Interview
Wenn andere dabei sind, fühlen sich brasilianische Profis schnell persönlich angegriffen
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| Samstag, 4. September 2004Sehr lesenswert! Christoph Biermann (SZ 4.9.) holt sehr viel aus Klaus Augenthaler heraus
SZ: Herr Augenthaler, ist es für einen deutschen Trainer schwierig, mit Brasilianern zu arbeiten?
KA: Jedenfalls musste ich es erst lernen. In der Vorbereitung zur vergangenen Saison etwa – Lúcio und Juan waren noch beim Confederations-Cup –, habe ich beim Lauftraining mit Franca und Ponte ein privates Gespräch anzufangen versucht. Nichts besonderes, ob sie verheiratet sind und Kinder haben, ich wollte sie halt ein wenig kennen lernen. Aber die beiden haben auch beim fünften Anlauf nur „hm, ja, hm“ geantwortet. Irgendwann hat mir Ponte dann erklärt, dass Brasilianer es gewohnt sind, von ihrem Trainer nur Anweisungen zu erhalten. Dass ich ein wenig etwas über ihre Lebensumstände wissen wollte, war für sie irritierend.
SZ: Hat sich das geändert, als Franca vor einigen Monaten von Frau und Kind verlassen worden ist?
KA: Es geht gegen ihren Stolz, wenn so etwas schief läuft. Ich habe ihn zwar kurz gefragt, ob ich helfen kann, aber sie wollen ihr Privatleben vor ihrem Vorgesetzten nicht ausbreiten. Deshalb habe ich ihn in Ruhe gelassen.
SZ: Dann brauchen Sie ja nur kühl auf Distanz zu bleiben?
KA: Nein, man muss auf den richtigen Umgang sehr genau achten. Als ich Lúcio nach einem schlechten Spiel mal vor der Mannschaft hart kritisiert habe, war das ein Fehler. Er war sehr eingeschnappt, das hat man noch im Training tagelang gemerkt, weil er diese Form der Kritik als persönliche Beleidigung empfunden hat.
SZ: Er fühlte sich offenbar vor den anderen Spielern bloßgestellt.
KA: Genau. Man kann ihnen alles sagen, aber wenn andere dabei sind, fühlen sich brasilianische Profis schnell persönlich angegriffen. Das verletzt ihren Stolz.
SZ: Es wundert sie also nicht, dass Lúcio dieser Tage Bayern-Coach Magath kritisiert hat, weil der ihn bei der Niederlage in Leverkusen ausgewechselt hat?
KA: Nein, Lúcio hat früher bei uns nie die Auswechseltafel gesehen.
SZ: Haben Sie eine Erklärung für diese Art von Empfindlichkeiten?
KA: Ich glaube, dass es mitunter so etwa wie einen Minderwertigkeitskomplex gibt, weil einige Profis aus einfachsten Verhältnissen kommen und nur vier, fünf Jahre zur Schule gegangen sind. Es steckt vielleicht in den Hinterköpfen, dass wir sie als Menschen zweiter Klasse anschauen könnten, weil sie nicht so eine Schulbildung haben, wie das bei uns üblich ist. Daher kommt auch die Forderung vieler Brasilianer, dass man ihnen mit Respekt begegnen soll. Ich habe meinen Brasilianern deshalb gesagt, dass ich sie zuerst als Menschen sehe, dann als Fußballer, und Herkunft oder Schulbildung für mich keine Rolle spielen.