finale eingestimmt. Aber Coach Rehhagel, der große Seelen-Masseur, wusste es besser. „Bei den Griechen ist es wie bei allen anderen Menschen auf der Welt: Je mehr man hat, umso mehr will man.“ So war es dann auch, und deshalb feuerten die Menschen ihre von den Medien längst zur Götter-Elf verklärte Mannschaft auf dem Athener Rathausplatz so heftig an, als wären sie alle im Estadio da Luz. Deshalb wollten auch alle dabei sein. 88 Prozent betrug die Fernseheinschaltquote, nicht mitgezählt die vielen im Freien aufgestellten Großleinwände. Sogar für Hochzeiten und Kindstaufen wurden Projektoren bestellt, und sogar die Präfekturen hatten am Samstag ausnahmsweise geöffnet, damit sich Griechen, die noch nie einen Reisepass beantragt haben, Dokumente für den Trip nach Portugal holen konnten.“
Gott, gib mir mehr Tränen, damit ich weiter weinen kann
Die Griechen feiern, und Gerd Höhler (FR 6.7.) hört und sieht hin: „Viele Griechen hatten sicherheitshalber schon vor dem Spiel gefeiert. Hupend und Fahnen schwenkend fuhren sie am Sonntagnachmittag durch Athen. Schließlich wusste man nicht, ob es nach dem Abpfiff Grund zum Jubeln geben würde. Und die Zeitung Kathimerini tröstete ihre Leser bereits in der Sonntagsausgabe mit der Schlagzeile: „Wir sind jetzt schon Sieger!“ Umso ausgelassener wurde gefeiert, als feststand, dass sich die Griechen nicht mit dem Trostpreis begnügen müssen. „Griechenland auf dem Thron Europas“, meldete am Montag die Zeitung Apojevmatini. „Gott ist Grieche, die Griechen sind Götter“, reimte das Magazin Ethnospor. „Gott, gib mir mehr Tränen, damit ich weiter weinen kann“, fleht das Blatt Sporttime. „Wahnsinn!“, stöhnt die Zeitung Eleftherotypia, „Ganz Europa verneigt sich vor uns“, glaubt die Gazette Chora. Dieser Sieg ist Balsam für die verwundete griechische Seele. Seit Monaten stehen die Hellenen wegen ihrer chaotischen Olympia-Vorbereitungen in der Kritik. Jetzt haben sie sich und der Welt bewiesen, was sie leisten können, wenn sie sich einen Ruck geben. „Wir sind ein kleines Land mit einem großen Ego, wir tragen schwer an der Last unserer Geschichte und Mythen“, analysiert der Schriftsteller Nikos Dimou. „Wenn wir erkennen, dass Anspruch und Wirklichkeit nicht miteinander übereinstimmen, versinken wir in Depression, Selbstmitleid und Minderwertigkeitskomplexe“. So sei es zu erklären, dass sportliche Siege in Griechenland zu nationalen Triumphen stilisiert werden. „Lasst uns die Euphorie dieses Sieges genießen“, meint Dimou, „aber wir sollten nicht vergessen, dass wir diesen Erfolg den strategischen Talenten eines deutschen Trainers verdanken, der die Fähigkeiten unserer Mannschaft bündelte.““
Der für seine Reha-Maßnahmen Berühmte
Was wäre das Leben und die Morgentoilette ohne Streiflicht (SZ 6.7.)? „Wie auf manch anderem Felde, so lassen die Deutschen sich auch in ihrer Griechenbegeisterung nur ungern in den Schatten stellen. Mehr denn je wird man in diesen Tagen Bankiersgattinnen und frühpensionierte Professoren dabei beobachten können, wie sie schon am Vormittag „bei unserem Griechen“ im Gemüseladen stehen und sich, besoffenen Störchen gleich, zum Sirtaki rüsten. Und „unser Grieche“? Der schaut entschuldigend über das Treiben hinweg und sagt: „Den Briasi.