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Zwei Präsidenten, kein Bundestrainer – und nicht ein einziges Problem gelöst
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| Montag, 12. Juli 2004Otto Rehhagel sagt dem DFB ab: „gibt es eine schönere, frohere Botschaft?“ (taz) / „die Suche ist schon nicht mehr peinlich, sie ist geradezu grotesk“ (FR) – Kritik am Kompromiss an der DFB-Spitze: „MV ist die Lösung, weil das Land keine bessere Lösung hat“ (SZ) u.v.m.
Zwei Präsidenten, kein Bundestrainer – und nicht ein einziges Problem gelöst
Michael Horeni (FAZ 12.7.) kommentiert die Absage Otto Rehhagels: “Rehhagel hat eine kluge Entscheidung getroffen. Er hat sich nicht dem Populismus unterworfen, der in Deutschland mit aller Kraft nach „Rehakles“ rief und nach dem griechischen Fußball-Wunder eine Heldengeschichte made in Germany erzwingen wollte. Der deutsche und europäische Meistermacher, der ebenso wie Ottmar Hitzfeld den Posten des Bundestrainers als verdienten Lohn einer großen Karriere angesehen hat, hielt statt dessen lieber sein Wort, das er den Griechen gegeben hatte. Rehhagel blieb auch bei einem verlockenden Gehalt von angeblich fünf Millionen Euro bis zur WM 2006 seinen Europameistern treu. Der Liebe der Griechen kann sich der Essener in den nächsten zwei Jahren (und vermutlich bis zum Lebensende) sicher sein – anders als in seiner Heimat, wenn er sich auf der Schlußetappe seiner Trainerlaufbahn an ein Projekt mit ungewissem Ausgang gewagt hätte. Als Bundestrainer einer schwächlichen Nationalmannschaft in einem von Machtkämpfen geschüttelten Verband sowie einem zur Hysterie neigenden Medienbetrieb hätte sich der „demokratische Diktator“ Rehhagel zahlreichen Gefahren ausgesetzt. Seine Absage, die den DFB wie ein Schock traf, kann aber für den Verband eine Chance sein, endlich zur Besinnung zu kommen. „Wir hatten uns so sehr auf Rehhagel versteift, daß keine anderen Gedanken Platz hatten“, sagte Franz Beckenbauer am Samstag in aller Offenheit. Der Chef der sogenannten Trainerfindungskommission bestätigte damit alle Vorbehalte gegenüber dem DFB-Krisenmanagement nach dem Rücktritt Rudi Völlers. (…) Das Resultat des Wochenendes könnte kaum niederschmetternder für den DFB ausfallen: zwei Präsidenten, kein Bundestrainer – und nicht ein einziges Problem wirklich gelöst.“
Jetzt sollten die Menschen auch in diesem Land auf die Straßen gehen und singen und tanzen
Frank Ketterer (taz 12.7.) springt in die luft: „Und jetzt? Jetzt sollten die Menschen auch in diesem Land auf die Straßen gehen und singen und tanzen und Feuer der Freude entzünden, schließlich hat der König nun auch sie bedacht mit seiner unermesslichen Güte – und damit ihr Land vor Schlimmem bewahrt. In einem Telefonat mit dem Kaiser hat der König das am Samstag vollbracht, in jenem hat Otto Rehhagel Franz Beckenbauer nämlich eine Absage erteilt. Nein, auch er, Otto I., König der Griechen, der große Rehhakles, will nicht Bundestrainer werden. Mag sein, dass das dem Kaiser Sorgenfalten auf seine hohe Stirn getrieben hat – aber unter uns: Gibt es eine schönere, frohere Botschaft als diese: Rehhagel wird nicht Bundestrainer! Nein, es gibt sie nicht, niemals (außer vielleicht der, dass auch Lothar Matthäus nicht Bundestrainer wird).“
Die Suche ist fast schon nicht mehr peinlich, sie ist geradezu grotesk
Thomas Kilchenstein (FR 12.7.) kritisiert die DFB-Spitz: „Die Installation einer Doppelspitze ist praktisch eine Nulllösung, ist eine Schein-Lösung, die allen wohl und niemandem weh tut. Sie ist dennoch falsch. Sie zeigt, sofern die Delegierten beim Bundestag mitspielen, dass man gewillt ist, genauso weiterzumachen wie bisher. Sie zeigt, dass die so maulforschen Kritikaster schnöde eingeknickt sind vorm großen Patriarchen aus dem Schwabenlande, dass man nichts ändern will – und sich auch nicht entscheiden will. Die Zwitterlösung an der Spitze ist in etwa das Gleiche, wie wenn sich ein Trainer zwischen zwei Torhütern nicht entscheiden kann und eben beide ins Tor stellt. Ähnlich chaotisch gestaltet sich die Suche nach einem geeigneten Nachfolger des Glücksfalles Rudi Völler. Die Suche ist fast schon nicht mehr peinlich, sie ist geradezu grotesk.“
