Bundesliga
Im Selbstbeschwindeln auf Spitzenniveau
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| Montag, 9. August 2004Pressestimmen zu den Spielen des 1. Spieltags: „Mit Deisler und Lucio sind die Bayern wieder die alten“ (FAZ) – „Bayer Leverkusen bedurfte viel Glück“ (SZ) – „schlechter hätte Bert van Marwijk nicht starten können“ (FAZ) / „der BVB agierte mit Herz und Elan“ (FR) u.v.m.
Hamburger SV-Bayern München 0:2
„Mit Deisler und Lucio sind die Bayern wieder die alten“, schreibt Roland Zorn (FAZ 9.8.): „Die Bayern haben eine interne Machtfrage zwei Stunden vor ihrer Saison-Ouvertüre in ihrem Hamburger Mannschaftsquartier ohne Diskussionen gelöst. Magath bestimmte nach wochenlanger Beobachtung der gesammelten Hierarchie und der individuellen Persönlichkeitsstrukturen, daß alles beim alten bleibe. Also wird weiter Oliver Kahn die Kapitänsbinde tragen und nicht sein verbindlicherer Nationalmannschaftskollege Ballack, der auf insistierende Fragen leicht genervt mit der kurz angebundenen Antwort „Fragen Sie den Trainer“ reagierte. Mag sein, daß er selbst gern mehr Verantwortung übernommen hätte. Magath aber entschied die K-Frage kraft seiner Autorität: „Dies war leider kein Wunschkonzert. Ich habe den Kapitän bestimmt. Kahn ist bei uns die Persönlichkeit. Ich brauche einen Kapitän, der auch in meinem Sinne Einfluß auf die Mannschaft nimmt.“ Dazu solle sich der Badener mehr als zuletzt „einbringen“, als private Turbulenzen Kahns beruflichen Ambitionen zumindest latent im Wege standen. In Hamburg hat sich die Nummer eins der Nationalelf, der Klinsmann jedoch keinen Alleinvertretungsanspruch mehr zubilligen will, nicht besonders anstrengen müssen. Dafür war der HSV, der zuletzt am 11. Februar 1996 ein Heimspiel gegen die Bayern gewann, zu brav. Ganz anders die Münchner: Sie konzentrierten sich aufs Wesentliche, verteidigten ihr Guthaben dank eines schon bei seiner ersten Vorstellung im goldenen Bayern-Trikot überragenden Lucio und schlugen, als die Zeit gekommen war, zweimal zu. Es paßte zum neuen Stil des Hauses an der Säbener Straße, daß von diesem vergleichsweise schmucklosen Erfolg niemand Aufhebens machen wollte.“
Bayer Leverkusen-Hannover 96 2:1
Leverkusen bedurfte viel Glück
Christoph Biermann (SZ 9.8.): „Reiner Calmund weinte nicht, so hatte er es sich vorgenommen. Aber auf den Rängen hatten die Zuschauer Tränen in den Augen, als der ehemalige Manager von Bayer Leverkusen vor dem Spiel gegen Hannover 96 verabschiedet wurde. Der Klub schenkte ihm Calmund in Öl, die Mannschaft ein großes Modell der BayArena, und die Fans widmeten ihm eine Choreografie. Über ihre Kurve zogen sie eine Karikatur von Calmund als Film-Oscar und ein Banner entlang des Zauns verkündete dazu, dass dieser Oscar in der „Kategorie Lebenswerk“ vergeben wurde. Dann ging Calmund auf seinen neuen Platz in der vierten Reihe der Ehrentribüne hinauf, und als er sich dort nach Ende der neunzig Minuten erhob, schien er schon eine neue Rolle gefunden zu haben: als Talisman. Bayer Leverkusen bedurfte so viel Glück, um das Auftaktspiel der Saison zu gewinnen, dass Trainer Klaus Augenthaler hinterher mehrmals darauf hinwies, er wolle sich für den Sieg nicht entschuldigen. Der Treffer zum 2:1 fiel nicht nur in letzter Sekunde, sondern zudem „in einer Situation, wo sie eigentlich schon gar nicht mehr wollten“, wie Hannovers Coach Ewald Lienen treffend feststellte. (…) „Ein Sieg wäre vielleicht des Guten zu viel gewesen“, sagte Lienen, als er die Schlussphase mit einigen guten Gelegenheiten für Hannover noch einmal rekapitulierte. Auf jeden Fall aber war eine Niederlage des Schlechten zu viel.“
