Deutsche Elf
Ödes Einerlei
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| Mittwoch, 18. August 2004Unfassbar! Hat Rudi Völler trainieren lassen wie in der A-Klasse, wie die FR lapidar und in Nebensätzen feststellt? „Jürgen Klinsmann räumt dem Faktor Training einen großen Stellenwert ein“, Völler etwa nicht? / Klinsmanns „erstaunliches Tempo bei seinen Reformvorhaben“ (FAZ) / Klinsmanns ABC der Unternehmenskommunikation: „mit Schlüsselaussagen in die neue Ära“ (FAZ) u.a.
Ödes Einerlei
Wie bitte?! Das kann doch nicht sein! Stimmt das etwa, was Frank Hellmann (FR 18.8.) über Rudi Völler und Michael Skibbe schreibt? Hellmann verglicht das Training Klinsmanns und Löws mit dem Training ihrer Vorgänger „So etwas hat man im Trainingsbetrieb der deutschen Nationalelf lange nicht gesehen: Spielformen und Passfolgen, Kommandos und Korrekturen, Übungen mit festen Positionen. Klinsmann, das ist nach zwei erfrischenden Einheiten offensichtlich, räumt dem Faktor Training einen großen Stellenwert ein, auch wenn es der 40-Jährige selbst bei der Rolle des Betrachters belässt. Der Bundestrainer erklärt die gemeinsame Stoßrichtung: „Wir haben es uns zu Herzen genommen, das schnelle Kurzpassspiel zu verbessern.“ Und nicht nur das. „Es ist anstrengender geworden“, sagen die Nationalspieler. Man verbringt mehr Zeit auf dem Rasen als vor der Playstation. Unter der Führung von Rudi Völler war der sportliche Aufwand arg limitiert, der Aufenthalt bei der DFB-Elite ideal, um viel zu regenerieren und wenig zu trainieren. Zwei intensive Einheiten an einem Tag? Undenkbar. Einstudieren von Spielzügen mit festen Positionszuteilungen? Anstrengende Zweikampfschulung auf engem Raum? Laute Schelte vom Trainerstab? Gab es nicht. Das Duo Klinsmann/Löw lässt länger trainieren (gerne 90 Minuten), intensiver und abwechslungsreicher. Dahinter steckt eine Philosophie, wie Klinsmann erläutert: „Jedes Trainergespann hat eine eigene Auffassung: Bei uns ist die Trainingsarbeit sehr wichtig, wir wollen hohe Konzentration und Motivation.“ Und auf Erfordernisse des Hochgeschwindigkeits-Fußballs eingehen. „Alle Übungen werden ,full speed‘ gemacht“, verlangt der Bundestrainer, „im hohen Turnus, um diesen Rhythmus auch im Spiel zu gehen“. Es gilt, einen Stil zu kreieren, den die Nationalteams aus Tschechien, Holland oder Spanien aus dem Effeff beherrschen. Die Deutschen (noch) nicht. Deren zurückgetretener Teamchef, im Gegensatz zu Klinsmann nicht im Besitz des Trainerscheins, befleißigte sich eines Trainingsprogramms aus der Mottenkiste: Bestehend in der Regel aus vier viertelstündigen, stets wiederkehrenden Bestandteilen: Warmlaufen mit integriertem Gymnastikanteil, Kreisspiel (mit integriertem Völler), Torschusstraining (Aufsicht Skibbe) und Abschlussspiel auf halbem Platz (Begutachtung Völler/Skibbe). Ziemlich ödes Einerlei. Selbst als Völler dazu überging, die Einheiten geheim zu halten, änderte sich kaum etwas. Dietmar Hamann verriet hinterher: „Wir haben nichts anders gemacht als sonst.“ Aber anders als in der Ära Erich Ribbeck übten Hamann und Kollegen aber keine Kritik. Weil auch Fußballer Gewohnheit wie Bequemlichkeit schätzen, hat niemand aufbegehrt. Selbst die ständigen Begleiter der DFB-Elite nicht – Rudi war Kult.“
of: Zitat Hellmann: „Klinsmann räumt dem Faktor Training einen großen Stellenwert ein“, Völler etwa nicht? Das wäre eine Schande, eine fette Schlagzeile, ein Skandal! Eine Pleite auch der Berichterstatter! Sollte das stimmen, was Hellmann über das Training Völlers schreibt – warum erfahren wir erst jetzt davon? Sollte es stimmen, hätten viele Journalisten während der EM ihren Auftrag vernachlässigt. Warum lese ich Zeitung? Wenn Völler und Skibbe tatsächlich trainieren lassen wie in der A-Klasse, müssen wir (zunächst) nicht über Reformen, Nachwuchsförderung und Ausländerklauseln im deutschen Fußball diskutieren. Und alle Welt klagt über die Rückständigkeit Deutschlands Taktik und Technik… Bitte schreib irgendjemand, dass das alles nicht wahr ist!
