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Bundesliga

Der Mann ist so stolz, dass er weder Scham noch Moral kennt

Oliver Fritsch | Samstag, 16. Oktober 2004 Kommentare deaktiviert für Der Mann ist so stolz, dass er weder Scham noch Moral kennt

„Es ist ein aussichtsloser Kampf, den Gerd Niebaum führt, der Mann ist so stolz, dass er weder Scham noch Moral kennt“ (NZZ) / „was auf dem Platz geschieht, so scheint es, wird zur Nebensache und Nebensächliches wird zur Hauptsache“ (Welt) – „in Stuttgart trifft Matthias Sammer auf eine Arbeitsmoral, die ihm behagt“ (FAZ) – „unser Erfolg ist der Erfolg von Peter Pander“ (Erik Gerets, FAZ)

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Martin Hägele (NZZ 16.10.) fasst Gerd Niebaums Entlarvung zusammen: „Es ist ein aussichtsloser Kampf, den Gerd Niebaum führt. Auch jene überregionalen Journalisten, die Niebaum seiner Dortmunder Hausmacht zurechnete, darunter die Vertreter von Welt und Bild, die er von Pressesprecher Josef Schneck zu einem Gespräch ins vereinseigene Hotel Lennhof geladen hatte, waren danach erkenntlich auf Distanz gegangen. Das absehbare Ende des ehemaligen Fussball- und Wirtschaftsvisionärs Niebaum, aufgrund seiner Machtfülle auch „Sonnenkönig“ genannt, hat keinesfalls mit irgendwelchen geheimnisvollen oppositionellen Kräften zu tun, die sich plötzlich bemüssigt fühlen, das nun schon 18 Jahre dauernde Imperium zu attackieren. Der Widerstand gegen den selbstherrlichen und redegewandten Despoten lässt sich auf zwei Kritiker zurückführen, einen freien Journalisten der SZ sowie einen Mitarbeiter des kickers. Beide liessen sich bei ihren Recherchen weder von einstweiligen Verfügungen und sonstigen juristischen Winkelzügen stoppen, von denen Advokat Niebaum anscheinend unzählige in Reserve hielt. Das Journalisten-Duo löste vielmehr in den letzten vier Jahren mit weiteren journalistischen Schneebällen jene Lawine aus, die nun losgegangen ist. (…) Dass ihn nun die zwei hartnäckigen Reporter vor einem Millionenpublikum als Lügner enttarnten, wäre für jeden ehrbaren Geschäftsmann und Sportler Anlass gewesen, sofort aus der Szene zu verschwinden. Die Frage, warum Niebaum dies noch nicht tut, wird zum Rätsel. Der Mann ist so stolz, dass er weder Scham noch Moral kennt.“

Nebensächliches wird zur Hauptsache

Udo Muras (Welt 16.10.) möchte über Fußball reden: „Spricht eigentlich noch irgendwer über Fußball vor diesem doch so interessanten Wochenende? Nicht nur das Wiedersehen der Dortmunder mit ihrem Ex-Trainer Matthias Sammer birgt sportliche Brisanz, auch die Reise des Ruhrpottnachbarn Schalke 04 zum FC Bayern verdient höchste Beachtung. In die Schlagzeilen aber gerieten drei Bayern-Spieler, die am Dienstag unerwarteten Besuch von der Staatsanwaltschaft bekommen haben. Hausdurchsuchungen bei Thomas Linke, Hasan Salihamidzic und Jens Jeremies, dringend des „unerlaubten Insiderhandels“ verdächtigt, verdrängen die sportliche Vorschau auf ein Spiel, das einige der schönsten Kapitel in der Bundesliga-Geschichte geschrieben hat. Ob 0:7, 7:1, 8:1 oder 6:6 (im Pokal) – bei Bayern gegen Schalke war oft was los. Jetzt aber rückt es in den Hintergrund. Weil jene angesprochenen Fußballer alle an einem Tag Aktien eines Hamburger Unternehmens gekauft haben. dpa liefert zum besseren Verständnis gestern einen Bericht zum Stichwort „Insiderhandel“. Die Kollegen sind dankbar, auch Sportjournalisten müssen umschulen in diesen Tagen, wo Väter ihren Söhnen den Fußball schon lange nicht mehr erklären können und auf den Steuerberater oder Rechtsanwalt verweisen müssen. Nur wer auf solche Kapazitäten bauen kann, kommt noch klar. Etwa mit den Vorgängen beim 1. FC Kaiserslautern, wo sich alter und neuer Vorstand seit dieser Woche gegenseitig verklagen. Morgen spielt der FCK übrigens bei Borussia Mönchengladbach, für beide kein unwichtiges Spiel nach dem Fehlstart. Aber in der Pfalz geht es um Steuerhinterziehung, zu Unrecht abgetretene Persönlichkeitsrechte – und nicht um Fußball. Eine Folge des Millionenspiels, das hinter den Kulissen immer komplizierter und immer kommerzieller wird. Der eingetragene Verein ist in der Bundesliga längst Geschichte, Ausnahmen bestätigen die Regel, die besagt, daß Millionen-Umsätze besser von Kapitalgesellschaften getragen und kontrolliert werden sollten. Vor Mißwirtschaft schützt kein Modell, wie der Fall Dortmund zeigt. (…) Was auf dem Platz geschieht, so scheint es, wird zur Nebensache und Nebensächliches wird zur Hauptsache.“

