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Moffenhaß

Oliver Fritsch | Dienstag, 6. Juli 2004 Kommentare deaktiviert für Moffenhaß

Dirk Schümer (FAZ/Feuilleton 7.7.) schildert die Bedeutung der Endspielniederlage Hollands in München 1974: „“Mutter aller Niederlagen“ – das ist nicht der Titel der Autobiographie von Saddam Hussein, sondern die politisch korrekte Bezeichnung der niederländischen Fußballweltmeisterschaftsfinalpleite gegen Deutschland heute vor dreißig Jahren im Münchener Olympiastadion. Diverse Buchveröffentlichungen haben sich bei unseren Nachbarn des nationalen Traumas angenommen, etwa Auke Koks Gesamtdarstellung „Wir waren die Besten“. Eine Sondernummer der wunderbaren Fußballzeitschrift „Hard gras“ stößt ins selbe Horn: „Sie waren besser.“ Besser als der Weltmeister? Zweifellos scheint diese Überzeugung bis heute am holländischen Selbstwertgefühl zu nagen: Da war diese kleine Nation gesegnet mit einer Mannschaft von Extrakönnern, war bis ins Endspiel gestürmt und unterliegt dann einer Truppe von germanischen Bolzern. Der geniale Mittelfeldstratege Cruyff zieht den kürzeren gegen den deutschen Abwehrchef Beckenbauer, Holland wird erledigt vom Stolperschuß des dicklichen Gerd Müller, niedergestreckt vom spektakulären Sturz eines Frankfurter Linksaußen namens Hölzenbein. Diese Szene hat das Lehnwort „Schwalbe“ im niederländischen Wortschatz verankert. Gerechterweise widmet sich die kollektive Trauerarbeit nun eher den eigenen Fehlern, anstatt wie zuvor hartnäckig auf Verschwörungen und antideutschen Ressentiments herumzureiten. So preist Auke Kok etwa den damaligen deutschen Trainer Helmut Schön als milden Gemütsmenschen, der nach dem Sieg von seiner Mannschaft allein gelassen wurde und betrunken in einem Münchner Hotel strandete. Die arroganten Holländer dagegen hatten, getrieben vom militärisch strengen Trainer Michels, die vermeintlichen deutschen Tugenden übernommen und scheiterten an ihrer Großmannssucht. Die niederländische Mission, der verkniesterten Welt ein postautoritäres Volk von Individualisten vorzuspiegeln, wird im Gefolge des gesellschaftlichen Rechtsrutsches nach Pim Fortuyn sowieso stark in Zweifel gezogen. War vielleicht bereits das tragische Oranjeteam von München 1974 ein Trüppchen von aufgeblasenen Achtundsechziger-Darstellern, von niederländischen Chauvis, die sich nach der 1:0-Führung berufen fühlten, die verhaßten Deutschen auf dem Platz vorzuführen und symbolisch für die Besetzung im Zweiten Weltkrieg büßen zu lassen? Der niederländische „Moffenhaß“ legt die Befürchtung nahe. (…) Der verteufelte Minderwertigkeitskomplex gegenüber einem Nachbarn, dem man sich mit manch guten Gründen moralisch überlegen fühlt, nagt bis heute an den Holländern.“

Ausgerechnet jetzt – Michael Martens (FAZ/Medien 7.7.): „Es war Zufall, auch wenn es auf den ersten Blick wie kühle Berechnung aussah: Am Tag nach dem griechischen Sieg, als alle Welt, jedenfalls in Griechenland, Nacherzählungen des größten sportlichen Erfolgs in der Landesgeschichte in den Zeitungen lesen wollte, streikten fast alle einheimischen Tageszeitungsjournalisten. Am Montag blieben in sämtlichen großen Redaktionen die Computer kalt, vergeblich suchten die Leser am Dienstag an den Kiosken nach ihren Morgenblättern mit Berichten über den frenetischen Empfang der griechischen Spieler und ihres deutschen Trainers Otto Rehhagel in Athen. Die Koinzidenz von großer Nachrichtenlage und journalistischer Arbeitsverweigerung bedeute jedoch nicht, daß die Streikenden die Gunst der Stunde für sich genutzt hätten, sagt Panagis Galiatsatos, Redakteur der Athener Tageszeitung „Ta Nea“ (Nachrichten). „Das Streikdatum stand schon länger fest. Niemand konnte schließlich ahnen, daß Griechenland Europameister wird“, sagt Galiatsatos. (…) Derzeit stehen die Chancen wohl gut, daß die Griechen am 14. August, dem Tag nach der Eröffnung der Olympischen Spiele, ihre Zeitungen an den Kiosken finden werden. Vom Tag der Rückkehr der erfolgreichsten griechischen Fußballmannschaft aller Zeiten in ihre Heimat wird in den Archiven kaum Gedrucktes zu finden sein.“

NZZ: „Fehlende Stars, aber viel Herzblut – die Copa América der Fussballer im Schatten der WM-Qualifikation“

Athen – Torsten Haselbauer (FAZ 7.7.) reibt sich die Augen: „Als Otto Rehhagel mit seiner Mannschaft und vor allem mit dem EM-Pokal um 22.30 Uhr endlich aus dem Bus steigt, ist ein neuer nationaler Mythos endgültig entstanden. Wie zu Zeiten des Marathonläufers Spiridon Louis im Jahr 1896 werfen sich Menschen um seinen Hals, boten ihm mit hoher Mitgift ausgestattete Töchter zur Heirat an. So weit kam es am Montag dann doch nicht.“

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