Deutsche Elf
In Nordamerika interessiert es keinen, wie Profi-Footballer 200 Kilogramm Körpergewicht aufbauen
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| Montag, 6. September 2004Jan Christian Müller (FR 6.9.) beäugt Mark Verstegen, den amerikanischen „Fitness-Guru“ in deutschem Dienst: “Klinsmanns Initiative kann sich nicht von einigen Makeln freisprechen, weil bisher ein nicht unumstrittener Gewinner feststeht: der Guru. Denn der bisher in den USA als Meister der Leistungsoptimierung bekannte Mark Verstegen gelangt durch die Allianz mit Klinsmann auf einen Schlag zu europäischem Renommee. Mit einer Fußball-Mannschaft, die Zweiter bei einer WM wurde, konnte er noch nie werben. In Kürze wird der geschäftstüchtige Mann mit der Ausstrahlung eines US-Marines den adelnden Auftritt in seinen PR-Portefeuilles aufführen. Damit hat sich Klinsmann bei dem Verstegen-Geschäftspartner Phillip Anschütz, dem die halbe US-Fußball-Liga gehört, für den Berufseinstieg bei den Los Angeles Kings bedankt. Zweifel ergeben sich auch aus den Arbeitsnachweisen Verstegens. Der hat vornehmlich US-Sportler im Football und Baseball auf Vordermann gebracht. Wie die Stars der Ligen ihre Leistung zur Not mit chemischen Manipulationen, auch unerlaubten, oft ungestraft, steigern, lässt Experten verzweifeln. „In Nordamerika interessiert es keinen, wie Profi-Footballer 200 Kilogramm Körpergewicht aufbauen: Das kommt nicht vom Steak- und Hamburgeressen“, so der Chef der Wada, Richard Pound, „es ist ein professioneller Gladiatoren-Sport.““
Wie und was trainiert die deutsche Elf? FR
Ein Sieg wäre das Siegel unter der neuen Optimismusdoktrin
Matti Lieske (taz 6.9.) blickt auf Mittwoch, Deutschland trifft auf Brasilien: “Es ist ein sehr wichtiges Match für Klinsmann und seinen neuen Stab. Ein Sieg oder Unentschieden gegen den Weltmeister wäre das Siegel unter der neuen Optimismusdoktrin. Eine Klatsche mit drei oder mehr Toren Unterschied darf nicht sein. Dann wäre abrupt Schluss mit der Euphorie, der EM-Blues würde neu aufgelegt, das Geschwätz vom WM-Titel 2006 klänge noch hohler, und all jene bekämen Oberwasser, denen Klinsmann in seiner kurzen Amtszeit bereits auf den Schlips getreten ist. In erster Linie sind das jene Leute im DFB, die bisher das Sagen hatten, und die Bundesligavereine. Felix Magath zum Beispiel, der bei den Münchner Bayern einen äußerst restriktiven Kurs der Nationalspieler-Abstellung verfolgt. Zu spüren bekamen das vor allem Lucio und Ze Roberto, denen mit bemerkenswerter Instinktlosigkeit die Teilnahme am weltweit beachteten Friedensspiel der Brasilianer in Haiti verwehrt wurde. Zur Strafe sind beide nicht im Kader, denn Brasiliens Trainer Alberto Parreira macht die Spieler selbst für ihre Absenz verantwortlich, sie hätten eben nicht genug Druck auf ihren Klub ausgeübt. Damit trägt er mächtig Konfliktstoff in die Vereine oder schürt vorhandenen. Siehe Lucio. Im Fall Deisler und Görlitz biss Magath diesmal bei Klinsmann auf Granit, nachdem der Bundestrainer beim Österreich-Spiel noch wunschgemäß auf die beiden verzichtet hatte. Eine Botschaft an die Bundesligisten, dass Klinsmann längst nicht so viel Rücksicht auf ihre Belange nehmen wird wie Vorgänger Rudi Völler.“
Organisation, Fitness – waren dies wirklich die Schwächen des deutschen Fußballs oder doch eher die letzten Stärken?