“ Laut Griechenkampfblatt Bild heißt das „macht nichts“, und das wiederum ist so richtig wie die Auslassungen von Franz Josef „Thersites“ Wagner. Jedes unserer medizinischen, wissenschaftlichen und theologischen Wörter sei griechisch, sagt er. Doch was ist mit Senkspreizfuß, mit Drittmittelwerbung, mit Bergpredigt? Wagners kleiner Crashkurs gipfelt in der Behauptung, „Volk“ heiße auf Griechisch „Demus“ – eine Meinungsäußerung, die man in einer Demukratie ertragen muss. (…) So oder so, jetzt gibt es den nagelneuen König Rehakles I., und ehe auch der uns wieder aus den Augen kommt, sollten wir seinen Namen zu deuten versuchen. Die Nachsilbe -kles ist bei griechischen Namen nicht ungewöhnlich, man erinnere sich nur an Herakles, Sophokles oder Perikles. Dieses -kles kommt von tâkléos (der Ruhm), sodass man die Namen besagter Herren mit „Ruhm der Hera“, „berühmt durch Weisheit“ oder „der rundum Berühmte“ wiedergeben könnte. Ohne Otto Rehhagels Arbeit damit bewerten zu wollen, doch auch ohne falsche Scheu vor Kalauern sei unter diesem philologischen Aspekt der Name Reha-kles folgendermaßen übersetzt: der für seine Reha-Maßnahmen Berühmte.“
Es fehlt ihnen die Kultur des Sieges
500 Jahre Demokratie und Frieden, und auch nach der EM 2004 ist bei den Schweizern nicht mehr herausgekommen als die Kuckucksuhr – höchstens ein bisschen Speichel, bedauert Jürg Altwegg (FAZ/Medien 5.7.): „“Für „typisch schweizerisch“ hält der Walliser Soziologe Bernard Crettaz die helvetische Variante des Vorfalls: Anderswo wird offen, direkt und ins Gesicht gespuckt – so machte es Totti. Und genauso hatte der Holländer Frank Rijkaard Rudi Völler 1990 ins Gesicht gespuckt. Die Schweizer spucken hintenrum und hinterrücks. Man weiß es seit einem Präzedenzfall, den alle zitieren und als dessen Wiederholungstat Alex Freis Attacke, die in den Nacken des Engländers zielte, gedeutet wird: Vor einem Jahr hatte es ein Schweizer Bundesrichter gegenüber einem Journalisten der „Neuen Züricher Zeitung“ vorgemacht und sich danach mit einem Hustenanfall herausgeredet. Crettaz hält diese Hinterlist für einen ganz besonders prägnanten Ausdruck der „Schweizer Ohnmacht“. In Portugal, lehrt der Soziologieprofessor, hat die Mentalität der Schweizer Schiffbruch erlitten: Der Fußball der Eidgenossen reproduziert ihre ungelösten Identitätsprobleme und ihre Unbeweglichkeit. Sie freuen sich über ehrenvolle Niederlagen. Es fehlt ihnen die Kultur des Sieges. Man ist froh, überhaupt dabeizusein. Zu zehnt spielten sie eine Halbzeit lang gegen die Kroaten und wurden vom Fernsehsprecher am Schluß als „moralische Sieger“ gefeiert. Der Soziologe bemitleidet sie: „Wie soll man kämpfen und siegen, wenn man das ganze Leben im Konsens zu Hause ist und mit dem Schließen von Kompromissen verbringt?“ Der Schweiz fehlten ein „kollektives Projekt“ und Führungsfiguren: „Die paar wenigen, über die sie in der Politik verfügt, bekämpfen und neutralisieren sich gegenseitig.“ Wenn selbst jene SVP-Haudegen, die sich dem Angriff auf den Konsens und das System verschrieben haben, in der Stunde des Gedenkens und der Wahrheit den Geist der Kappeler Milchsuppe beschwören, kann man dem kaum widersprechen: Mißtrauisch gegenüber Krieg und Frieden, neutral noch in der Niederlage – damit sind auf Europas Fußballplätzen keine Spiele zu gewinnen. Eine Nationalmannschaft, die schlechter ist als die Summe ihrer im Ausland gar nicht so erfolglosen Einzelspieler: Der Befund fällt um so deprimierender aus, als bei dieser Europameisterschaft kleine Länder, die kaum größer sind als die Schweiz, mit Kampfgeist und Toren für Furore gesorgt haben. Die Schweiz, stöhnen