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Deutsche Elf

Dreikampf der Torwartdiven

Oliver Fritsch | Freitag, 8. Oktober 2004 Kommentare deaktiviert für Dreikampf der Torwartdiven

Sepp Maier kann den Mund nicht halten und erweitert den Kahn-Lehmann-Streit zum „Dreikampf der Torwartdiven“ (FAZ) / Oliver Kahn, „Risiko für das Betriebsklima“ (BLZ) – „die Nationalkicker sollen ein Trainingstagebuch führen“ (FR) – Fußball im Iran, mehr als Sport (SZ)
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Sepp Maier macht jetzt auch den Mund auf, und Michael Horeni (FAZ 8.10.) fasst sich an den Kopf: “In unübersehbaren Lettern machte Deutschlands dünnste Zeitung auf den Torwart-Krieg in der Nationalelf aufmerksam. In der neuesten Ausgabe dieser Fußballseifenoper meldete sich der Bundestorwarttrainer in Bild zu Wort und verkündete bayerisch derb: „Da kann sich Lehmann aufhängen. Kahn ist der Bessere.“ Kaum hatte der Bundestrainer diese neueste von vielen Unfreundlichkeiten in dieser scheinbar endlos-eitlen Torwartkonkurrenz um den Platz bei der Weltmeisterschaft 2006 verdaut, bat er noch im Flugzeug zu einer informellen Pressekonferenz. „Wir haben das registriert“, sagte der Bundestrainer. Aber in diesen Tagen vor dem Länderspiel hätten andere Dinge Priorität. „Wenn wir zurück sind, haben wir Zeit, die Dinge zu analysieren und Konsequenzen daraus zu ziehen“, sagte Klinsmann. Es ist nicht das erste Mal, daß Maier die Position seines Golfkumpels und bayerischen Klubkollegen Kahn glaubt stützen zu müssen. (…) Maier erklärte seine Attacke damit, daß auch Lehmann zuletzt etwas gegen ihn gesagt habe. Kahns Herausforderer im Torwart-Kasperletheater hatte seinem Trainer zu Beginn der Woche über den kicker in der ihm eigenen Überheblichkeit mitteilen lassen: „Was er zum Fußball sagt, ist manchmal Quatsch.“ So entwickelt sich das von Selbstgefälligkeit und dem Glauben an die eigene Unfehlbarkeit gespeiste Duell der beiden Konkurrenten mittlerweile zu einem Dreikampf der Torwartdiven.“

Jan Christian Müller (FR 8.10.) fordert Klinsmann zur Handlung auf: “Nun hat Maier ein drittes Mal gegen den DFB-Ehrenkodex verstoßen, wonach Kritik intern zu üben ist und für Journalisten Worthülsen bleiben. Zudem hat sich der Münchner Kahn-Spezl in der Wortwahl vergriffen, weshalb aus dem „Fall Lehmann/Kahn“ nun ein „Fall Maier“ geworden ist. Womöglich steht ja Klinsmanns alter Kumpel Andi Köpke schon bald am Elfmeterpunkt. Maiers unglückliche Selbstdarstellung lenkt vom eigentlichen Problem ab und ändert nichts daran, dass Kahn und Lehmann unberechenbare Charaktere sind, für die gemeinsam kein Platz im WM-Kader sein sollte. Es wäre naiv, würde Klinsmann tatsächlich, wie angekündigt, bis kurz vor Turnierbeginn warten, ehe er sich für den einen oder den anderen als Nummer eins entscheidet.“

Risiko für das Betriebsklima

Die Berliner Zeitung (8.10.) fordert die Ablösung Oliver Kahns: „Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis Kahn im Nationalteam das nächste Mal zum Thema wird – ob er gerade eine Pause bekommt oder nicht. Der Torwart ist die Reizfigur im deutschen Team. Er ist ein Risiko für das Betriebsklima, das sich sonst wunderbar entwickelt. In vielen Fragen hat Jürgen Klinsmann, der neue Bundestrainer, stringent seine Pläne umgesetzt. Er hat der Jugend ihre Chancen gegeben und jene entfernt, die ihm nicht mehr passten. Für die Torwartposition gäbe es junge Alternativen: Timo Hildebrand oder Tim Wiese. Irgendwann könnte die Fragen aufkommen, warum Klinsmann nicht handelt.“

Wer schafft denn 15 Klimmzüge? Keiner!