Jörg Kramer (Spiegel 6.9.) befasst sich mit Klinsmanns Reformen: „Es gibt Leute in der Frankfurter DFB-Zentrale, die sorgen sich, dass sich der Göppinger Sonnyboy als Berufsanfänger ein bisschen viel vorgenommen hat, dass er sich mit seinem Doppelleben als Fußballvermarkter in Kalifornien und Fußballlehrer in Deutschland verzettelt. Manche fragen sich, warum er vorige Woche vier spielfreie Tage des Fußballkalenders verstreichen ließ, die schon als Lehrgang für die Nationalelf hätten genutzt werden können. Schließlich soll ja nach Klinsmanns Wunsch ein „aktiver Stil“ einstudiert werden, bei dem „eines ins andere fließt“, und zwar auf „ganz hohem Aggressivitätslevel“ mit entsprechender „Willensbereitschaft“. Die Spieler sollen lernen, den Ball schneller zu passen. Doch der Trainer hatte knapp zwei Wochen in den USA zu tun. Andererseits: Bei dem Arbeitstempo, das der Teilzeit-Trainer vorlegt, muss sich niemand Gedanken etwa über versäumte Übungszeit machen. Inzwischen fragen sich Skeptiker, ob der Bundestrainer in seinem Reformeifer nicht an den falschen Stellen herumdoktert: Organisation, Fitness – waren dies wirklich die Schwächen des deutschen Fußballs oder doch eher die letzten Stärken? Noch ist die Zahl der Bewunderer nicht schneller als die der Gegner gestiegen, denn wie immer bei Sanierungen gibt es viele Verlierer. Und wenn auf dem Rasen die Siege ausbleiben, könnte es passieren, dass auch dem Reformer Klinsmann montags ein paar Eier entgegenfliegen. Eine Sprache haben Klinsmann und sein Assistent Joachim Löw in die Welt der Nationalmannschaft eingeführt, die mit ihren Anglizismen („key messages“) an Manager-Kurse erinnert und manchmal derart ins Esoterische lappt, dass Zuhörer glauben, sie hätten sich ins Seminar eines Motivationsgurus verirrt.“
Auf dem Trainingsplatz ist das Rad nicht neu erfunden worden
Christoph Biermann & Ludger Schulze (SZ 6.9.) sprechen mit Jürgen Klinsmann über seine Stärken und Schwächen
SZ: Wann kam Ihnen erstmals der Gedanke, diese Aufgabe zu übernehmen?
JK: Es gab ja dieses Interview mit Ihrer Zeitung, in dem ich deutlich machen wollte, dass man zwei Jahre vor dem größten Event, das es auf lange Sicht in Deutschland geben wird, einige Dinge im Fußball überdenken muss. Das hat offenbar dazu geführt, dass mich der DFB ansprach. Vorher aber hat mein ehemaliger Trainer Arie Haan gesagt: „Warum nehmt ihr nicht den Jürgen und stellt ihm einen erfahrenen Trainer zur Seite?“ Richtig los ging es aber erst, als Berti Vogts bei mir in Kalifornien zu Besuch war. Er fragte mich: „Kannst Du Dir nicht vorstellen, Bundestrainer zu werden?“ Ich antwortete: „Vorstellen schon. Aber dazu müsste sich vieles ändern.“ Vogts hat dann beim DFB angerufen, und dann hat sich alles sehr schnell entwickelt.
SZ: Es ist ja eine besondere Fähigkeit, in der Hektik eines Spiels taktische Details zu erkennen. Können Sie das?
JK: Das muss ich noch lernen. Natürlich hilft die Erfahrung als Spieler. Aber es ist ungleich schwieriger, einen Spielverlauf von der Seitenlinie zu erkennen als von der Tribüne aus. Für mich ist es wichtig, dass Joachim Löw da schon zehn Jahre Erfahrung hat.
SZ: Sie sprachen von der Individualisierung: Hat sich der Fußball in den letzten zehn Jahren verändert?