Michael Ashelm (FAS 11.7.) ergänzt: „Die höchsten Fußballfunktionäre scheinen zwischen ihren eigenen Machtansprüchen, den vom Boulevard angefachten populistischen Eingaben und vielen rationalen Überlegungen langsam, aber sicher den Überblick zu verlieren. Die für zwei Jahre vorgesehene Doppelspitze beim DFB mit dem eigentlich entmachteten Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder und seinem designierten Nachfolger Theo Zwanziger als eigentlich starkem Mann an der Seite sagt alles über die reformerischen Fähigkeiten des Verbandes aus. Sie tendieren gen null. Statt klare Entscheidungen zu fällen und schnellstens neue Führungsstärke herbeizuführen, zeigt sich der Altherrenklub der Fußballfunktionäre vor der WM 2006 als unbeweglicher Koloß. Das Resultat dieser Woche in Sachen DFB ist wenig hoffnungsvoll: der aktuelle Präsident schwer angeschlagen, sein Nachfolger durch die eher mißlungene Mediation beschädigt, ein Bundestrainer nicht in Sicht. Denkbar ungünstige Vorzeichen für ein machtvolles Herangehen an die großen Aufgaben. So wie von oben gelenkt wird, so träge dümpelt der schwere Dampfer daher. Durch die verlangsamte Schlingerfahrt hängt der DFB auch bei seiner Bundestrainersuche weit hinterher. (…) Es sieht nicht danach aus, als ob noch ein Trainer mit unumstrittener Autorität gefunden werden kann. Eher hat die Begriffsschöpfung Trainerfindungskommission, kurz TFK genannt, alle Chancen, zum Unwort des Jahres erklärt zu werden.“
Ein Ballack macht noch keinen Frühling!
Griechenland – Torsten Haselbauer (Tsp 12.7.) meldet Freude und Stolz: „“Bleiben Sie bei uns. Ein Ballack macht noch keinen Frühling!“ so hatte der konservative griechische Ministerpräsident Konstantinos Karamanlis auf dem Staatsempfang für die griechischen Fußballhelden in seinem Athener Amtssitz am Dienstag in gewohnt blumiger, griechischer Sprache an Otto Rehhagel appelliert. Es scheint geholfen zu haben. Mindestens bis 2006 wird der 65 Jahre alte Essener Trainer der griechischen Nationalmannschaft bleiben. Für diese Meldung wurden am Samstag eigens die griechischen Hauptnachrichten unterbrochen. Statt des pausenlosen Lamentierens über die frühe Hitzewelle, die sich über Athen gelegt hat, bekam der Zuschauer plötzlich ein frustriert dreinblickendes Gesicht von Franz Beckenbauer auf der Mattscheibe zu sehen (…) Rehhagels Bleiben wird als weitere Aufwertung für den griechischen Fußball interpretiert. Die Zeitung „Sportime“ sprach von einem „Keulenschlag Rehhakles“ gegenüber dem deutschen Fußball. Daß nun das kleine Griechenland in der Lage sei, einen Trainer an sich zu binden, den der mächtigste aller europäischen Fußballverbände, der DFB, mit viel Geld nach Deutschland locken wollte, macht die Hellenen noch ein wenig stolzer. „Das war doch vor vier Wochen völlig undenkbar und sagt doch alles über die neuen Verhältnisse im europäischen Fußball aus“, so kommentierte ein Fußballjournalist im griechischen Radiosender „NET“.“
MV ist die Lösung, weil das Land keine bessere Lösung hat
Der DFB hat nun zwei Chefs, Thomas Kistner (SZ 12.7.) stampft mit dem Fuß auf: „Unterm Druck der Liga ist der Verband eingeknickt: Er schafft eine Lex Mayer-Vorfelder für den Mann, der zu den größten Skandalnudeln, Posten- und Spesenjägern im Fußball zählt. Einer, der an der Spitze des VfB Stuttgart einen Schuldenberg von mehr als 15 Millionen Euro und ein zerrüttetes Team hinterließ. Dem öfter mal der Staatsanwalt an den Hacken klebte – vor allem aber dem Mann, der auf der Beliebtheitsliste der Deutschen ungefähr gleichauf mit Windpocken rangiert: Bei TV-Umfragen empfanden jüngst 96,2 Prozent der Bundesbürger MV als unerwünschte Amtsperson. Der DFB weiß es besser. Zwar will er Mayer-Vorfelder über die interne Geschäftsverteilung in die Knie zwingen, ihn zum König ohne Land machen. Aber das ist das Mindeste, was erwartet werden darf. Zugleich hält ihn der DFB ja für unverzichtbar in der Rolle als Deutschlands WM-Zeremonienmeister – MV soll Regierungschefs und Könige willkommen