Interview
Jens Lehmann will austeilen
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| Mittwoch, 15. September 2004Karl-Heinz Rummenigge (SZ): „Für Felix Magath ist die Tatsache, dass jede Aussage hier dreimal chemisch gereinigt werden muss, eine neue Erfahrung“ – Jens Lehmann will „austeilen“ (Spiegel)
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Für Magath ist die Tatsache, dass jede Aussage hier dreimal chemisch gereinigt werden muss, eine neue Erfahrung
Klaus Hoeltzenbein & Andreas Burkert (SZ 15.9.) fragen Karl-Heinz Rummenigge nach der Aufgabe Felix Magaths und neuen Entwicklungen in Europa
SZ: Sind Sie Zeuge eines Machtkampfes zwischen Trainer und Profis?
KHR: Nein, aber als letztens eine Sportzeitschrift den „FC Haargel“ aufgebracht hat, da gab es sicher ein Aufbegehren. Die Spieler haben nicht geschätzt, was da öffentlich thematisiert wurde. Nach der Klärung habe ich den Eindruck, dass die Parteien ein gutes Miteinander haben. Der Felix ist doch nicht der Feind der Spieler. Und er wird ein großer Freund der Mannschaft werden, wenn einmal alle Mechanismen greifen.
SZ: Felix Magath hat zugegeben, er habe die Münchner Verhältnisse unterschätzt. Hat ihn niemand gewarnt?
KHR: Für ihn ist neu, dass er bei dieser Haargel-Geschichte dachte, ein Hintergrundgespräch zu führen, und dass das Thema trotzdem nicht unter der Decke blieb. In Stuttgart, beim VfB, da war das wohl möglich. Für ihn ist die Tatsache, dass jede Aussage hier dreimal chemisch gereinigt werden muss, eine neue Erfahrung.
SZ: Magath will den Auftritt des FC Bayern revolutionär verändern. Der traditionell reservierte Stil soll sich ändern in ein selbstbewusstes, aktives . . .
KHR: . . . Pro-aktiv, wenn ich einmal Jürgen Klinsmann zitieren darf. Felix möchte, dass das Spiel von uns schneller gestaltet wird. Natürlich waren wir bekannt dafür, dass wir einen arroganten Ergebnisfußball spielen. Das ändert man nicht von heute auf morgen. Ein Wunschtraum wäre es jedoch, gewinnen zu wollen, und zwar in einer Art wie Real Madrid in den 50er und 60er Jahren.
SZ: Auffällig ist, dass die Bayern mit ihrer Personalpolitik nicht allein sind. Viele Klubs bevorzugen den Trainertyp „harter Hund“: Real holte Camacho, Juventus Capello, und Chelsea Mourinho.
KHR: Sicher ist das eine Reaktion darauf, dass wir es heute mit einer völlig neuen Generation von Spielern zu tun haben. Deswegen müssen die Klubs Disziplin einfordern. Wenn ich sehe, was sich manche Spieler leisten – da stellt sich bei mir der Kamm auf. Die spielen, dann setzen die sich in den Learjet, fliegen nach London oder Paris, und abends wird Party gemacht. Deswegen holen Spitzenklubs, die Spitzengehälter zahlen, die Capellos und Camachos.
SZ: Und Sie Felix Magath.
KHR: Natürlich war es ein Kriterium, dass er das Thema Disziplin ganz oben auf seiner Agenda hat. Ich möchte eines nicht, nämlich bei Ottmar Hitzfeld nachtreten, denn wir hatten eine sehr erfolgreiche Zeit. Aber: Die Disziplin war bei uns nicht mehr so vorhanden, wie man das im Profifußball braucht. Es gab da mehrere Anekdoten, die uns zum Handeln gezwungen haben. (…) Chelsea ist, dank Abramowitsch, sehr stark besetzt und erfahren.
SZ: Dank eines russischen Öl-Oligarchen also, der Titel zu kaufen versucht.