JK: Auf dem Trainingsplatz ist das Rad nicht neu erfunden worden. Aber wir haben heute einen Spielertypus vor uns, der sich enorm schnell verändert. Zu meiner aktiven Zeit konnte man vielleicht alle 20 Jahre von einer neuen Generation sprechen, heute ist zwischen Ballack und dem 20-jährigen Philipp Lahm ein Generationensprung. Die Spieler wachsen heute auf in einem Umfeld, das sich immer schneller wandelt, und in einer Medienlandschaft mit Internet und Video-Games. Sie sind einem Überschuss an Information ausgesetzt. Sie stehen extrem in der Öffentlichkeit, das war bei uns vor 20 Jahren lächerlich dagegen. Es wird ein wesentlicher Punkt sein, diese Spieler zu erreichen.
SZ: Das betrifft weniger den Spieler als Sportler, sondern das Leben um ihn herum?
JK: Ja, aber auch für den Sportler gibt es Möglichkeiten, andere Wege zu gehen. Nehmen wir das Beispiel der amerikanischen Fitness-Experten, die hier in Berlin bei uns waren und schon kritisiert wurden, bevor sie ihre Arbeit begonnen hatten. Sie haben sich in den letzten fünf, zehn Jahren auf die individuelle Betreuung eines Athleten spezialisiert, egal, aus welcher Sportart er kommt. Dieser Spielraum ist doch bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Wenn ich gezielt an der Sprungkraft eines Mittelstürmers arbeite, macht der vielleicht zwei, drei Kopfballtore mehr im Jahr – und das könnte ein Tor bei der WM sein. Ein Beispiel: Wenn ich persönlich nicht mit 20 Jahren ein spezielles Schnelligkeitstraining mit einem Sprinttrainer gemacht hätte, wäre ich ewig die 100 Meter in 12,0 gelaufen statt in 11,0. Im Fußball sind wir in unserer Denkweise stehen geblieben. Aber wir müssen uns öffnen, Informationen aus anderen Bereichen beziehen. Ob die umsetzbar sind, wird sich dann erst erweisen. Ob die Leute, die uns ihr Wissen vermitteln, aus Deutschland stammen, aus Amerika oder Südafrika, spielt dabei keine Rolle.
SZ: Viele Ihrer Ideen scheinen aus dem amerikanischen Business zu stammen.
JK: Die Leute in Deutschland haben vielleicht nicht mitbekommen, dass ich in den vergangenen sechs Jahren eine Entwicklung durchlaufen habe. Ich bin nicht mehr der ehemalige Fußballer Jürgen Klinsmann, sondern jemand, der sich auf vielen Feldern umgetan hat.
Jürgen ist forscher als Rudi
Michael Horeni (FAS 5.9.) interviewt Michael Ballack
FAS: Vielleicht wissen Sie es schon: Wie soll denn unter Klinsmann der Fußball im Jahr 2006 aussehen?
MB: Jede Fußballnation hat ihre Mentalität. Es ist daher schwer, die Spielweise einer Nation zu verändern. Unsere Stärken und Schwächen werden wir behalten – das wird auch in zehn Jahren so sein. Wir können etwas verbessern, aber unser Stil wird bleiben. Wir dürfen ihn auch nicht zu sehr verändern. Denn wenn man zuviel ändern will, verlieren wir auch unsere Stärken. Wir sind Zweiter der WM geworden und haben nicht den schönsten Fußball gespielt. Gerade dort war aber unsere Mentalität ausschlaggebend für den Erfolg.
FAS: Rudi Völler hat also nicht viel falsch gemacht?
MB: Nein, überhaupt nicht. Den schönsten Fußball muß man nicht spielen. Es geht nur um Erfolg. Unsere Stärke ist immer, aus einer kompakten Defensive Druck zu machen. Wenn wir mit Glück 1:0 gegen Brasilien gewinnen, und die anderen sind eigentlich besser – das ist doch auch etwas Schönes. Auch Jürgen wird wissen, wo unsere Stärken und Schwächen liegen. Aber in der Nationalelf sind wir wie bei den Bayern derzeit in der Probierphase. Man muß erst einmal sehen, wie und ob es wirklich geht.
FAS: Spüren Sie schon etwas von Klinsmanns Spirit 2006?
