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Handwerksmeister in einer Talkshow mit Schauspielern

Oliver Fritsch | Dienstag, 21. September 2004 Kommentare deaktiviert für Handwerksmeister in einer Talkshow mit Schauspielern

José Antonio Camacho tritt zurück, er passt nicht zu den satten Stars: „wie ein Handwerksmeister in einer Talkshow mit Schauspielern“ (NZZ) – Zdenek Zeman trainiert wieder in der Serie A (US Lecce), „das leidenschaftliche Gewissen der gesetzlosen, permissiven, verlogenen Welt des Calcio“ (NZZ)

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Eine Bande von Hunden

Peter Burghardt (SZ 21.9.) kommentiert den Rücktritt José Antonios Camachos: „Dahinter steckt ein Charakter zwischen grenzenloser Ehrlichkeit und einem Hang zu emotionalen Kurzschlüssen. Choleriker Camacho sollte das verwöhnte Ensemble aufwecken, nachdem es in der vergangenen Saison der weltmännische Portugiese Carlos Queiroz in den Schlaf gewogen hatte. Camacho wollte Profis, die sich im weißen Trikot die Seele aus dem Leib rennen wie er einst als Verteidiger auf der linken Außenbahn, die Stutzen runtergekrempelt. Jungs, ihr spielt für Real Madrid! Stattdessen traf er auf eine Mischung aus überforderten Nachwuchskickern und so genannten „Galaktischen“, die im Wolkenkuckucksheim zuhause sind. Zwar haben Zinedine Zidane und Luis Figo ihre Nationalteams verlassen, um sich ganz auf Real Madrid zu konzentrieren, doch die beiden gehören ohnehin zu den zuverlässigeren Superstars. Der Rest? Aus Argentinien ließ der drogenkranke Diego Maradona ausrichten, dieses Real Madrid sei „eine Bande von Hunden“. Camachos Schuld? „Unsere Schuld“, findet Roberto Carlos. Jedenfalls kam die Botschaft vom Patriotismus auf dem Rasen bei der Söldnertruppe nicht an. Überhaupt ist dieser Zirkus nicht Camachos Welt. Werbetourneen durch Asien. Multimediatrainingszentrum. Er kam sich in dem ganzen System Pérez deplatziert vor.“

Wie ein Handwerksmeister in einer Talkshow mit Schauspielern

Georg Bucher (NZZ 21.9.) ergänzt: „Schon während der kurzen Asien-Tournee im Juli war ihm aufgefallen, dass die Topverdiener, die sogenannten Galaktischen, ihren Hauptberuf als Fussballer nur noch als Nebensache betrachteten. Publizistische und soziale Verpflichtungen waren in den Vordergrund gerückt. Vor diesem Hintergrund vermochte Camacho einige Spieler kaum mehr zu motivieren. Sie blockten seine Initiativen ab, weil sie den persönlichen Freiraum einzuengen drohten. In der Kabine und auf dem Trainingsplatz mag sich Camacho bisweilen vorgekommen sein wie ein Handwerksmeister in einer Talkshow mit Schauspielern. Entwicklungen im Mediensektor haben diesen Trend befördert. Wenn sich die einschlägigen Programme auf Ronaldos neue Liebe und auf die im Januar angesetzte Hochzeit stürzen, wenn ein TV-Sender deshalb sogar ein Kamerateam ins Trainingslager der brasilianischen Auswahl nach Teresopolis entsendet, wenn Gutis und Beckhams vermeintliche Ehekrisen die Paparazzi seit Monaten auf den Plan rufen, braucht man sich über die Desorientierung nicht zu wundern.“

