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Bundesliga

Kollektive Sehnsucht nach dem Ruck

Oliver Fritsch | Donnerstag, 23. September 2004 Kommentare deaktiviert für Kollektive Sehnsucht nach dem Ruck

Sehr lesenswert! Christoph Biermann (Zeit 23.9.) erklärt Anziehungs- und Aussagekraft des FSV Mainz 05, ihn mit dem SC Freiburg der frühen Neunziger vergleichend: „Der Verein mag keine Geschichte haben und die Spieler keine Namen, aber Mainz 05 hat eine Botschaft. „Freiburg hat Deutschland das Kurzpassspiel geschenkt, Mainz den Leidenschaftsfußball“, jubelt der Tagesspiegel und verrät damit auch, dass der FSV Mainz 05 die Sehnsüchte nach anderem Fußball nicht so befriedigt, wie es der SC Freiburg tat. (…) Am liebsten wurde von Volker Finke gesprochen, denn mit dem Lehrer, der 1968 20 Jahre alt war, kam die Alternativkultur in der Bundesliga an – ein Vierteljahrhundert nach 68. Jeder im weitesten Sinne politisch Linke sah, dass seine Werte und Vorstellungen irgendwie doch mit Fußball zusammenzubringen waren. Dank Finke! So konservativ bis reaktionär der DFB auch sein mochte und so modernisierungsresistent die Branche insgesamt, Freiburg zeigte, dass es auch anders ging. Und zwar dort, wo es zählte: auf dem Platz. Denn nicht der Habitus allein war anders – eine andere Spielweise sicherte dem SC Freiburg seinen Platz in der Bundesliga. Kurzpassspiel und Organisation im Raum bedeuteten über Jahre einen Modernisierungsvorsprung. Das Mainz-Fieber jedoch ist anders. Fußball ist heute längst keiner gesellschaftlichen Gruppe mehr peinlich, ganz im Gegenteil. Eher schon dient das Spiel manchem Beobachter als Seismograf dafür, was im Lande vorgeht. Hieß es nicht auch beim Fußball: Krise? Im internationalen Vergleich Anschluss verloren? Keine Innovation und Stagnation? Jürgen Klopp hingegen, der Trainer ohne Trainerschein, verbreitet eine Atmosphäre von Dynamik und Aufbruch, wenn er mit spürbarer Lust und Leidenschaft über Lust und Leidenschaft spricht. Vielleicht kann man sagen, dass der Aufstieg des SC Freiburg die rot-grüne Bundesregierung vorweggenommen hat. Inzwischen hat der Klub seine Nische gefunden, auf den Stadiondächern sind Sonnenkollektoren montiert, auf dem Rasen funktioniert ein multikulturelles Kollektiv, und Volker Finke klingt wie Joschka Fischer. Die Entsprechung zu Klopp ist in der Politik noch nicht gefunden. Vielleicht gibt es in der Politik auch niemanden, der so glaubhaft zum Aufbruch ruft. Dass ein Ruck durchs Land gehen muss, hört man schließlich zumeist von Leuten, die an Positionen hocken, wo schon lange nicht mehr geruckt wurde. Deshalb trifft die kollektive Sehnsucht nach dem Ruck, der durchs Land gehen soll, auf den instinktiven Widerstand dagegen, auf Kosten anderer geruckt zu werden. Vielleicht macht also genau das den momentanen Reiz von Mainz 05 aus: Klopp und seine Jungs verbreiten den Eindruck, sie selbst seien der Ruck.“

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