die Leitartikler und Kulturkritiker, bleibt dazu verdammt, sich mit ein paar wenigen Einzelsportlern und Helden wie Roger Federer, Simon Ammann oder Bertrand Piccard begnügen zu müssen. Modell und Mythos Wilhelm Tell: Vor zweihundert Jahren wurde Schillers Nationaldrama der Schweizer uraufgeführt. Ihm wird nach dem 475. Jubiläum der Kappeler Milchsuppe und dem portugiesischen Fiasko der anbrechende Kultursommer gewidmet sein. Nach dem nationalen Freilichttheater ist vor dem Euro-Flutlichtfußball. Die nächste Milchsuppe werden die Eidgenossen zusammen mit Österreich, das dank dem EU-Beitritt zur blühenden Landschaft wurde, auslöffeln müssen. Gemeinsam werden die beiden Staaten die nächste EM in vier Jahren ausrichten – wenn in der eidgenössischen Basisdemokratie, die die Schweizer so verbissen gegen Europa verteidigen, nicht noch etwas dazwischenkommt. In den Zeitungen von Zürich bis Lausanne wird auf den Debattenseiten die Frage diskutiert, wie lange in die Nacht hinein Ausländergruppen mit Hupkonzerten die Siege ihrer Mutterländer feiern dürfen und wann die Polizei einschreiten muß. Mancherorts hat es Bußen geregnet. Schweizer Architekten bauen die schönsten Fußball-Kathedralen der Welt. Aber in Zürich, wo die Fifa zu Hause ist, bleibt es unmöglich, gegen den Protest einiger Anwohner ein neues Stadion zu erstellen. Selbst wenn die Stadt, die Banken, Blochers SVP und alle anderen dafür sind. Daß sich die Eidgenossenschaft mit ihrer Provinzposse in der Hauptstadt der Wirtschaft zum Gespött der Welt mache, deutete durch die Blume Franz Beckenbauer bei einem Besuch an.“
Michael Hanfeld (FAZ/Medien 6.7.) befasst sich mit dem Erfolg von ARD und ZDF: „Die wahren Sieger auf hiesiger Seite standen nach der Vorrunde bereits fest. Ihrem Triumph konnte die frühe Abreise der Nationalkicker gar nichts anhaben: Es sind ARD und ZDF, die, was immer die Kommentatoren an Unfug auch von sich geben mochten, von einer Begeisterung für den Sport profitieren, die ihresgleichen sucht. 29,14 Millionen Zuschauer haben die letzten fünf Minuten des Endspiels dieser gesehen, ein Spiel, das fußballerisch zu den schlechtesten des Turniers überhaupt zählte und am Ende einen Sieger sah, dem man den Sieg gönnt, um dessen Spielweise attraktiv zu nennen, aber man wohl hellenischer Abstammung sein muß. ARD und ZDF sind trotzdem Sieger, weil sie übertragen, was Zuschauer in zuvor kaum gekannter Zahl sehen wollen. Und sie werden diesen Sieg nach Quoten gegenüber der privaten Konkurrenz nicht nur auskosten, sie werden ihn in Serie fortsetzen. Schließlich sind sie die einzigen, die noch in der Lage sind, die dafür anstehenden Kosten zu bewältigen, weil sie die hohen Preise für die Senderechte nicht vollständig aus ihren üppig sprudelnden Nebeneinahmen decken müssen, sondern mit Gebühren bezahlen. Außer der Formel 1 übertragen ARD und ZDF inzwischen fast alles: die Fußballbundesliga, die Tour de France, die WM 2006 und die Olympischen Spiele sommers wie winters 2004, 2006, 2008, 2010 und 2012. (…) Da ging selbst privaten Konkurrenten wie dem Abonnementsender Premiere, der allein für die Rechte in Deutschland rund 200 Millionen Euro bot, die Puste aus. Und es nimmt wenig wunder, daß ein Senderchef wie Georg Kofler vor Wut in den Teppich beißt und bald gen Brüssel reist, um sich über eine solche Vormachtstellung der Öffentlich-Rechtlichen zu beschweren. Er braucht den Sport zum Überleben jetzt und erst