Borussia Dortmund-VfL Wolfsburg 1:2
Schlechter hätte van Marwijk nicht starten können
Richard Leipold (FAZ 9.8.): “Das erste Pflichtspiel (im UI-Cup gegen Genk) verloren und zwei Wochen später auch die erste Bundesligapartie, jedesmal vor eigenem Publikum: Schlechter hätte van Marwijk nicht starten können. Als er nach vielen vergebenen Chancen um Fassung rang, war nichts mehr zu spüren von der lockeren Art des Niederländers, der den Auftrag angenommen hat, die Lebensgeister einer Mannschaft zu wecken, die sich von Mißerfolg und Mißgunst hat herunterziehen lassen. Van Marwijk scheint von Beginn an als Krisenmanager gefordert. (…) Alles beim alten auf dem schlingernden Schiff namens Borussia? Im Ergebnis ja, aber die Westfalen haben in den zurückliegenden Jahren zweifelsohne schon (viel) schlechter gekickt. Lange nicht mehr haben die Dortmunder einen Gegner so beherrscht wie den VfL Wolfsburg. Aber was nützt das, solange Aufwand und Ertrag in einem derart krassen Mißverhältnis stehen? Mittelfeld und Angriff von Borussia Dortmund haben die Produktion kräftig gesteigert, ohne daß die Mehrarbeit sich günstig auf die Produktivität ausgewirkt hätte. Vorher haben sie aus wenigen Chancen wenig Tore gemacht; nun haben sie viele Chancen und machen genauso wenig daraus.“
Im Selbstbeschwindeln ist die BVB-Truppe stets auf Spitzenniveau
Freddie Röckenhaus (SZ 9.8.): „An diesem Nachmittag der Ratlosigkeit machte schnell die Parole die Runde, Dortmund habe „total unverdient“ verloren, wie Sebastian Kehl befand. BVB-Kapitän Leonardo Dede meinte gar: „Wenn wir so nächste Woche in Mönchengladbach spielen, gewinnen wir dort garantiert.“ Im Selbstbeschwindeln ist die seit zwei Jahren den eigenen Ansprüchen hinterherschauende BVB-Truppe eben stets auf Spitzenniveau. (…) Beunruhigend vor allem, dass in entscheidenden Momenten des Spieles, in denen es auf letzte Konzentration, auf Unbekümmertheit und Esprit ankommt, in Dortmunds möglicherweise überschätzter Mannschaft weiterhin alles danebengeht. Fast hatte man den Eindruck, als würden die altbekannten Verkrampfungen aus der Sammer-Ära in allen Schlüsselszenen wie die Kistenteufel wieder hervorspringen. So folgte das Lamento über vergebene Chancen: Man hat es in Dortmund schon zig-fach von Matthias Sammer gehört.“
Der BVB agierte mit Herz und Elan
Felix Meininghaus (FR 9.8.): „Mit der schmerzlichen Heimniederlage hat sich der deutsche Meister des Jahres 2002 gleich zu Saisonbeginn in eine schwierige Lage manövriert. Mit der Verpflichtung van Marwijks verbinden sich viele Hoffnungen, der neue Mann soll in Westfalen Aufbruchstimmung erzeugen. Und die ersten Eindrücke waren durchweg positiv. Der Nachfolger von Matthias Sammer lässt viel mit dem Ball trainieren und gibt den in der jüngeren Vergangenheit oft so uninspirierten Profis in Schwarz-Gelb auch durch sein positives Auftreten den Spaß am Fußball zurück. Was van Marwijk will, war in der schwül-heißen Atmosphäre des Westfalenstadions durchaus zu erkennen. Der BVB agierte mit Herz und Elan, die Zuschauer registrierten den Abschied von der spielerischen Armut mit freundlichem Wohlwollen. „Niemand kann uns vorwerfen, nicht alles versucht zu haben“, sagte Kehl. Doch was nützt das, wenn es am Ende noch nicht einmal zu einem Erfolg über Wolfsburg reicht? Wie angespannt die Atmosphäre in Dortmund schon jetzt ist, bestätigte Kehl, als er nach dem Abpfiff wütend und frustriert aus der Fankurve zurückkehrte und dabei immer noch seinen gelben Arbeitsdress trug: „Man will nicht mein Trikot“, erklärte der Nationalspieler aufgebracht, „man will mich beschimpfen.“ Später sprach BVB-Kapitän Leonardo Dede davon, das Verhältnis mit den Fans sei „zur Zeit nicht optimal“.“