Erstaunliches Tempo bei seinen Reformvorhaben
„Klinsmann knallhart“, findet Michael Horeni (FAZ 18.8.): “Das mit nationalem Prestige aufgeladene Ereignis Weltmeisterschaft gerät schon vor der ersten sportlichen Arbeitsprobe auch zu einem Projekt Klinsmann. Abgesehen von der Veränderungsdynamik an der Spitze des deutschen Fußballs – der DFB kam mit seinen ersten drei Bundestrainern 55 Jahre aus, mit den letzten drei werden es bestenfalls acht Jahre sein –, hat der neue Chef in seinen ersten Tagen beim DFB ein erstaunliches Tempo bei seinen Reformvorhaben vorgelegt. Der 40 Jahre alte Schwabe mit kalifornischer Businessprägung hat mit jugendlichem Lächeln und kalter Saniererattitüde nach seiner Vorstellung vor knapp drei Wochen schon jetzt mehr strukturelle Veränderungen eingeleitet als seine beiden Vorgänger in ihren gesamten Amtszeiten. Wie aus dem Lehrbuch des Managers begann er unmittelbar nach Amtsantritt mit den Grausamkeiten – denn später lassen sie sich kaum mehr durchsetzen. (…) Die geringsten Veränderungen, abgesehen von den Nachnominierungen in der Not, hat der Bundestrainer bisher im Kader der Nationalmannschaft vorgenommen. Durch den scharfen Klimawechsel nach der Ära von Liebling Völler sind allerdings auch schnell erfolgreiche Vorstellungen der Nationalmannschaft nötig, um dem Trainerneuling Klinsmann Spielraum und Akzeptanz für seine Reformen zu verschaffen. Bei den Testspielen bis zur WM steht schon viel auf dem Spiel.“
Im deutschen Fußballvolk herrschte eine Stimmung wie einst unter den Jakobinern in Frankreich
Philipp Selldorf (SZ 18.8.) erinnert an die Premiere Rudi Völlers: „Die Pressekonferenz vor dem Premierespiel kostet ihn nicht mehr Mühe als der erste Auftritt vor den Augen der Nation bei seiner Vorstellung als Bundestrainer. „Medienkompetenz“ müsse der neue Mann haben, sagte vor einigen Wochen der DFB-Chef Mayer-Vorfelder, als er die Auswahlkriterien erfüllte. Die Bedingung erfüllt Klinsmann. Im überfüllten Saal „Vierjahreszeiten“ des Intercontinental, mitten in der Stadt, gibt Klinsmann in fließender, teils kräftig schwäbelnder, teils mit Amerikanismen durchsetzter Rede Auskunft, das Podium entert und verlässt er mit dem demonstrativen Schwung, den Politiker im Wahlkampf vorzuführen pflegen. Das Charisma seines Vorgängers Völler beruhte auf Bodenständigkeit und Ehrlichkeit; Klinsmann besitzt Charme und eine frische, beinahe jugendliche Ausstrahlung, die ihn locker und freundlich wirken lässt. (…) Es ist wie damals, als Rudi Völler begann. Im deutschen Fußballvolk herrschte eine Stimmung wie einst unter den Jakobinern in Frankreich – das glorreiche 4:1 gegen Spanien schafften genau jene Fußballer, die nach der Heimkehr von der EM als Versager und Gesindel verflucht worden waren.“
Mit Schlüsselaussagen in die neue Ära
Klinsmann beherrscht scheinbar das ABC der Unternehmenskommunikation – Michael Horeni (FAZ 18.8.): “Die sportlichen Renovierungsarbeiten allerdings, die Klinsmann mit seinem Assistenten Joachim Löw in Angriff nehmen will, sind weitaus mühseliger zu bewerkstelligen als eine Hotelumbuchung. „Wir haben zwei, drei ,Key Messages an die Mannschaft herausgegeben“, sagt der Bundestrainer, was sehr professionell, sehr amerikanisch und sehr modern klingt. Vor seiner Premiere wolle er sein Team daher nicht mit „acht oder zehn Punkten“ behelligen, sagte Klinsmann. Denn er beabsichtigt, mit den Schlüsselaussagen den grundsätzlichen Wandel in der neuen Ära, die mit dem WM-Titel enden soll, deutlich zu machen. Nach Klinsmann bedeutet das erstens: aggressiv nach vorne spielen. Zweitens: mehr Schnelligkeit im Paßspiel entwickeln. Drittens: viel Bewegung ohne Ball. Das waren augenscheinlich nicht die Fähigkeiten und Stärken der Deutschen bei der Europameisterschaft, und auch nicht in den Jahren zuvor.“