Auch Reiner Wandler (taz 21.9.) kann die Demission Camachos nachempfinden: „Dabei begann alles so voller Optimismus: Eine Elf, die „nicht aufzuhalten ist“, wollte der Trainer, der die Weißen nach einer ziemlich erfolglosen Saison übernahm, zusammenschweißen. Und die Vorstellung Camachos von der künftigen Spieltaktik klang so einfach wie vielversprechend: schnelle Ballkontakte, gezielte Pässe, sich freilaufen. Warum sollte dies nicht funktionieren? Schließlich hatte Camacho in der vergangenen Saison mit dieser Philosophie beim portugiesischen Benfica Erfolg gehabt – er führte den Club aus Lissabon nach einer jahrelangen Krise zum Pokalsieg. Doch der einstige spanische Rekordnationalspieler hatte seine Rechnung ohne die Befindlichkeiten der Fußballmillionäre von Real gemacht. Die „Galaktischen“ wollen sich nicht ins Handwerk reden lassen. „Wenn das so weiter geht, muss bald jeder mit seinem eigenen Ball spielen“, kritisierte der Coach schon bald den nicht zu bändigenden Individualismus seiner Spieler. Diese dankten ihm die Kritik mit offener Ablehnung und mit gezielten Indiskretionen aus den Trainingsgesprächen an die Presse.“

Ein solches Foul pfeifen sie nur in Italien

3:4 in Messina – wie gehts Rudi Völler und dem AS Rom, Birgit Schönau (SZ 21.9.)? „Völlers fehlt Truppe eine Abwehr, die diese Bezeichnung verdient, und einen seiner Defensivspieler nahm Völler prompt in Messina aufs Korn. „Spieler, die aus dem Ausland kommen, müssen die Parameter der italienischen Schiedsrichter verstehen lernen. Es gibt hier jemanden, der wohl noch nicht gemerkt hat, in welcher Meisterschaft er gelandet ist.“ Gemeint war der französische Nationalspieler Philippe Mexès, der gegen Dynamo Kiew schon Rot gesehen hatte und dessen leichtsinniges Aufstützen auf einen Gegenspieler im Strafraum von Messina den Elfmeter zum 0:1 bescherte. Spielleiter war Pierluigi Collina, der prominenteste Unparteiische des Planeten, aber auch er bekam von Völler sein Fett ab: „Ich würde ja gern mal sehen, ob Collina sich gegen Arsenal oder Chelsea in der Champions League auch für einen Strafstoß entscheiden würde“, sagte Völler, um gleich die Prognose abzugeben: „Würde er nicht. Ein solches Foul pfeifen sie nur in Italien.“ (…) Dem Rudi-Fieber in Rom tun die Misserfolge bislang keinen Abbruch. Zum Bestseller an den Zeitungskiosken der Hauptstadt hat sich eine Videokassette mit den schönsten Völler-Toren aus seiner Zeit als Mittelstürmer des AS Rom entwickelt. Weil die Italiener meinen, alle deutschen Wörter endeten auf -en, trägt das Kultobjekt den Titel „il romanisten“.“

Das leidenschaftliche Gewissen der gesetzlosen, permissiven, verlogenen Welt des Calcio

Sehr lesenswert! Peter Hartmann (NZZ 21.9.) freut sich über die Rückkehr eines Charakter-Trainers: „Der „Boemo“, der Mann aus Böhmen, ist zurückgekehrt, unter Qualen, aber ohne Qualm. Denn Zdenek Zeman, 57-jährig, der Stoiker unter den italienischen Trainern, der sich mit dem blauen Dunst aus täglich drei Päckchen Filterzigaretten beruhigt, der nie aus der Haut fährt, nie gegen Schiedsrichter meckert und sein faltiges Gesicht eines Indianerhäuptlings nie verzieht, hat seinen neuen Job am Stiefelabsatz im apulischen Lecce gewissermassen unter Höchststrafe angetreten: Auf der Trainerbank gilt absolutes Rauchverbot. Aber auch in die zweimal 45 Minuten Entzug schickte er sich emotionslos. Und als er die Komplimente entgegennahm zum 4:1 gegen Brescia, hing wieder eine Zigarette in seinem Mundwinkel. Zemans dampfende Angriffsmaschine liegt auf Platz drei und hat die meisten Tore geschossen: Der Fussball-Vergnügungspark „Zemanlandia“ ist wieder geöffnet. (…) Zeman ist kein versponnener Idealist, sondern eine Art leidenschaftliches Gewissen in der gesetzlosen, permissiven, verlogenen Welt des Calcio. Er denunzierte in den neunziger Jahren die „unnatürlichen Muskeln“ von Vialli und Del Piero. Er forderte, der Fussball müsse „die Apotheken wieder verlassen“. An Zeman blieb der Makel des Nestbeschmutzers hängen.“

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