Auf dem Trainingsplatz tut sich einiges: Die steifen Fußballer sollen gelenkiger und frischer werden. Frank Hellmann (FR 8.10.) protokolliert: „Oliver Schmidtlein, der den nach seiner Depressions-Erkrankung untrainierten Sebastian Deisler fit gemacht hatte, führte in den Tagen vor Teheran mit Klinsmanns Kader Übungen durch, die bisweilen ulkig aussahen – weil Gerald Asamoah wacklig auf einem Bein balancierte oder Per Mertesacker sich bei schnellen Schrittfolgen in kleinen Rechtecken gern verhakte. Doch danach klatschten die meisten Nationalspieler Applaus – das hat es unter Erich Rutemöller nie gegeben. Bedarf an neuen Übungen ist also da, Schmidtlein nennt die drei Bereiche Schultergürtel, Rumpf und Hüfte. „Wer schafft denn 15 Klimmzüge? Keiner!“ Der 39-Jährige ist im Hauptberuf Physiotherapeut des FC Bayern und seit einem zweijährigen Aufenthalt in Santa Monica ein Klinsmann-Spezi. Sofern Uli Hoeneß einlenkt, soll er möglichst oft den Nationalspielern Bewegung verschaffen. Nach den neuesten Methoden. „Immer alle zusammen im Wald, immer im gleichen Tempo – das ist vorbei“, sagt Joachim Löw, den innovativen Kurs vorantreibend. Spätestens zur nächsten Saison sollen die Nationalkicker ein Trainingstagebuch führen: Darin wird aufgelistet, was, wann, wo und wie lange trainiert wurde. Auch über Medikamente und Krankheiten, ja selbst über ihr Befinden sollen die Kicker täglich schriftlich Rechenschaft ablegen. Das Büchlein ist dem Trainerstab regelmäßig zur Kontrolle vorzulegen. Owen Hargreaves vom FC Bayern tut das für Englands Teamchef Sven-Göran Eriksson schon heute. Löw denkt noch weiter: Er will nächstes Jahr einen Mentaltrainer einbinden, der als Motivator und Moderator fungieren soll.

Frauen schwenkten ihre Kopftücher, und die Revolutionswächter mussten machtlos zusehen

Fußball im Iran, mehr als Sport – Rudolf Chimelli (SZ 8.10.): “Die Politisierung des Fußballs begann 1997 im Qualifikationsduell für die WM 1998 gegen Australien. Binnen Minuten erfasste Teheran ein Freudentaumel. Die Leute rannten auf die Straße und feierten bis tief in die Nacht. Seit die Iraner 1979 den Revolutionsführer Chomeini bei dessen Heimkehr aus dem Exil begrüßt hatten, waren nicht mehr so viele Menschen auf den Beinen gewesen. Doch diesmal riefen sie nicht „Allahu akbar!“ (Gott ist groß), sondern „Iran, Iran“. Es war nicht religiöse Begeisterung, wie das Regime sie wünscht, sondern der Ausdruck von Patriotismus und Lebensfreude. Frauen schwenkten ihre Kopftücher, und die Revolutionswächter mussten machtlos zusehen. Es war noch nicht lange her, dass der Reformer Mohammed Chatami zur Verblüffung der Konservativen zum Präsidenten gewählt worden war: Jetzt schien sich die politische Wende auf dem Fußballfeld zu bestätigen. Als die Mannschaft aus Australien heimkehrte, bereitete ihnen die Menge einen stürmischen Empfang. Zusammen mit den Spielern strömte das Volk ins Stadion, das auf persisch den Namen „Freiheit“ (Asadi) trägt. Aber nicht nur Männer, auch Tausende von Frauen drängten sich an den hilflosen Ordnungshütern vorbei. Eigentlich dürfen Frauen Fußballer nur am Bildschirm sehen. (…) Deutschland hat unter den Iranern seinen Ruf als Fußball-Großmacht auch in schlechten Zeiten bewahrt. Bundesliga-Spiele werden häufig vom staatlichen Fernsehen übertragen. Die vielen Jugendlichen, die auf Straßen oder leeren Flächen spielen, tragen mit Vorliebe nachgemachte Trikots der deutschen Nationalmannschaft.“

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