Deutsche Elf
Kulturschock für den deutschen Fußball
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| Montag, 26. Juli 2004Armin Lehmann (Tsp 26.7.) vernimmt einen frischen Luftzug: „Klinsmann aber ist genauso wenig ein Heilsbringer, wie es Völler war. Klinsmann ist ein echter Kulturschock für den deutschen Fußball. Nicht nur, weil er als Schwabe alles außer Hochdeutsch kann –, sondern vor allem auf Grund seiner Vita ist Klinsmann eine Art „ausländischer Kandidat“ von der Sorte, für die der DFB bisher nicht zugänglich war. Rudi Völler war der Kumpel der Nation, einer von uns, jeder konnte sich vorstellen, wie er an der Theke nebenan ein Bier trinkt. Völler war auch mal in Italien, aber eigentlich war er ein konservativer, vorsichtiger, defensiver Teamchef, der öffentlich nicht gerne sagte, was er wollte. Er war ein typischer Vertreter aus der Mitte des deutschen Fußballs. Klinsmann kann von außen einwirken. Klinsmann ist ambivalenter als Völler, und das macht ihn interessant. Für viele ist der Sohn eines Bäckers immer nur der Sunny-Boy gewesen, der so schön lacht. Hinter der lächelnden Fassade steckte aber stets ein harter Geschäftsmann, der seine Ziele durchzusetzen und beste Verträge auszuhandeln wusste. Klinsmann hat dieses Durchsetzungsvermögen hart trainiert, deshalb sagt er von sich, dass er „immer Schüler sein will“. Auch das ist eine aufreizende Aussage für einen künftigen Teamchef, der doch den größten und mächtigsten Fußball-Verband der Welt vertreten soll, einen Verband, der sich Belehrungen von außen immer verbeten hat. Klinsmann adaptiert die Dinge, die er woanders sieht. Aus Italien hat er die Lust am Leben mitgebracht. In Frankreich hat er gelernt, charmant mit Rückschlägen klarzukommen. In England hat er sich angucken können, wie professioneller Fußball organisiert wird, und verinnerlicht, was Teamgeist ist. Und in den USA hat er perfektioniert, seine Überzeugungen smart, aber mit innerer Substanz zu vertreten. Deshalb ist Klinsmann für den deutschen Fußball ein Mentalitätswechsel.“
Klinsmann wird als interkontinentaler Trendforscher alles dafür tun, Weltmaßstäben seines Sports zu genügen
Roland Zorn (FAZ 24.7.) konkretisiert Klinsmanns Arbeitsweise: „Der American way of life, soviel ist sicher, hat auf die Ideenwelt des Jürgen Klinsmann längst abgefärbt. Der im Großraum Los Angeles heimisch gewordene frühere Weltstar am Ball weiß die strukturellen und organisatorischen Stärken amerikanischer Profiteams wohl zu schätzen, bei denen Job-sharing zum Wohle des großen Ganzen eine Selbstverständlichkeit ist. Bei ihm um die Ecke hat bis zum Mai Phil Jackson, eine Trainerlegende des Basketballs, bei den Los Angeles Lakers gearbeitet. Jackson war ein Meister der auch von Klinsmann bewunderten Kunst, Solisten, Künstler und Handwerker zu einem effektiven Gemeinschaftsbündnis zusammenzuschweißen. „Bewußtes Handeln ist alles“, hat Jackson einmal gesagt und es dabei stets verstanden, Verantwortung sinnvoll zu delegieren. Stattliche Trainerteams um den Headcoach gehören im amerikanischen Profimannschaftssport zu den Selbstverständlichkeiten, die niemand in Frage stellt. So unterstützen Larry Brown, den Cheftrainer des nordamerikanischen Profibasketballmeisters Detroit Pistons, vier Assistenten und ein Athletiktrainer. Auch Mentaltrainer oder Psychologen gehören in der National Basketball Association (NBA) oder der National Football League (NFL) zur Grundausstattung der mit Unternehmergeist aufgestellten Klubs. Spezialisten, die jene Dinge beherrschen, die Klinsmann einfordert, um seine Trainervorstellungen umsetzen zu können, werden demnächst auch beim DFB anheuern. (…) Die Leute innerhalb der DFB-Mauern müssen auf einen Chefneuling gefaßt sein, dessen Rollenverständnis nur noch wenig mit dem gemein haben wird, was in Deutschland jahrzehntelang zum Ritual der Bundestrainer gehörte. Klinsmann sieht sich im Wortsinn als global player und wird deshalb auch als interkontinentaler Trendforscher alles dafür tun, Weltmaßstäben seines Sports zu genügen.“