Deutsche Elf
Verwalter des Mangels
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| Freitag, 13. August 2004Jürgen Klinsmann, „Verwalter des Mangels“ (SZ), nominiert Spieler für sein erstes Testspiel, wenig überraschendes / „hinter dem freundlichen Klinsi-Lächeln verbirgt sich ein knallharter Controller“ (FR)
Jürgen Klinsmann hat den Kader für das Testspiel in Österreich (18. August) nominiert. Klaus Hoeltzenbein (SZ 13.8.) kommentiert: „Dass Sebastian Deisler nicht mit nach Wien muss, ist nur positiv zu werten. Es wird eine zentrale Aufgabe für die neue Teamleitung sein, diesen sensiblen Hochbegabten zu Gesundheit und Blüte zu führen. Für Klinsmann spricht, dass er davon absah, Deisler schon gegen Österreich ins Schaufenster zu stellen – seine Premiere hätte mit dem Münchner mehr Aussicht auf etwas Glanz gehabt. Weniger verständlich ist schon, warum Andreas Görlitz nicht nominiert wurde. Auch hier ist die DFB-Teamleitung dem Wunsch von Bayern-Trainer Felix Magath gefolgt, der Schonzeit für den robusten 22-jährigen Außenverteidiger erbeten hatte. Eine neue, dynamische Viererkette (Görlitz, Friedrich, Fahrenhorst, Lahm) hätte ein Experiment, aber auch eine Antwort auf die weltweite Kritik sein können, die deutsche Elf zelebriere ihre Langsamkeit. Die Schonzeit für Görlitz könnte Klinsmann den Vorwurf eintragen, er habe darauf verzichtet, der Nationalelf wieder ein strenges Leistungsprinzip zu verordnen. Diesen Vorwurf aber kann er entkräften. Der Verwalter des Mangels hat den Kader elitär verkleinert, er hat Langzeit-Aktivisten wie Hamann, Kehl, Ziege oder Bobic zur Revitalisierung in ihre Vereine zurück geschickt.“
Kommunikation und Kooperation
Thomas Klemm (FAZ 13.8.) fügt hinzu: „Es war keine Überraschung, daß es keine große Überraschung gab im ersten Aufgebot des einstmals stürmischen Weltklassespielers. Zwischen der enttäuschend verlaufenen Europameisterschaft und Rudi Völlers Rücktritt lagen gerade einmal sechs Wochen mit Urlaub, Sonderurlaub und Saisonvorbereitung. Nach einem bißchen Liga-Pokal, internationalem Aufgalopp und nur einem Spieltag scheint es zunächst folgerichtig, daß der neue Bundestrainer mangels eigener Anschauungsmöglichkeiten auf die Eindrücke seiner Kollegen aus den Vereinen vertraut und seine erste Mannschaft auch nach deren Gusto aufstellt. (…) Wie deutlich indes die Vereinsoberen des FC Bayern auch immer gegenüber dem früheren Münchner Angreifer geworden sind: Deisler erst einmal vor zu vielen Einsätzen zu schützen und Görlitz ein paar Wochen Zeit zur Reife zu geben, erscheinen trotz des neuen Elans beider Profis als kluge Entscheidungen. Fraglich bleibt nur, ob die neue Art der Kommunikation und Kooperation zwischen Klinsmann und den Klubs andauert oder ob sie nur notgedrungen aus Zeitdruck entstanden ist. Noch ist nicht ersichtlich, inwieweit sich der neue Bundestrainer künftig die Zähne ausbeißen wird an den stein- und beinharten Vorstellungen der Vereine.“
Hinter dem freundlichen Klinsi-Lächeln verbirgt sich ein knallharter Controller
Jürgen Klinsmann stellt die Torwart-Fragen; Jan Christian Müller (FR 13.8.) findet’s gut: “Kein Mensch kann sich vorstellen, dass Kahn sich so brav wie Stellvertreter Jens Lehmann – von dessen einzelnen, vom tiefen Frust getriebenen Ausbrüchen abgesehen – ins zweite Glied einreihen würde. Insoweit handelt der Neue mutig, mutiger vor allem, als Rudi Völler gehandelt hätte. Klinsmann handelt auch im Sinne des Ganzen. Denn Kahn wird in zwei Jahren 37 Jahre alt sein. Es wäre unfair gegenüber Vorderleuten und Keeper-Konkurrenz, das Leistungsprinzip zwischen den Pfosten weiterhin auszuschalten. Die Meriten der Vergangenheit zählen nicht mehr. Das gilt auch für Dietmar Hamann und noch ein paar andere, deren Entwicklungspotenzial überschaubar ist. Klinsmann traut sich, alte Zöpfe abzuschneiden. Beweis: Weder der Mittelfeldspieler des FC Liverpool noch Sebastian Kehl, Christian Ziege und Fredi Bobic schafften die Nominierungskriterien. Auch der langjährige DFB-Direktor und Reisemarschall Bernd Pfaff sowie Bundestrainer und Nachwuchskoordinator Michael Skibbe wurden gnadenlos ins Abseits befördert. Wer noch Zweifel hatte, weiß es spätestens jetzt: Hinter dem freundlichen Klinsi-Lächeln verbirgt sich ein knallharter Controller.“