KHR: Ich sehe diese Figur als sehr gefährlich an. Vor zwei Jahren hatte sich der Transfermarkt total beruhigt, dann kam Abramowitsch und brachte ihn mit fußballfremdem Geld wieder in Schwung – denn wenn er einen kauft, kauft auch der, der verkauft hat. Ich bin gespannt, wie lange Abramowitsch Spaß am Spielzeug FC Chelsea hat.
SZ: Die ganz Großen haben trotz rezessiver Tendenzen spektakulär eingekauft.
KHR: Ja, erstaunlich war, dass die Spitzentransfers immer noch recht teuer waren. In Italien liegt das im System, da entsteht durch die Fans ein enormer Transferdruck – hat Milan einen verpflichtet, will Inter einen holen, und dann muss Juventus nachziehen. Manchester United hatte mit Wayne Rooney ein ähnliches Problem: Sie mussten zeigen, dass sie mit Chelsea und Arsenal mithalten können. Ich weiß, dass mein Kollege bei Manchester mit dem Einkauf von Wayne Rooney für rund 37,5 Millionen Euro überhaupt nicht glücklich war.
Austeilen
Jörg Kramer (Spiegel 13.9.) interviewt Jens Lehmann
Spiegel: Trainieren englische Clubs besser?
JL: Ich kann nur für meine Mannschaft sprechen. Wir bei Arsenal London spielen wohl derzeit europaweit mit den schnellsten Fußball. Die technischen Fähigkeiten unserer Spieler sind extrem hoch, allerdings auch deswegen, weil sie ständig trainiert werden. Es gibt schon große Unterschiede zur Bundesliga in der Saisonvorbereitung.
Spiegel: Welche meinen Sie?
JL: Die Bundesligaspieler laufen da viel und lange. Ich glaube, dass das in der Folge auf Kosten des Spieltempos geht. In Deutschland wird auch den Laktattests so viel Wert beigemessen. Solche Ausdauertests gibt es in England und Italien gar nicht. Da werden eher Kraft und Sprungkraft gemessen.
Spiegel: Wie sehr steigen mit dem höheren Spieltempo der Premier League die Anforderungen an den Torwart?
JL: Am Anfang war es eine große Umstellung. Als ich da noch dachte, unsere Mannschaft beginne mit dem eroberten Ball jetzt mal langsam ihren Angriffszug, da kam schon fünf Sekunden später der Angriff des Gegners angerollt. Aber viel härter sind die Strafraumsituationen. Da springen einem die gegnerischen Stürmer gegen das Schienbein, treten und hauen einen bei der Flanke ins Tor. Meistens wird das vom Schiedsrichter nicht geahndet. Da muss man sich halt wappnen.
Spiegel: Und zwar wie?
JL: Austeilen. Wenn man sieht, dass einer kommt, muss man vorher austeilen. (…)
Spiegel: Sepp Maier, der wiederholt öffentlich kundtat, dass er Kahn für den Besseren hält, trainiert weiterhin die Torhüter. Ist das eine glückliche Konstellation?
JL: Inzwischen rege ich mich nicht mehr darüber auf. Es bringt ja nichts. Ich lebe halt damit. Er ist der Torwart-Trainer bei Bayern München und bei der Nationalmannschaft. Das sagt doch schon alles.
Spiegel: Sie meinen, dass er automatisch den Bayern-Keeper bevorzuge?
JL: Ja, logisch. Das ist doch offensichtlich. Aber davon abgesehen verstehe ich mich mit dem Sepp, weil er ein netter Mensch sein kann.
Spiegel: Werden Sie sich nun, da das Torwart-Rennen wieder eröffnet ist, taktisch geschickter verhalten – beispielsweise nicht mehr über Kahns Privatleben sprechen wie im Februar, als Sie seine damalige Freundin erwähnten?
JL: Einige Leute meinten, womöglich hätte ich deswegen bei der EM nicht gespielt. Ich finde das bedenklich.