Deutsche Elf
Interview mit Jürgen Klinsmann, Kritik am DFB
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| Samstag, 17. Juli 2004Kritik am DFB: „Der abermals mangelnde Wille des Verbandes, sich organisatorisch wie personell neu zu ordnen, droht das Projekt WM 2006 zu beschädigen“ (FAZ) / SZ-Interview mit Jürgen Klinsmann über die Notwendigkeit einer radikalen DFB-Reform
Welcher Zwilling kommt, wer hat das letzte Wort?
Michael Horeni (FAZ 17.7.) klagt über die Unfähigkeit und den Unwillen der DFB-Spitze zur Veränderung: “Der abermals mangelnde Wille des Verbandes, sich nach dem Aufstand der Basis gegen Mayer-Vorfelder organisatorisch wie personell entschieden neu zu ordnen, droht das Projekt WM 2006 zu beschädigen. Der vom DFB selbst aufgeworfene und nicht konsequent gelöste Führungskonflikt dürfte den Verband bis zum gesellschaftlichen Großereignis immer wieder einholen. Es wird interessant bis pikant werden, wenn etwa der Präsident von einer internationalen Organisation eingeladen wird und die Themen und Zuständigkeiten ineinanderfließen – oder wenn mit Kapitän Kahn um WM-Prämien verhandelt wird: Welcher Zwilling kommt, wer hat das letzte Wort? Der öffentliche Grundton gegenüber dem Verband und seinen Führungskräften ist auf Moll gestimmt. Das registrieren auch besorgt die WM-Organisatoren, die dem Land fröhliche und unbeschwerte Fußballwochen schenken wollen – und bis zur EM immer nur auf begeisterte Zustimmung in Deutschland gestoßen sind. Das hat sich geändert – seit der DFB sich auf Kompromißsuche machte, obwohl die Misere nach Idealen und neue Wegen verlangte. Die Kraft zur Reform von innen bringt der DFB nicht auf – und die Hoffnung, daß die Nationalelf den Funktionären als Stimmungsmacher aushelfen könnte, ist auch gering. Sie könnte vielmehr Teil des Machtspiels werden.“
Im Moment ist es so, dass jeder um den heißen Brei herumredet
SZ-Interview (16.7.) mit Jürgen Klinsmann über die Notwendigkeit einer Reform des DFBs
SZ: Sie haben einen Manager der Nationalelf gefordert.
JK: Das ist alles eine Wiederholung von alten Dingen, an denen man schon seit sechs bis acht Jahren herumüberlegt. Eine solche Position ist überfällig. Aber das wäre auch nur der erste Schritt. Man muss eine gesamte Umstrukturierung in Gang bringen. Es ist mehr als selbstverständlich, dass die Nationalmannschaft einen Manager haben muss. Fußballteams haben sich zu Wirtschaftsunternehmen entwickelt, auch die Nationalmannschaft, und es gehört zu einem Unternehmen, dass es professionell geführt wird.
SZ: Was wären die Aufgaben eines solchen Managers?
JK: Er ist ein Bindeglied zwischen Trainer, Mannschaft, Medien und Sponsoren. Er muss Einfluss haben in diesen Bereichen und natürlich auch eine Ausstrahlung. Ich fand Karl-Heinz Rummenigges Vorschlag sehr gut, dass Oliver Bierhoff das machen könnte. Es muss eine junge Person sein, die die Bindung hat zu der jungen Generation von Spielern. Ein Manager muss auf deren Niveau kommunizieren können, das heißt etwa, E-Mails austauschen. Dazu muss er mit Medien und Sponsoren umgehen können. Und der Trainer muss das Gefühl haben, er kann bei diesem Mann mal was abladen. Zuletzt war es so, dass Rudi Völler nirgends etwas abladen konnte.
SZ: Was muss noch geschehen?
JK: Man muss ein Team aufbauen mit Fachleuten für jeden Bereich. Aber bevor man das macht, muss man eine Bestandsaufnahme vornehmen. Also fragen: Wer arbeitet mit den Jüngsten, wer mit den Mittleren, das muss man bis rauf zur U23 ansehen. Wer arbeitet im Management, mit den Medien, in der Sportpsychologie? Im Prinzip muss man den ganzen Laden auseinander nehmen.
SZ: Wer soll das machen?
JK: Es sollte einen Workshop geben. Drei, vier Leute von Verband und Liga, einer vom WM-OK, drei, vier Top-Trainer und drei, vier Top-Manager der Bundesliga. Und die müssen es mal richtig krachen lassen. Im Moment ist es so, dass jeder um den heißen Brei herumredet, und jeder denkt, wenn wir jetzt schnell einen neuen Nationaltrainer präsentieren, dann ist der Druck weg. Dann haben wir uns wieder rausgemogelt.
SZ: So wird es wohl kommen.
