Ball und Buchstabe
Eine Spur selbstverliebt, aber nie selbstgefällig
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| Dienstag, 14. September 2004Roland Zorn (FAZ 14.9.) gratuliert Günter Netzer zum Sechzigsten: „Bei Nebensächlichkeiten hält er sich nicht auf, kokett wird er nur sich selbst gegenüber, er wahrt die Distanz, ist in seinem Metier der klassische Antikumpan und verströmt eine Autorität, die keinen Titel und schon gar kein Amt braucht. Günter Netzer, der große Unabhängige des deutschen Fußballs, wird sechzig Jahre alt. Wie es seine Art ist, vermeidet der Analytiker und Geschäftsmann vom Niederrhein jede Selbstfeierlichkeit und zieht sich lieber in sein Zürcher Refugium zurück. So wie als Kritiker war Netzer schon als Spieler bei Borussia Mönchengladbach oder in der Nationalmannschaft: eine Spur selbstverliebt, aber nie selbstgefällig. Der Profi mit der Rückennummer 10 blieb sein Leben lang, wozu er geboren scheint: der Spielmacher. Er bestimmte, wo der Ball hin sollte mit frappierenden Ideen und oft schneidend genauen Pässen.“
Der passende Typ Rebell für den deutschen Kleinbürgerfußball
Auch Christian Eichler (FAS/Gesellschaft 12.9.) erhebt das Glas: „Fußball brüllt. Fußball stinkt. Fußball ist prollig. Aber irgendwann wurde Fußball schick. Das war kurz nach den Beatles. Nicht nur pilzköpfige Musiker, auch krummbeinige Fummler ließen sich die Haare wachsen, lebten wild oder taten so, die Mädchen kreischten, es mußte was dran sein. In England hieß der erste Fußball-Popstar George Best. Best ist heute 58, hat die zweite Leber und sieht aus wie ein Greis. In Deutschland hieß der erste Popstar Günter Netzer besitzt noch die erste Frisur und sieht fast so aus wie damals. Damals war er „Rebell“. Rebellion war jung und schick, Che Guevara eine Stil-Ikone und Netzer der passende Typ Rebell für den deutschen Kleinbürgerfußball: die geheimnisvolle schwarzgekleidete Freundin; der Ferrari, in den er sich zwängte, Schuhgröße47 auf blankem Gaspedal; der kleine Generationskonflikt mit Trainer Weisweiler, der „den Jünter“ in dessen letztem Gladbach-Spiel nicht aufstellte, bis der sich, ganz Rebell, selber einwechselte. Dann diese Haare, die noch heute bei Außeneinsätzen der Fernsehehe Delling/Netzer teure Windschutzvorrichtungen aus GEZ-Mitteln erfordern. Noch mehr diese fliegenden Pässe, die aus der Tiefe des Raumes direkt ins deutsche Feuilleton flogen, „Ausdruck gesellschaftlicher Veränderungen“, früher Wegweiser aus dem Reformstau – was hätte aus Deutschland werden können mit Netzer II statt Hartz IV.“