Deutsche Elf
Ich bin alt genug als Bundestrainer
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| Dienstag, 20. Juli 2004die Bild-Zeitung diktiert, und „der DFB tut sich schwer, sich den Gang der Dinge nicht von außen diktieren zu lassen“ (FR) / Franz Beckenbauer, Lothar Matthäus und Christoph Daum reden und reden u.v.m.
Der DFB tut sich schwer, sich den Gang der Dinge nicht von außen diktieren zu lassen
„Die wahre Trainerfindungskommission sitzt nicht im DFB-Haus im Frankfurter Stadtwald, sondern in den Redaktionsstuben“, bemerken Wolfgang Hettfleisch & Jan Christian Müller (FR 20.7.): „Die Macht der Bild-Zeitung, hat Alfred Draxler (Sportchef von Bild und BamS) mal gesagt, werde total überschätzt. Weil er das in Wahrheit ganz anders sieht, ist die größte deutsche Boulevardzeitung mitnichten bereit, die Völler-Nachfolge ein paar Offiziellen zu überlassen. Also wird am Rad gedreht – je größer dasselbe, desto besser. Draxler dirigiert sein Ensemble beim Boulevard-Fortissimo aus dem Hamburger Orchestergraben während der legendären Telefonkonferenzen. Hand in Hand mit Duz-Freund Franz gab er bei der informellen Kandidatenkür den Takt vor. Erst musste es Hitzfeld sein, der war Konsens – und liegt dem FC Bayern auf der Tasche. Nach Hitzfelds Absage hisste Bild eilig die Fahne von Otto Rehhagel. „Komm zurück“, barmte das Blatt und greinte: „Deutschland braucht ihn.“ Draxler bescheinigte Rehhagel, der sei „wahrscheinlich genau der Richtige für uns“. Tagelang orgelte das Blatt für die Ottokratie. Dann war die Kirche aus – der „Otto-Schock“ (Bild). „Willkommen in der Fußball-Bananenrepublik“, fauchte der bloßgestellte Draxler. Ein paar Tage lang spielte auch die wohl einflussreichste Sportredaktion der Republik eher lustlos Kandidaten-Roulette, dann wurde, o Wunder, Lothar Matthäus auf den Schild gehoben – mittels einer lustigen Telefon-Leserumfrage. Nun also auch noch Winfried Schäfer. Die SZ ist einen Schritt weiter. Ihr aktueller Vorschlag: Käpt‘n Blaubär. So lustig geht’s bei der Sportbild nicht zu, dazu ist Fußball eine zu ernste Sache. Auch wenn durchaus mal was schief gehen kann: „Alles perfekt mit Hitzfeld“ titelte das Wochenblatt just an dem Tag, an dem der absagte. Ob dieses Desasters gänzlich unverzagt, gab die Gazette zuletzt dem großen Bruder Bild Geleitschutz in der Matthäus-Passion: Chefredakteur Gottschalk, der über seinem Editorial gefährlich nach vorn aus dem Bild fällt, „versteht nicht, wieso sein Name nicht ernsthaft diskutiert wird.“ Sechs Seiten weiter hinten darf sich Loddar dann zweispaltig selbst bewerben (und wird dafür bezahlt): „Ich bin alt genug als Bundestrainer.“ Begreift da einer gar nicht, dass er sich mit der penetranten Werbung in eigener Sache auch noch der letzten Chancen beraubt hat? Der DFB tut sich schwer, sich den Gang der Dinge nicht von außen diktieren zu lassen. Anrufe in der DFB-Zentrale sind dieser Tage zwecklos. Gebetsmühlenartig wird wiederholt: Kein neuer Sachstand. Den kriegen die Bild-Leser dafür am nächsten Morgen aufs Brötchen geschmiert. Bevorzugt vom selbst ernannten Teamchef-Fahnder Beckenbauer. Trotz der Kollateralschäden war es ein kluger Schachzug, den Übervater des deutschen Fußballs bei der Trainersuche ins Boot zu holen. Denn es lässt sich leicht ausmalen, wie die „TFK“ ohne die Immunität der Lichtgestalt durch den Wolf gedreht worden wäre. Kein anderer besäße die Narrenfreiheit, ohne Erfolg drei Kandidaten ins Amt singen zu wollen. Der angeschlagene Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder wäre für ein ähnliches Tohuwabohu in den Orbit geschossen worden. Im Schlachtengetöse bleibt einer in Deckung: Rainer Holzschuh vom Kicker. Seine knallharte Botschaft: „Der neue Bundestrainer muss ohne Wenn und Aber die WM ins Visier nehmen.“ Wer hätte das gedacht?““
Ich bin alt genug als Bundestrainer
Das Feuilleton der SZ (20.7.) empfiehlt Matthäus den Sprachkurs „Deutsch und Fußball“ des Goethe-Instituts: „Vormittags wird graue Theorie geübt, Grammatik, Verbformen, Satzbau. Aber alles immer eng am Ball. So wird der Konjunktiv II, knifflige Sache, ein grammatikalischer Doppelpass, mithilfe der Frage: „Was würdest Du machen, wenn Du Bundestrainer wärst?“ eingeübt. Oder es werden, ausgehend von Texten aus dem Kicker, Aufsätze verfasst. Lothar Matthäus, der dritte große Deutsche, hat in der aktuellen Ausgabe des Zentralorgans des deutschen Fußballs übrigens den schönen Satz geschrieben: „Ich bin alt genug als Bundestrainer“, ein Bonmot, das ihn zwar noch nicht für das Amt desselben, aber doch auf jeden Fall für den Einsteigerkurs des Goethe-Instituts qualifiziert.“
Der Rücktritt war ein großer Fehler