recht, wenn er mit seinem Sender an die Börse geht. Denn allein mit dem Sport – neben Kinohits und Pornographie – ist im Fernsehen noch neues Geld zu verdienen, vorausgesetzt, man kommt an die Rechte, die auch dank der gebührenfinanzierten Mitbieter ARD und ZDF so unerschwinglich geworden sind. Es ist zwar richtig, darauf hinzuweisen, daß das Rennen um die Rechte erst in dem Moment eröffnet worden ist, in dem die privaten Sender aufliefen. Doch treiben ARD und ZDF aufgrund ihres uneinholbaren Finanzierungsvorsprungs die Sache eben in der Tat auf die Spitze. Und bekommen obendrein immer zur rechten Zeit von vermeintlich sportbegeisterten Politikern (Kurt Beck und andere) einen Paß in die Tiefe des medienpolitischen Raumes, wenn sie drohen, ins Abseits zu geraten. Es wird nur interessant sein zu sehen, wie ARD und ZDF bei dem Auswärtsspiel in Brüssel abschneiden, wenn sie in den kommenden Wochen mit der Anfrage der EU-Kommission umgehen müssen. Die will von den Sendern wissen, wie sie ihre verschiedenen Finanzierungs- und Ertragsquellen auseinanderhalten. Die Kommission, die mit dieser Anfrage auf die Einhaltung der sogenannten „Transparenz-Richtlinie“ dringt, hat netterweise gefragt, „wie“ ARD und ZDF das machen, nicht „ob“. Dabei bestehen berechtigte Zweifel daran, daß ARD und ZDF über Mechanismen verfügen, die ihre Mischkalkulation aus Gebühren, Werbegeldern, Sponsoring und Gewinnspielen wirklich „transparent“ machen.“
Und denken Sie daran, der ist erst achtzehn
if-Leser Christop Mahnel tritt Johanns Kerner und Reinhold Beckmann drei Mal kräftig vors Schienbein: „Hallo Herr Fritsch, könnten Sie bitte Ihre ‚Connections’ spielen lassen und dafür sorgen, dass die Herren Beckmann und Kerner, die sich in den letzten Wochen als die beiden Blinden unter den einäugigen geoutet haben, Ihren if-newsletter zugestellt bekommen und er ihnen als Pflichtlektüre auferlegt wird. Dann könnten die beiden auch mal etwas ‚content’ während ihrer Übertragungen rüberbringen. Selbst wenn ich vormittags an der Arbeit nur fünf bis zehn Minuten aufbringe, um die Artikel Ihres Newsletters zu scannen, habe ich schon mehr erfahren als in einer 90-, 105- oder 120-minütigen Reportrage meiner beiden Lieblingskommentatoren. Gerade beim Halbfinale zwischen Griechenland und Tschechien hat es mich geärgert, dass ich erstens mein kicker-Sonderheft nicht dabei hatte und zweitens auch nicht die von mir gewünschten Infos von Johannes Baptiste erhaschen konnte. Man kennt natürlich von den Griechen und Tschechen die Bundesliga-Legionäre und auch die Superstars wie Nedved, aber was ist mit dem tschechischen Torwart? Spielt der etwa bei Sigma Olmütz oder Slovan Bratislava? Nein, ich konnte einen Tag später bei Eurosport erfahren, dass er von Stade Rennes nach Chelsea wechselt. Aber Herrn Kerner kümmert das wahrscheinlich nur am Rande seiner Reportage für das Volk – oder soll ich sagen für die Frauen? Denn die bestätigen mir mitunter, dass ihnen dieser Reportage-Stil gefällt („und denken Sie daran, der ist erst achtzehn…“, „meine Damen und Herren, wir dürfen nicht vergessen: Das hier ist die B-Elf der Tschechen…“, etc.). Was soll’s? Bitte schick diesen Dusselköppen einfach deinen Newsletter, vielleicht gibt’s dann demnächst mehr Infos.“
Keine richtige Mannschaft am Anfang; keine WM-Form, keinen Schwung, keine Begeisterung