SC Freiburg-Hansa Rostock 0:0
Christoph Kieslich (FAZ 9.8.): „Saisonziele werden weder in Freiburg noch in Rostock jedes Jahr neu definiert. In der Bundesliga zu bleiben ist das Maß aller Dinge, aber man kann sich auf dem Weg dorthin ja kleine Steigerungen vornehmen. „Um den ersten Schritt zu 40 Punkten zu machen“, erläuterte Juri Schlünz, „wollten wir in Freiburg eigentlich gewinnen.“ In sieben Spielen zuvor war das Hansa Rostock nie gelungen, und nach dem torlosen Unentschieden konstatierte der Hansa-Trainer hoffnungslos, daß das wohl so bleiben werde. Nur gut, daß sich noch 33 andere Gelegenheiten bieten werden, um Fortschritte zu erzielen. Was Freiburger und Rostocker überdies eint, ist ein fehlender sogenannter Top-Torjäger. Im Breisgau hatten sie in diesem Sinne noch nie einen, dem FC Hansa ist in Martin Max gerade einer abhanden gekommen. Und so verpuffte das wenige, was bei einem noch etwas zähflüssigen Einstieg in die Saison an Chancen auf beiden Seiten herausgespielt wurde.“
1. FC Kaiserslautern-1. FC Nürnberg 1:3
Wie reagieren die Sieger, Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 9.8.)? „Nach dem erbaulichen 3:1 könnten sie ja alle plötzlich unverblümt rosarot sehen, den kommenden Saisonverlauf in schillernde Farben tauchen. Aber was sahen die Herren, die was zu sagen haben? „Das ist mir gar nicht so recht“, kommentierte „Club“-Präsident Michael A. Roth das Tabellenbild vom Samstag mit Nürnberg ganz oben ungewohnt kleinlaut. „Eine Momentaufname“, beeilte sich Trainer Wolfgang Wolf um eine Einordnung. „Das sind drei Punkte gegen den Abstieg“, sprach der Präsident, „wir müssen noch 37 Punkte holen“, rechnete Wolf vor. Dieser Mann ist ein Fuchs. Ein echter Pfälzer Bub, der sich nicht blenden läßt, Niederschläge gerade dann ankündigt, wenn die Sonne am höchsten steht. Im Fritz-Walter-Stadion animierte das Gesehene die mitgereisten Fans schon zu den schönsten Prognosen. Es waren ja nicht allein die Tore, die zu Zweitligazeiten als deplaziert empfundenes Liedgut animierten. Die junge Nürnberger Rasselbande ließ Ball und Gegner laufen. Was sie machte, hatte Hand und Fuß – und das ist keine Anspielung auf das Handspiel des überragenden Stürmers Markus Schroth. (…) Im Umkehrschluß fehlt es den Pfälzern an genau dieser als Spielkultur verstandenen Tugend. Da wird immer noch so gekickt, als gäbe es nach wie vor die individuellen Fähigkeiten einst tragender Figuren wie Klose, Lokvenc oder Hristov. Zwischen Abwehr und Angriff klafft im Mittelfeld eine so große Lücke, daß der Betzenberg umgehend zum Krisengebiet erklärt werden müßte. Es mag ja sein, daß die Chemie innerhalb der neu zusammengestellten Mannschaft stimmt, die Stimmung besser ist als in der vorigen Saison. Nur, als es galt, war nichts davon zu spüren. Bei den Stammkunden in Kaiserslautern klingen noch die Worte des forschen Stadionsprechers vor dem Anpfiff nach: „Der Berg hat uns wieder“ tönte er mit sich überschlagender Stimme. Nach den neunzig Minuten hat sie die Erde wieder.“