Die SZ (19.7.) notiert Beckenbauers Rüffel an Rudi Völler: „Allmählich bekommt Franz Beckenbauer auf seinem Hindernislauf schlechte Laune. Und der Hauptkommissar der mit der Bundestrainersuche beauftragten Sondereinheit des DFB hat inzwischen auch einen Schuldigen für die Misere ausgemacht, die den deutschen Verband hilf- und ratlos erscheinen lässt. Es ist Rudi Völler, dem Beckenbauer im Interview mit der Passauer Neuen Presse vorwirft: „Das war der überflüssigste Rücktritt überhaupt. Er kam zum ungünstigsten Zeitpunkt. Wo kriegst du jetzt einen Coach her?“ Das klingt wie eine Anklage, und damit steht Beckenbauer nicht allein. Auch andere Persönlichkeiten des Fußballs sind zu der Ansicht gelangt, dass Völlers überraschender Rücktritt verantwortungslos war und dem Verband ein Rätsel aufgegeben hat, das er nicht lösen kann. Der Kritik, dass der DFB auf die Situation hätte vorbereitet sein müssen, tritt Beckenbauer entgegen: „Wir haben alle gesagt, Rudi macht weiter bis 2006, egal was passiert. Und wir haben uns ja bei der EM nicht blamiert. Der Rücktritt war ein großer Fehler.“ Ähnlich wertet er auch den Entschluss von Ottmar Hitzfeld, das Angebot zur Nachfolge Völlers abzulehnen, weil er den Stress der sechs Jahre beim FC Bayern noch nicht überwunden habe. „Als Bundestrainer“, gibt er Hitzfeld zu bedenken, „hast du andere Aufgaben, die viel interessanter sind. Da fliegst du mal nach London und schaust dir England gegen Brasilien an, das ist doch schön.““
Bei diesem Bruderpaar muss man sehr vorsichtig sein
Randschauplatz – Javier Cáceres (SZ 19.7.) stellt fest, dass Christoph Daum nicht mehr viel zu verlieren und nicht mehr viel zu gewinnen hat: „Ob es nun zu größeren Verwicklungen kommt? Die Journalisten der türkischen Presse etwas in den falschen Hals bekommen haben, wegen einer womöglich unzulänglichen Übersetzung der Bemerkungen des deutschen Cheftrainers von Fenerbahce Istanbul, Christoph Daum, ins Türkische? Daum jedenfalls mühte sich erkennbar, seinen Dolmetscher mittels eines Schnellkurses in Semantik wieder auf Linie zu bringen, um mögliche Fehldeutungen zu vermeiden. „Dann hat in dieser Situation mal der Herr (Dieter) Hoeneß ein Näschen gehabt“, hatte Daum nämlich gesagt, und damit am Samstagabend im Pressesaal des Berliner Ludwig-Jahn-Stadions, nach dem Sieg von Fenerbahce im Freundschaftsspiel gegen Türkiyemspor Berlin (3:2) unter Journalisten, die des Deutschen mächtig waren, Heiterkeit, unter den türkischen Kollegen Nervosität hervorgerufen. Daum, Hoeneß, Näschen?!? „Im Sinne von: das richtige Gespür gehabt“, flüsterte Daum seinem Interpreten zu. Ach so. Es war nur die Fortsetzung einer von mehreren Sottisen Daums gegen Dieter und Uli Hoeneß, die Manager von Hertha BSC und des FC Bayern München; geäußert hatte er sie am Samstagmittag. In bester Fenerbahce-Demagogie hatte sich Daum darüber amüsiert, dass Hertha für die Eröffnung des renovierten Olympiastadions Besiktas als Freundschaftsspielgegner verpflichtet hatte – und nicht den Lokalrivalen Fenerbahce Spor Kulübü, der allein das Olympiastadion zur Hälfte gefüllt hätte. Sagt Daum. Doch am Samstagabend wollten kaum mehr als 4500 Zuschauer Fenerbahce sehen, und Daum ruderte zurück: „Hoeneß“ Näschen“ eben. Wobei Hertha, wie Daum ebenfalls sagte – „und bei diesem Bruderpaar muss man sehr vorsichtig sein“, die Worte am besten vorher „mit drei Rechtsanwälten“ besprechen – wobei Hertha durchaus bei Fenerbahce um einen Termin gebeten habe; er könne das „schriftlich dokumentieren“. 120 000 Euro habe er von Hertha BSC als Gage verlangt, „aber weil mir der Manager bekannt ist, habe ich über die 120 000 Euro eine Bankgarantie gefordert“, sagte Daum und feixte. Das sei seine Art, „so etwas auszudrücken“. So etwas? Offenbar seinen Ärger darüber, dass Dieter Hoeneß, den Daum aus gemeinsamen Tagen beim VfB Stuttgart kennt, unlängst mit den Worten zitiert worden war, der bis zu seiner Kokain-Affäre bei Bayer Leverkusen tätige Fußball-Lehrer habe zwar kurzfristig Erfolg, hinterlasse aber in seinen Klubs Scherbenhaufen. „Eine 80-Stunden-Woche ist für mich eine Selbstverständlichkeit“, zeterte Christoph Daum; sein Motto sei, „das Doppelte von dem, was ich an Gehalt bekomme, zurückzugeben“. Bei all seinen bisherigen Arbeitgebern sei er daher in bester Erinnerung, und „das lasse ich mir nicht von einem Quatschkopf von Hertha kaputt reden“. Dass er nun, nach einer Periode verbaler Waffenruhe, doch auf Krawall gebürstet zu sein scheint, sobald die Rede auf Hoeneß & Hoeneß kommt, hängt wohl damit zusammen, dass er eingesehen hat, in Deutschland nicht mehr an prominenter Stelle tätig werden zu können.“