Ball und Buchstabe
Es werden kaum noch Geschichten erzählt
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| Dienstag, 3. August 2004Zeit-Interview mit Michael Palme, ehemaliger ZDF-Reporter, über Wesen und Wandlung des Fußball-Journalismus
Zeit: Wer ist schuld am oft sinnleeren Frage- und Antwortritual nach den Spielen?
MP: Es ist zum Teil absurd, was sich da abspielt, nur um dem Zuschauer das Gefühl von umittelbarer Nähe zu vermitteln. Ich will mich gar nicht freisprechen von mancher sinnleeren Frage. Aber mein Prinzip und das des ZDF ist ein anderes. Ein für den Fußball einflussreicher Privatsender wirbt mit: „Mittendrin statt nur dabei.“ Das ist genau das, was ich nie wollte. „Immer dabei, aber nie mittendrin sein“, das ist mein Motto. Auch wenn es nicht immer so aussieht, auch Sportjournalisten sind Journalisten. Ich will nicht mit im selben Boot sitzen.
Zeit: Wie viele gute Kommentatoren haben wir?
MP: Im Moment sehe ich nur zwei: Marcel Reif und Bela Rehty. Mich stört, dass man oft den Eindruck hat, die da unten spielen nur deshalb Fußball, weil da oben ein Reporter sitzt, der den Entertainer gibt. Anders herum wird ein Schuh draus: Die unten sind wichtig, nicht der da oben.
Zeit: Das Sportfernsehen hat sich gewandelt, der Trend geht weg von der reinen Berichterstattung hin zum Entertainment. Man könnte sogar von einer kleinen Revolution sprechen.
MP: Mein Freund und Kollege Rainer Deicke, der wie ich in diesen Tagen das ZDF verlässt, hat gesagt, es habe einmal ein Reporterfernsehen gegeben, heute hätten wir ein Moderatorenfernsehen. Das finde ich auch. Es werden kaum noch Geschichten erzählt. Da steht einer, fragt etwas, es wird geantwortet, mehr oder weniger intelligent. Mir ist das zu wenig. Die Hintergrundrecherchen, die, wie wir sagen, „gebauten“ Beiträge, die sich aus Interviews, Bildern und selbst gesprochenen Texten des Autors zusammensetzen, die fehlen mir. Stattdessen wird stundenlang in Studios oder auf Hoteldächern gefachsimpelt.
Zeit: Herr Palme, mit 60 Jahren hat Sie das ZDF in den vorgezogenen Ruhestand verabschiedet. Ein freiwilliger Abschied?
MP: Ganz und gar. Niemand wurde aufgefordert zu gehen, auch ich nicht. Man konnte einen Antrag stellen. Und wenn das Haus nichts dagegen hatte, dann konnte man gehen. In meinem Fall hatte das Haus nichts dagegen.
Zeit: Hatten Sie noch Spaß an Ihrer Arbeit?
MP: Ja. Aber ich hatte zunehmend den Eindruck, dass andere weniger Spaß hatten an meiner Arbeit. Mehr will ich dazu nicht sagen.
Zeit: Sie arbeiten jetzt für Premiere, assistieren ihrem langjährigen Freund und Kollegen Marcel Reif. Was ist Ihre Aufgabe?
MP: Ich halte Marcel Reif während der Übertragungen das Händchen. Spaß beiseite. Ich bin Fachberater, schaue mit ihm auf das Spielfeld und gebe ihm Hinweise, wenn mir etwas auffällt. Vier Augen sehen mehr als zwei. Das ist bei der Live-Kommentierung von Spielen ein übliches Modell.
Zeit: Hört er auf Sie?
MP: Das werden wir sehen, das heißt, ich werde es merken, Sie und die anderen Zuschauer können es ja nicht überprüfen. Denn mich wird man auf dem Bildschirm nicht mehr sehen.
Zeit: Sie sitzen neben einem Freund, gucken Fußball und bekommen auch noch Geld dafür.
MP: Ich beschwere mich auch gar nicht.