heißen. Und bis zur Eröffnungsparty wird er in seinen Ämtern beim Weltverband Fifa und Europaverband Uefa konserviert, gewissermaßen in Alkohol eingelegt. MV ist die Lösung, weil das Land keine bessere Lösung hat. Es wird sich bei der WM, dem größten Gesellschaftsereignis des Jahrzehnts, in der Verfassung zeigen, die es jetzt schon plagt: mit Doppelköpfen überall (warum nicht bis ins Kanzleramt?), mit einem DFB, der bis dahin von der Doppel- über die Dreifachspitze ganz auf Elferrat umgesattelt hat – sowie mit einem WM-Chef, der in seiner Heimat eine Ablehnungsrate hat wie seinerzeit Potentaten vom Schlag eines Honeckers. Willkommen in der Bananenrepublik, hier grüßen Sie nicht mehr mit „Guten Tag“. Sondern auf neudeutsch mit: „Ich nehme das Amt an.““
Karl-Heinz Rummenigge, Ex-Fußballer, beteiligt sich an der Zielsetzung und der Strategiefindung des deutschen Fußballs; Jens Weinreich (BLZ 12.7.) fasst sich an den Kopf: „Es wäre indes höchst ungerecht, die Verantwortung für den Zustand des deutschen Fußballs, seiner Liga (die im internationalen Maßstab in rekordverdächtigem Tempo an Bedeutung einbüßt), seiner Vereine (hoch verschuldet und sportlich dennoch kaum konkurrenzfähig) und seiner Nationalmannschaft (im Trimm-Trab zum EM-Vorrunden-Aus dilettierend) allein der Rentner-Riege des DFB-Präsidiums (Durchschnittsalter knapp 66 Jahre) anzuhängen. Es sollten – gerade in diesen Tagen – auch jene meinungswendigen, neunmalklug im Hinterhalt agierenden Nadelstreifenanzugträger nicht unerwähnt bleiben, die die eigentliche Macht verkörpern in diesem Business, das sich Profifußball nennt. In einem Geschäft, in dem es immer noch weitgehend unerheblich ist, ob jemand über eine solide kaufmännische, juristische oder anders geartete Ausbildung verfügt, sofern er in jungen Jahren nur einmal die Befähigung nachgewiesen hat, einen Fußball unfallfrei über einige Meter Rasen zu befördern. Als ob einem das Leben keine härteren Prüfungen abverlangt. Einer dieser Strippenzieher im Hintergrund heißt Karl-Heinz Rummenigge und fungiert als Vorstandsvorsitzender des FC Bayern München. In einem Radiointerview griff Rummenigge gerade wieder heftig die DFB-Spitze an (der übrigens auch sein Bayern-Präsident Franz Beckenbauer angehört) und formulierte: „Wenn man sich diese ganze Riege anschaut, dann sprechen wir hier von lauter über 60- bis über 70-Jährigen, und es ist die große Frage, ob diese Leute nicht auch mal eine Altersbegrenzung akzeptieren sollten.“ Altersbegrenzung, das ist eine recht hübsche Idee. Nur sollte man hinzufügen, dass es zuvorderst Rummenigge war, der öffentlich (vor allem in den Publikationen des Springer-Verlages, bei dem Beckenbauer unter Vertrag steht) ganz unerbittlich für Mayer-Vorfelder in die Bütt gezogen ist: für den 71-jährigen skandalfesten Mayer-Vorfelder und gegen den 59-Jährigen soliden Juristen Theo Zwanziger. So viel zum Thema Altersbegrenzung. Rummenigge ergriff für Mayer-Vorfelder mit den krudesten Argumenten Partei. Es sei vorher schon bekannt gewesen, dass Mayer-Vorfelder „kein besonders demokratischer, sondern eher ein patriarchischer“ Verbandschef sei, dichtete der Bayern-Vorstandschef. Den Versuch des für die Amateure zuständigen DFB-Vizepräsidenten Engelbert Nelle, Mayer-Vorfelder mit dem überwältigenden Votum der Basis aus dem Amt zu drängen, bezeichnete Rummenigge dagegen als „illoyal“. Sollte es sich hierbei um einen Gedanken und nicht nur um einen Wutausbruch gehandelt haben, versucht man also, die vermeintliche Illoyalität (laut Duden: eine Instanz nicht respektierend, unredlich, untreu, Vereinbarungen nicht einhaltend) des Herrn Nelle in Bezug zu Rummenigges großer weiter Welt zu setzen, dann könnte man meinen: loyales Verhalten sei nur solches, das dem FC Bayern nützt und den Status Quo im deutschen Fußball unverändert lässt.“
Mit der Doppelspitze haben wir den denkbaren Schaden begrenzt
FR-Interview mit Engelbert Nelle, DFB-Vize-Präsident
FR: Das ganze Geschacher um Posten und Positionen hat dem Ansehen des Verbandes nicht gut getan. Gibt sich der DFB mit der Doppelspitze nicht der Lächerlichkeit preis?