MB: Daß Jürgen Klinsmann etwas verändern will, daß er positiv drauf ist, daß er sich nicht von außen beeinflussen lassen will, daß er sein Konzept durchziehen wird – das haben alle mitgekriegt. Das vermittelt er sehr stark, überzeugend und mit viel Begeisterung. Ich sehe es positiv, daß er in den letzten Jahren Abstand zum Fußball gewonnen hat. Wenn man lange dabei ist, besteht die Gefahr der Betriebsblindheit. Er kann alles neutraler betrachten.
FAS: Was hat sich in den wenigen Tagen unter Klinsmann im Vergleich zu Völler verändert?
MB: Beide sind junge und dynamische Trainer – sie haben mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Rudi hat sehr die Nähe zu den Spielern gesucht und viele Gespräche geführt, um den Spielern Vertrauen und Selbstbewußtsein zu vermitteln. Da sind sie sich ähnlich. Früher hat Michael Skibbe das Training geleitet, und Völler hat es beobachtet. Das ist jetzt auch mit Jogi Löw so. Jürgen aber hat in den ersten Tagen seine Vorstellungen, auch außerhalb des Platzes, sehr stark durchgesetzt. Da ist er forscher als Rudi.
Ein Schnellboot, das dem Tanker DFB davon rauschen will
Jan Christian Müller (FR 6.9.) findet die Änderungen gut: “Die reformerischen Kräfte von Oliver Bierhoff und seines sportlich verantwortlichen Kollegen Jürgen Klinsmann sind derart stark, dass man vielleicht schon von einer Palastrevolution sprechen kann. Und die Anzeichen mehren sich, dass die beiden Neuen gemeinsam mit Co-Trainer Joachim Löw einen kleinen Verband im großen Verband installieren wollen: Ein Schnellboot, das dem Tanker DFB davon rauschen will. Wie sehr sich das Management der Nationalmannschaft bereits verselbstständigt hat, gab Oliver Bierhoff preis, als er auf die Frage nach der Zukunft des bisherigen Teammanagers Bernd Pfaff antwortete: „Was mit Herrn Pfaff passiert, müssen Sie den DFB fragen.“ Das Trio hat sich bei seinen Aufräumarbeiten bislang nicht nur Freunde gemacht, ganz im Gegenteil, aber es geht zielgerichtet vor, mitunter unsensibel, und es scheut Konflikte nicht. Von Sponsorenseite werden erste positive Reaktionen vernommen. Die Partner des DFB, wie etwa Mercedes-Benz, fühlen sich dank Bierhoff aufmerksamer begleitet, es heißt, Pfaff habe für diese Arbeit wenig Sinn gehabt.“
Andreas Lesch (FTD 6.9.) kommentiert Klinsmann IV: “Oliver Bierhoff, hat noch ein paar Probleme in der durchreformierten deutschen Welt. Klinsmann und er hatten drei deutsche Olympiateilnehmer eingeladen; sie sollten das Training der Fußballer begutachten und sich abends, beim Essen, mit ihnen austauschen. Bierhoff kündigte also an: „Patrick Wasserziehr. Das soll wohl einer der besten Wasserballer sein, nach allem, was an Informationen zu mir gekommen ist.“ Er sollte mit seinen Informanten noch mal reden: Wasserziehr ist in Wahrheit TV-Sportmoderator. Die Sportart stimmte aber: Der Hüne, den Bierhoff meinte, heißt Weissinger. Seine Mitstreiter, Hockeyspieler Tibor Weißenborn und Radsportler Robert Bartko, mochten Bierhoffs Anruf gar nicht glauben. „Ich dachte, irgendein Freund verarscht uns“, sagte Weißenborn. Bartko habe „gleich die versteckte Kamera gesucht“. So konnte das Trio beim abendlichen Training wertvolle Erkenntnisse gewinnen. „Ich hab vom Oli gehört, dass die Fußballer nie selbstständig etwas tun“, sagte Weißenborn. „Das hat mich gewundert.“ Weissinger fügte an: „Wir hinterfragen alles viel mehr. Wir horchen mehr in unseren Körper hinein. Wir beschäftigen uns viel mehr mit dem, was wir tun.““
Tsp-Interview mit Brasiliens Nationaltrainer Parreira
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