Deutsche Elf
Kollision mit dem Gewesenen
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| Mittwoch, 4. August 2004Die Experten reagieren uneinheitlich auf die Verpflichtung Jürgen Klinsmanns, Uli Hoeneß stimmt der Lösung zu (SZ) / FR-Interview mit Franz Beckenbauer u.a.
Wie alle radikal neuen Denkmuster kollidiert auch die Dreier-Lösung mit dem Gewesenen
Die Experten reagieren verschieden auf die Verpflichtung Jürgen Klinsmanns; was bedeutet das Ja von Uli Hoeneß, Ludger Schulze (SZ 4.8.)? „Es signalisiert die Trendwende, denn nahezu alle sinnvollen Überlegungen und Neuerungen im deutschen Fußball der vergangenen 25 Jahre haben ihren Ausgang in der Säbener Straße genommen. Wie alle radikal neuen Denkmuster kollidiert auch die Dreier-Lösung mit dem Gewesenen. Sie ist also ein ideeller Gegenentwurf zu der schon traditionellen Arbeitsweise, die den deutschen Fußball im internationalen Mittelmaß versenkt hat, und sie ist obendrein ein personeller Gegenentwurf zum Kandidaten der Rückwärtsgewandten: Lothar Matthäus. Der wäre nach Otto Rehhagels Absage unweigerlich Teamchef geworden, wenn es nach Franz Beckenbauer und dessen Redaktionskollegen von Bild gegangen wäre. Das Doppelpassspiel der auflagenstärksten deutschen Zeitung mit ihrem Starkolumnisten war von beachtlichem Geschick: Beckenbauer verschleppte durch umfassende Passivität beispielsweise die Varianten Hiddink oder Olsen, während gleichzeitig in Bild für den Redaktions- und Beckenbauer-Intimus Matthäus getrommelt wurde. So schien alles auf den Rekordnationalspieler zuzulaufen, ehe der DFB-Generalsekretär Horst R. Schmidt, ein unabhängiger Geist ohne persönliche Interessen, überraschend die Klinsmann-Karte spielte. Dass Klinsmann den einstigen Beckenbauer-Assistenten (und von Beckenbauer wieder empfohlenen) Holger Osieck ablehnte, zeigt, mit welcher Entschiedenheit er das Projekt Neubeginn bereits in Angriff genommen hat. Das gemurmelte Unbehagen der Besitzstandswahrer in Teilen der Branche wie der Medien vor einem Umbruch zeigt nur, wie notwendig dieser ist.“
Im Juli einen Trainer zu suchen, ist eine Katastrophe
Franz Hellmann (FR 4.8.) fragt Franz Beckenbauer nach seiner Meinung über die Trainerlösung
FR: Jürgen Klinsmann hat den WM-Titel als Ziel ausgegeben. Ist das richtig?
FB: Die Aussage ist mutig, aber auch vollkommen in Ordnung. Ist doch schön, wenn einer positiv an eine neue Sache herangeht. Es soll ja eine gewisse Aufbruchstimmung her, man hat jetzt ein bisschen Zeit, sich zu erneuern. Dafür ist Klinsmann der richtige Mann. Und vergessen wir nicht: Wenn Michael Ballack gegen Tschechien ein paar Zentimeter weiter nach rechts gezielt hätte, wäre nie eine Trainerfindungskommission gegründet worden.
FR: Das hätte Ihnen Ärger erspart.
FB: Im Juli einen Trainer zu suchen, ist eine Katastrophe.
FR: Spielen die Mechanismen der Medien nicht auch eine Rolle? Die Bild-Zeitung, bei der Sie unter Vertrag stehen, hat viele Kandidaten gespielt, aber am Ende nicht ihren Wunschkandidaten bekommen.
FB: Da ist zu viel spekuliert worden. Da war ich auch von einigen Sachen überrascht. Aber von mir hat Bild die Informationen nicht, sie bekommen keine Geheimnisse verraten. Mein Vertrag beinhaltet die Kolumnen…
FR:…die sie selber schreiben?
FB: Nein, ich telefoniere mit Walter M. Straten (bei Bild Sport-Regionalkoordinator Berlin und neue Bundesländer, FR).
FR: Uli Hoeneß hat am Sonntag im DSF gesagt, ein Bundestrainer Matthäus wäre so gewesen, als würde der Chef-Spion des KGB Bundeskanzler.
FB: Mein Verhältnis zu Lothar ist ein anderes – ich halte ihn für einen guten Trainer. Aber Lothar hat natürlich auch selbst schuld gehabt und sich mit der Klage gegen den FC Bayern keinen Gefallen getan. Dann hat man halt Uli Hoeneß nicht auf seiner Seite.
Klinsmann will einen Sportpsychologen engagieren; Thorsten Jungholt (Welt 4.8.) begrüßt dies: „Florian Holsboer war angenehm überrascht, als der neue Bundestrainer Jürgen Klinsmann seine Agenda vorstellte. Denn ganz oben auf der Prioritätenliste Klinsmanns steht die Erweiterung des Betreuerstabs der Nationalmannschaft um einen Sportpsychologen. „Es ist gut, dass der DFB nun offen ist für das Thema“, sagte Holsboer, Leiter des Münchener Max-Planck-Instituts für Psychologie und Therapeut von Sebastian Deisler. Dass die Einbeziehung von Psychologen in den Leistungssport grundsätzlich Sinn macht, wird mittlerweile nicht mehr bestritten. Im Verantwortungsbereich des Deutschen Sportbundes sind 30 Psychologen in 18 Sportarten tätig, um dafür zu sorgen, dass die Athleten ihre Trainingsleistungen im Wettkampf umsetzen können, Spannungen in Mannschaften schwinden und Nervosität gar nicht erst aufkommt. „Wissenschaftliche Studien haben ergeben, dass man den Faktor Psyche bei sportlichen Erfolgen mit 15 bis 20 Prozent beziffern kann“, sagt Martin Schweer, Sportpsychologe an der Hochschule Vechta. Schon unter Klinsmanns Vorgänger Rudi Völler hatte es Überlegungen gegeben, einen Mentaltrainer mit zur Europameisterschaft nach Portugal zu nehmen. Doch der Teamchef war letztlich davor zurückgeschreckt, weil er öffentliche Häme fürchtete. Spätestens, als Franz Beckenbauer in der „Bild“ zum Besten gegeben hatte, dass er schon 1990 einen Priester mit zur WM nach Italien genommen hatte, war Völlers Idee ins Lächerliche gezogen.“