Harald Büttner (SZ 9.8.): „Die Art und Weise, wie der 1. FCN den Ausgleich beantwortete, hatte mit Fortune rein gar nichts zu tun. Die Club-Mannschaften früherer Erstligajahre wären reihenweise eingebrochen und hätten den Gegner aufgebaut, doch die Generation von Trainer Wolf zeigte Moral und konterte mit einer Attacke aus dem Lehrbuch. Michael A. Roth fühlte sich zu Beginn seiner 14. Saison im Präsidentenamt in seiner These bestätigt: „Ich glaube, wir hatten unter meiner Führung noch nie so einen starken Kader.“ Starke Trainer hingegen gab es beim Club schon in der Vergangenheit, doch keiner hat laut Roth „den Verein innerhalb kurzer Zeit so geprägt wie Wolfgang Wolf“. Dieser genoss sein Comeback in der Ersten Liga in vollen Zügen: „Bundesliga, wir sind wieder da! Meine Jungs haben bewiesen, dass sie mithalten können“.“
Wir wollten, aber wir konnten nicht
Wie reagieren die Verlierer, Ingo Durstewitz (FR 9.8.)? “So sieht also kompetente Pfälzer Ratlosigkeit aus: Kurt Jara, der zerknautschte Trainer des 1. FC Kaiserslautern, guckt diabolisch in die Runde und beißt vor Frust fast in das vor ihm stehende bunte Mikro. Jara knurrt: „So kann man kein Spiel gewinnen.“ Carsten Jancker, der glatt polierte Mittelstürmer, betastet wie in Trance die imposanten Narben auf seinem von zartem Flaum überzogenen Schädel. Jancker bellt: „Wir wollten, aber wir konnten nicht.“ Und Christian Nerlinger, der Abräumer mit dem Seitenscheitel, senkt die Stimme, um dem gesprochenen Wort noch mehr Emphase zu verleihen. Nerlinger faucht: „Die Ernüchterung ist riesengroß.“ Und: „Da ist einiges über uns hereingebrochen.“ Oder: „Diese Leistung muss uns zu denken geben.“ Wenn dem 1. FC Kaiserslautern nach der Demontage eines gelungen ist, dann die verbale Nachbereitung des 90-minütigen Trauerspiels. Die zweite Schmach, das Trauerspiel auch noch schönreden zu wollen, erlaubten sich die Spieler nicht.“
Hertha BSC Berlin-VfL Bochum 2:2
Peter Neururer hat sich noch kein abschließendes Urteil über Bochums neuen Aggregatzustand gebildet
Javier Cáceres (SZ 9.8.): „Die Bochumer sind derart wenig mit Elfmetern vertraut, dass Neururer es vorzog, die taktische Handlungsanleitungen an seine Mannschaft zu erneuern, statt der Ausführung durch Peter Madsen zu harren – nicht dass seine Elf noch erschrickt vor so viel Großzügigkeit des Schiedsrichters. So erfuhr Neururer nur von Dritten, dass sich der dänische Stürmer alle Mühe gegeben hatte, der Exekution eine persönliche Note zu verleihen: „Er soll sehr schön gewesen sein“, sagte Neururer. Das war er auch, so man das von Elfmetern behaupten darf; bedauerlich nur, dass er das so ziemlich einzige kunstvolle Moment in Bochums Vortrag darstellte. Zu offensichtlich war die Unsicherheit, im Großen wie im Kleinen. Im Kleinen, weil zu viele Akteure ihre neue Rolle noch nicht gefunden haben. Im Großen war Unsicherheit vernehmbar, auch Trainer Peter Neururer hat sich noch kein abschließendes Urteil über Bochums neuen Aggregatzustand gebildet. „Wir wollten hier auftreten wie ein Uefa-Cup-Kandidat… beziehungsweise wie ein Uefa-Cup-Teilnehmer“, sagte er – als wisse er noch nicht so recht, ob Bochum nun groß ist oder es erst noch werden will. In jedem Fall wollte er damit zu verstehen geben, dass seine Mannschaft durchaus auf Sieg spielen wollte.“
morgen auf indirekter-freistoss: die Sonntagsspiele in Stuttgart und Bielefeld