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Wie lange kann der neue Bundestrainer sein Machtfeld erhalten?

Oliver Fritsch | Dienstag, 3. August 2004 Kommentare deaktiviert für Wie lange kann der neue Bundestrainer sein Machtfeld erhalten?

„wie lange kann Jürgen Klinsmann sein Machtfeld erhalten?“ (FAS) / Klinsmanns „Marsch durch die Institutionen“ (SZ) u.a.

Michael Ashelm (FAS 3.8.) bewertet den Einstand Jürgen Klinsmanns: „Klinsmann diktiert seine Bedingungen. Durch sein offensives Handeln hat der blonde Schwabe mit dem kalifornischen Lächeln gleich zwei Machtinstanzen des deutschen Fußballs in die Defensive gedrängt. Zuerst einmal die alteingesessene Funktionärsriege im DFB – und gleich dazu noch Franz Beckenbauer. Vielsagend der Kommentar des neuen Bundestrainers bei seiner offiziellen Vorstellung am Donnerstag in der Frankfurter DFB-Zentrale: „Ich komme aus der Angreiferecke.“ Die ersten wichtigen Punktsiege hat Klinsmann bei der Bewältigung seiner bislang schwersten Aufgabe zu verzeichnen. Kleinlaut, fast beleidigt zog sich die sonst so wortreiche Fußball-Allmacht Franz Beckenbauer dieser Tage in die Schmollecke zurück. Sein direkter Einfluß auf die strategisch wichtigen Dinge der Nationalelf ist mit der Inthronisierung des neuen Ankermannes plötzlich arg geschwunden. Noch Anfang der Woche sah der „Kaiser“ wenigstens noch die Chance, mit der Besetzung seines Mannes Holger Osieck (mit ihm als Zuarbeiter gewann er den WM-Titel 1990) auf den Posten des Bundestrainers neben dem Teamchef Klinsmann zumindest etwas Kontrolle über die wichtigste Mannschaft des Landes behalten zu können. Als vom DFB am Mittwoch die Zusammenarbeit mit Osieck ad acta gelegt wurde, glaubten viele zuerst an den ersten satten Tiefschlag für Klinsmann. Doch im Gegenteil: Der clevere Bäckergeselle aus Stuttgart emanzipierte sich nur mal schnell von Beckenbauer, erteilte Osieck, den er selbst nie für den Job an seiner Seite in Betracht gezogen hatte, die Absage. Eigentlich die logische Konsequenz seines Machtanspruchs, den verlängerten Arm des „Kaisers“ nicht im Nationalteam spüren zu wollen. Der Ärger über die Niederlage war Beckenbauer, der durch den merkwürdig chaotischen Verlauf der Trainersuche und die Absagen von Ottmar Hitzfeld sowie Otto Rehhagel Imagepunkte eingebüßt hat, ins Gesicht geschrieben. Grantelnd kommentierte er die Kotrainerfrage: „Irgendeiner wird es schon machen.“ In seinem inoffiziellen Mitteilungsorgan, der „Bild“-Zeitung, nahm der omnipräsente Fußballfunktionär, dessen Name beim Vorstellungsakt Klinsmanns in Frankfurt nur ein einziges Mal genannt wurde, auch am Samstag noch wie ein schlechter Verlierer auf die persönliche Schlappe Bezug. (…) Die spannendste Frage wird sein, wie lange der neue Bundestrainer sein Machtfeld erhalten kann. Also wer steht bei Rückschlägen zu ihm? Die DFB-Männer müssen ihn stützen, anders sieht das mit denen aus, die mit Klinsmann schon jetzt Probleme haben und über genug Power in der Meinungsmache verfügen. Äußerst reserviert mit eher negativem Unterton begleitete bislang die „Bild“-Zeitung das Engagement. Als zur Krönung in der Freitagausgabe Leser ihre Meinung zu Klinsmann kundtun sollten, zeigten sieben von acht Leserbriefen eine sehr negative Einstellung. Das erste Störfeuer? Das schlechte Verhältnis zwischen Klinsmann und dem Boulevard-Schlachtschiff des Axel-Springer-Verlages hat Tradition. Die Auseinandersetzungen gingen sogar schon bis vor Gericht. 1997 erhielt der Profi wegen unkorrekter Berichte, die ihn in seinem Persönlichkeitsrecht verletzten, sogar eine Entschädigung. Mal sehen, wie sich „Bild“-Mann Beckenbauer nun in schweren Stunden positionieren wird? Und auch der alte Klinsmann-Rivale Lothar Matthäus benutzt das Blatt gerne als Sprachrohr.“

Beim Thema Fußball reden halt alle mit, da kann es leicht passieren, daß auch viel Unsinn verzapft wird