JK: Ja, so scheint es. Wenn allen die Nationalelf so am Herzen liegt, warum kommt man dann nicht zusammen und redet Tacheles? Man muss analysieren und einen Plan vorlegen. Auch die Medien müssen eingebunden werden.
SZ: Aufgabe der Medien ist es, eine kritische Distanz zu wahren.
JK: Ja natürlich, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich meine, dass man einen offenen Umgang miteinander pflegt. Wenn man für einen Spieler einen Zweijahresplan entwirft, kann man auch vorhersagen, dass er irgendwann in der Entwicklung ein Tief erreicht. Dann muss man offen mit den Medien umgehen und sagen: Der Junge wird mal einbrechen, weil er im Moment an manchen Dingen mehr arbeitet. Wenn man zum Beispiel jetzt zwei Mal die Woche Schnellkraft trainiert, dann kommt nach zwei Monaten ein Tief. Aber aus einem Spieler, der 12,5 Sekunden auf 100 m läuft, mache ich einen, der 11,8 läuft. Thierry Henry läuft nicht umsonst 11,0. Der hat das trainiert, dem ist das nicht angeboren. Auch mir war das nicht angeboren, ich habe mir die Schnelligkeit zusätzlich erarbeitet. Die gesamte Trainingslehre des DFBs muss dringend reformiert werden.
SZ: Was Sie da vorschlagen, ist eine grundlegende Änderung des Systems.
JK: Die Nationalmannschaft ist ja nur das Aushängeschild. Man muss alles darunter bis in die Jugend durchleuchten. Uli Hoeneß hat mal den FC Bayern von einer Unternehmensberatung ansehen lassen, um herauszufinden, was man besser machen kann. So muss es jetzt beim DFB auch sein. Man schaut, wo es nicht passt, und dann muss man Leute suchen, die das ändern können. Diese Leute gibt es.
SZ: Das würde das Anforderungsprofil für einen Bundestrainer verändern.
JK: Bevor man ein Anforderungsprofil für den Trainer entwirft, muss man erst mal ein Anforderungsprofil für die Leute haben, die den Verband betreiben. Ich fand das gut, was Karl-Heinz Rummenigge vorgeschlagen hat, nämlich eine Altersbegrenzung im DFB. Dazu muss man sich fragen, was man rund um den Bundestrainer aufbaut, was für ein Team, wer dazugehört. Ein Psychologe beziehungsweise Mentaltrainer gehört dazu, die Spieler kommen in Stresssituationen, auf die sie niemals vorbereitet worden sind. Ich habe das Gefühl, die Maschinerie steht in Deutschland seit 20 Jahren.
SZ: Solche Funktionsteams, wie Sie sie beschreiben, haben in Deutschland keinen guten Ruf. Berti Vogts hat das mal in Leverkusen versucht, und er ist nicht nur verspottet worden, er ist auch kläglich gescheitert.
JK: Das Team, das Berti hatte, hat nicht ineinander gegriffen. Aber wenn man ein Team hat, das richtig greift, das auf der gleichen Wellenlänge liegt, dann gibt es nichts Besseres. So etwas praktiziert man in der NBA seit Jahren. Da übergibt Phil Jackson, bis vor kurzem Trainer der LA Lakers, an seinen Taktiktrainer oder an seinen Mentaltrainer, aber er, mit seiner Ausstrahlung, seiner Persönlichkeit – er führt das Ganze.
SZ: Was Sie sagen, klingt so grundlegend, dass man sich fragen muss, ob zwei Jahre überhaupt reichen.
JK: Zwei Jahre sind nur der Anfang. Aber man muss ja irgendwann mal loslegen. Das muss langfristig geplant werden, da muss mindestens ein Zehnjahresplan entwickelt werden. Aber viele beim DFB haben die Einstellung: Hauptsache, ich bin bei der WM 2006 noch im Boot. Danach bekommen wir für mindestens 30 Jahre ohnehin keine Großveranstaltung mehr.
SZ: Sie fordern eine Revolution.
JK: Na ja, es ist ja nichts Neues. Das hat Aimé Jacquet vor zehn Jahren in Frankreich gemacht. Das war auch praktisch eine Revolution. Das heißt nicht, dass andere Länder immer besser sind, aber man muss sich die Informationen holen. Dann rufe ich Aimé Jacquet an und frage: ,Aimé, hast Du mal eine Woche Zeit?“ Dann geht man das mal durch und kann sich immer noch rauspicken, was für den deutschen Fußball am besten ist.
SZ: Sie kennen die handelnden Personen im DFB, das sind seit langem dieselben. Sind Sie nicht skeptisch, dass eine solche Umstrukturierung gelingen kann?
JK: Die Frage ist, inwieweit die Herren – in diesem Fall Herr Mayer-Vorfelder und Herr Zwanziger – inwieweit diese Herren offen sind. Oder ob sie nur eine schnelle Lösung suchen, damit sie bis 2006 aus dem Schneider sind.