Hans-Joachim Leyenberg (FAZ/Medien 6.7.) bespricht die ARD-Dokumentation der WM 74: „Nun reicht es aber mit den Rückblicken! Na gut, diesen einen noch. Einige ältere Herren von Franz Beckenbauer bis Jürgen Sparwasser dürften sich diese Dokumentation mit besonderem Vergnügen zu Gemüte führen. Am Vorabend ihres offiziellen Wiedersehenstreffens in München. An diesem Mittwoch vor dreißig Jahren war Deutschland zum zweiten Mal Fußball-Weltmeister geworden. Zwanzig Jahre nach Bern 54 wurde das Finale 2:1 im Olympiastadion über Holland nicht zur Kategorie der Wunder gerechnet. Es fügte sich so, wie die Dokumentation des Norddeutschen Rundfunks über die WM belegt. „Wir hatten“, erinnert sich Paul Breitner, der Verteidiger mit dem strammen Schuß, „keine richtige Mannschaft am Anfang; keine WM-Form, keinen Schwung, keine Begeisterung.“ Das läßt doch hoffen für die WM 2006, egal, was personalpolitisch noch kommen mag . . . Damals war ja längst nicht alles besser als heute. Auch im Sommer 74 regnete es fast ständig, durch das geteilte Deutschland verlief mit der Grenze auch die Front des Kalten Krieges. Willi Brandt nahm die Guillaume-Affäre zum Anlaß, als Bundeskanzler zurückzutreten. Im Frankfurter Westend gingen die Studenten gegen Immobilienspekulanten und Fahrpreiserhöhungen protestierend auf die Straße. Turbulente Zeiten, in denen der Bundestrainer Helmut Schön wie ein Relikt aus einer vergangenen Epoche wirkte. Die Reporter verfolgten den Weg der Nationalmannschaft mit allen Höhen und Tiefen mit der Sachlichkeit von Nachrichtensprechern heutigen Zuschnitts. Die Spieler trugen Frisuren wie aktuell nur noch der Tscheche Pavel Nedved. Günter Netzer, der Kerl mit der auffälligsten Mähne, wirkte wie ein frühes Produkt der antiautoritären Erziehung. Sie hatten fürwahr Typen in ihren Reihen.“
René Martens (FTD 6.7.) auch: „Etwas enttäuschend ist auf den ersten Blick die Auswahl der Zeitzeugen. Biereichel hat unter anderem mit Franz Beckenbauer gesprochen, mit Paul Breitner, Uli Hoeneß, Günter Netzer, Wolfgang Overath, Johan Cruyff. Da fehlt ein Überraschungsmoment. „Ich wollte Leute, die gut erzählen und analysieren können“, sagt der Autor. Außerdem sei es aufwändig gewesen, diese Gesprächspartner zu rekrutieren. Man hat ja zuweilen den Eindruck, dass für jemanden wie Paul Breitner ein Tag ohne Fernsehauftritt ein verlorener Tag ist. Aber ausgerechnet der steht für Dokumentationen dieser Art normalerweise nicht zu Verfügung, beteuert Biereichel. Am diffizilsten sei es mit Cruyff gewesen. Der holländische Sender NOS habe vor einigen Jahren eine sechsstündige Sendung zu seinem 50. Geburtstag gemacht – ohne den Meister persönlich gewinnen zu können. „Die haben ihn für zehn Champions-League-Spiele pro Saison, mehr Auftritte macht er nicht“, sagt der NDR-Mann. „Und dafür zahlt NOS ihm mehr als die ARD Günter Netzer für die EM bezahlt hat.“ Das mag alles so sein, und gewiss taugen „Hacki“ Wimmer oder „Katsche“ Schwarzenbeck nicht für substantielle Gespräche. Dennoch: Eine Randfigur, ein halb vergessener Ersatzspieler, der heute jenseits der Fußball-High-Society sein Dasein fristet, hätte dem Film gut getan. Einer wie der Bremer Horst-Dieter Höttges (ein Kurzeinsatz gegen die DDR). Im Kasseler Agon-Verlag ist gerade ein Buch zur WM 74 erschienen, in dem er interviewt wird. Auf dem Foto sieht er aus wie ein Bierkutscher, und aus der biographischen Notiz erfahren wir, dass er derzeit unter anderem Co-Trainer der U15 beim SV Werder ist.“
Der Triumph von München. Heute 23.00-0.30 (ARD)