Peter Penders (FAZ 3.8.) ergänzt: „Daß er ein ganzes Expertenteam um sich scharen will, hat viele irritiert, die doch überzeugt sind, längst alles über Fußball zu wissen. Mag sein, aber manchmal ist es ganz hilfreich, über den Tellerrand hinauszublicken – und dafür muß man nicht einmal in die Vereinigten Staaten umziehen. Mit Psychologen, Sprinttrainern oder anderen Fachleuten arbeiten die Bundestrainer in vielen Sportarten in Deutschland schon so lange zusammen, daß sie sich mitten in ihrer Vorbereitung auf die Olympischen Spiele über die Ignoranz beim Vorreiter Fußball mal wieder ausgiebig wundern. Natürlich gab es da auch einen Rat von Lothar: „Ein Psychologe beim Fußball ist Quatsch.“ Da muß Klinsmann wirklich nicht hinhören. Beim Thema Fußball reden halt alle mit, da kann es leicht passieren, daß auch viel Unsinn verzapft wird. Selbst die Lichtgestalt des deutschen Fußballs hatte sich während der Europameisterschaft in den Augen vieler erfahrener Trainer lächerlich gemacht. Als der Schwede Lars Lagerbäck während einer Partie einem Einwechselspieler auf einer kleinen Taktiktafel erklärte, welche Aufgaben der neue Mann gleich zu bewältigen habe, machte sich Beckenbauer lustig. So etwas müsse man vorher machen, da habe der Kollege wohl etwas verpaßt, befand er erst via Fernsehen und tags darauf in seiner Hauspostille „Bild“. Das kommt am Stammtisch vielleicht gut an – aber außer im Fußball sind die Taktiktafeln ein Utensil jedes Trainers. Der Trottel war sicherlich nicht Herr Lagerbäck.“

Marsch durch die Institutionen

Klinsmann hat sein Diplom in einem Kurzlehrgang erworben. Christoph Biermann (SZ 3.8.) recherchiert: „„Ich musste den Kurs gegen massiven Widerstand im DFB durchsetzen“, erinnert sich Berti Vogts. Zwei Jahre lang hatte er als Bundestrainer darum gekämpft, einem Modell zu folgen, das in Holland schon erprobt worden war. Guus Hiddink hatte dort 1997 einen ähnlichen Kurs angeregt, an dessen Ende Ronald Koeman, Frank Rijkaard und Ruud Gullit ihre Trainer-Diplome bekamen. In Deutschland kürzte Trainerausbilder Gero Bisanz die Lerninhalte von sonst 560 auf 240 Unterrichtsstunden, in denen Sportmedizin und Taktik, Psychologie und Rhetorik, Trainingsführung und Mannschaftsansprache in verdichteter Form enthalten waren. „Weil das Programm so komprimiert war, entstand bald eine sehr intensive Arbeitsatmosphäre“, erinnert sich Bisanz. Dem erfahrenen Ausbilder machte der Kurs auch deshalb Spaß, weil er weniger als üblich eingreifen musste. Das Gespür für das Spiel war größer, weil es alle auf höchstem Niveau betrieben hatten, „und viele von ihnen hatten die eigenen Erfahrungen als Spieler reflektiert“, sagt Bisanz. Gerade Jürgen Klinsmann attestiert er diese Fähigkeit: „Er sieht die Fußballstruktur eindeutig klar.“ Klinsmann sah während der Übungen die Fehler und sprach sie richtig an, beobachtete Bisanz, für den gerade das eine der Voraussetzungen ist, ein guter Trainer zu werden. Doch nicht nur die Arbeitsatmosphäre und die Vorbildung der Trainerschüler war anders als bei den sonstigen Lehrgängen. Weil fast alle Teilnehmer einander kannten und die beiden Frauen sofort integriert wurden, entstand ein besonderes Gruppengefühl. „Man kann fast von einer verschworenen Gemeinschaft sprechen“, sagt Bisanz. Eigentlich war der Sonderlehrgang 2000 nämlich die Klasse von 1996. (…) Nicht nur in der Frage der Nachwuchsförderung artikulierte sich im Kurs ein neues Denken, es gab auch ein grundsätzliches Unbehagen mit dem Fußballgeschäft. Vor allem der rüde Umgang mit dem bereits im September 1998 geschassten Berti Vogts, dem nicht nur Klinsmann viel verdankte, empörte seine Spieler von einst noch. Da saßen abgebrühte Profis zusammen, die wussten, wie das Geschäft funktioniert, doch zugleich träumten sie irgendwie vage von Veränderung. Gero Bisanz sagt heute leicht distanzierend: „Die jungen Leute haben eben ihre eigenen Ideen.“ Das gilt vor allem für die im Sonderlehrgang entstandenen Aktivitäten im Jugendfußball, die in direkter Konkurrenz zu denen des Deutschen Fußball-Bundes stehen. So macht die Übernahme des Bundestraineramtes durch Jürgen Klinsmann den Eindruck, als hätte er den Marsch durch die Institutionen angetreten. Oder die Chance genutzt, sich gleich an ihre Spitze zu setzen.“

Kulturtheoretiker Lothar Matthäus über den Amerikaner an sich: „Ein Amerikaner denkt doch ganz anders als ein Deutscher. Ich sage: Man darf seine Wurzeln nicht verlieren. Ich glaube, wenn man den Fußball zur Professoren-Arbeit macht, verliert man diese Wurzeln.“

Historiker Uli Hoeneß antwortet: „Ich achte das Amt des Bundestrainers auch als eine gesellschaftliche Verantwortung. Aus diesem Grund traue ich Lothar das Amt nicht zu. Ein Bundestrainer Matthäus wäre wie ein KGB-Mann als Kanzler.“

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