EN: Das sehe ich anders. Der DFB hat sicherlich Schaden genommen. Doch mit der Doppelspitze haben wir den denkbaren Schaden begrenzt. Jetzt kann dieser große Verband in eine gute Zukunft geführt werden.
FR: Und Sie können auch Mayer-Vorfelder noch in die Augen sehen?
EN: Ich konnte ihm immer in die Augen sehen. Warum auch nicht? Nur wenn man unterschiedliche Positionen vertritt, führt das ja nicht gleich dazu, dass man sich persönlich überwirft. Wir sind uns immer freundschaftlich begegnet, gerade erst wieder am vergangenen Mittwoch in München beim Treffen der 74er-Weltmeister.
FR: Die Strukturen beim DFB sind verkrustet, die handelnden Personen in DFB, DFL und OK stehen in gegenseitigem Abhängigkeitsverhältnis. Karl-Heinz Rummenigge schlägt die Einführung einer Altersgrenze vor und wirft Ihnen illoyales Verhalten vor. Sie sollten überlegen, sagt Rummenigge, ob Sie ihr Amt nicht zur Verfügung stellen. Tun Sie das?
EN: Da reagiere ich ganz gelassen. Da fällt mir nur das Beispiel ein, vom Hund, der da bellt, aber den Mond anbellt. Muss ich da reagieren? Ich weiß auch nicht, warum er so etwas tut. Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen uns: Ich diene dem Fußball und mache meinen Job ehrenamtlich, Herr Rummenigge bezieht für seine Äußerungen Millionen Euro. Wenn sich einer bei Gemeinsamkeit und Harmonie ausschließen will, soll er das tun.
Das Streiflicht (SZ 12.7.) zum Schluss: „Es ist aus. Was hat der DFB verbrochen, was die TFK, dass sie dermaßen brutal bestraft werden? Was hat der deutsche Fußball getan? Eigentlich kann es nichts Schöneres geben, als Trainer der wichtigsten Mannschaft zu sein. Hütchen aufstellen dürfen im Auftrag des Vaterlandes, eine Trainingsjacke tragen dürfen mit Mercedes-Stern hinten drauf, im Fußballalbum von Hanuta einen Ehrenplatz haben, Sammelbildnummer 1. Und dann die ganzen Reisen. Und das Renommee. Bundespräsident, Bundeskanzler, Bundestrainer. Dritter Mann im Staat, bei Weltmeisterschaften Erster. Aber sie finden keinen. Der eine fragt seine Frau und hört, wie seine innere Stimme rebelliert. Dann sagt er ab. Der andere fragt seine Frau und hört, wie die Griechen rebellieren. Dann sagt er ab. Zu befürchten steht, dass am Ende jemand Bundestrainer wird, der keine Frau hat oder sie zumindest nicht versteht, weil sie in fremden Zungen zu ihm spricht. Das könnte Lothar Matthäus sein. Oder jemand, dessen innere Stimme schon immer geschwiegen hat, wenn es drauf ankam. Das könnte auch Lothar Matthäus sein. Wenn große Geschichten solche sind, in denen es immer noch schlimmer wird, dann ist dieses hier die Über-Geschichte. Rumpeliger Fußball, talentfreie Mannschaft, lächerlicher Präsident.“