Das Empfinden des kleinen Mannes

Wie reagieren Dortmunds Fans, Richard Leipold (FAZ 16.10.)? “Bert van Marwijk bereitet die Fußballprofis der kranken Kapitalgesellschaft Borussia Dortmund auf das Spiel vor. Aber wen interessiert das noch an einem solchen Tag? Es ist der Tag, an dem Gerd Niebaum, der Präsident, öffentlich der Lüge überführt wird. (…) Auf schwatzgelb.de, einem intelligent gemachten Fanzine, erscheint ein Kommentar, der die Gemütslage vieler Anhänger beschreibt. „Es ist vorbei, wir fühlen uns betrogen, dieses Mal hilft kein Dementi mehr. Dieses Dementi war eines zuviel.“ Die Lüge des Präsidenten ist etwas, was die Fans wieder greifen können. Sie blicken in einen menschlichen Abgrund, nicht bloß auf abstrakte Zahlen aus dem Geschäftsbericht. Was bedeuten Schulden von fast 120 Millionen oder ein Jahresfehlbetrag von knapp 68 Millionen Euro, solange der Ball rollt wie vorher? Aber wenn die Geschäftsführung es nötig hat zu lügen, dann stimmt etwas nicht. Um das zu erkennen, reicht das Empfinden des kleinen Mannes. (…) Die Stimmung ist gereizt, aber auf der Straße bleibt es fürs erste ruhig. Der Fernsehsender RTL hat, aufgeschreckt durch Presseberichte, ein Team aus der Politikredaktion entsandt. Doch weder vor der Geschäftsstelle noch auf dem Trainingsgelände gibt es aufsehenerregende Bilder einzufangen. Borussia ist eben doch nicht Karstadt oder Opel.“

In Stuttgart trifft der Trainer auf eine Arbeitsmoral, die ihm behagt

Matthias Sammer schweigt zu den Vorgängen in Dortmund – Peter Heß (FAZ 16.10.): “Was könnte der 37 Jahre alte Profi in diesen Tagen schon Positives über den alten Arbeitgeber sagen, angesichts dessen sportlicher und vor allem wirtschaftlicher Schieflage? Und falls ihm tatsächlich etwas einfiele, klänge es womöglich beschönigend oder naiv oder gönnerhaft. Wie komme ich rüber? Wie werde ich verstanden? Wie könnten meine Aussagen ausgelegt werden? Diese Überlegungen spielen für den Öffentlichkeitsarbeiter Sammer eine beherrschende Rolle. Aufgewühlt von den frischen Erlebnissen eines Pflichtspiels, mag er schon mal ein auf seine Wirkung nicht ganz zu Ende bedachtes Wort verlieren; an diesem Mittag aber, ausgeruht, mit nur einem Gegenspieler konfrontiert, gibt sich Sammer keine Blöße. Dabei ist er im Moment unangreifbar. Er, der am Spielfeldrand so leidenschaftlich mitgeht, läßt nur kurze Lichtstrahlen in seine Gedankenwelt hineinfallen. „Der Fußball ist zur Zeit sehr schnellebig und oberflächlich. Und der Trainerjob ist nur ein Spiegel der Gesellschaft. In der Politik und anderen Bereichen ist das nicht anders.“ Sammer bedauert den Werteverfall, mag sich daran nicht mit kurzschlüssigen Analysen und marktschreierischen Thesen beteiligen. Nie würde er die Erfolgsserie des VfB als seinen Verdienst propagieren. Sammer betont die Vorarbeit, die im Verein geleistet wurde, gerade durch seinen Vorgänger Felix Magath. (…) In Stuttgart trifft der Trainer auf eine Arbeitsmoral, die ihm behagt, im deutschen Fußball aber nicht selbstverständlich ist. Ganz dezent deutet er an, daß es durchaus Achtzehnjährige gebe, die meinten, schon alles zu können.“

Oliver Trust (Tsp 15.10.) hört zwischen Sammers Zeilen: “Matthias Sammer ist vorsichtig: „Dass ich mich hier wohl fühle, hat nichts mit anderen zu tun“, sagt der frühere Dortmunder Trainer und nimmt in Kauf, etwas geschwindelt zu haben. Eine pflegeleichte Mannschaft, ein Präsident mit klarem Blick für die Realität, keine Diven mehr auf dem Trainingsplatz – Sammer hätte vieles aufzählen können, was zu seiner Zufriedenheit beiträgt. Aber er lässt es sein. Sammer will authentisch wirken. Als derjenige, der auf sechs Millionen Euro verzichtete, als ihn im Sommer vor allem Gerd Niebaum in Westfalen nicht mehr haben wollte. „Viele hätten nicht auf Geld verzichtet“, sagt er und schweigt zum Rest. Auch sein Verhältnis zu Niebaum habe schwer gelitten. Sammer aber belässt es bei Andeutungen. (…) Es hat ein paar Tage gedauert, bis sich alle an ihn gewöhnt hatten. An einen solch nahtlosen Übergang von Vorgänger Felix Magath zu ihm hatten nur wenige geglaubt. „Er gibt uns das Gefühl, dass wir ihm vertrauen können“, sagen Spieler wie Horst Heldt. Sein Antrieb werde stärker durch „Jungs, die motiviert sind. Das ist in Stuttgart der Fall“, sagt Sammer. Kein bewusster Seitenhieb auf die „Ich-AGs“ aus Westfalen, aber eine Äußerung, die vieles verrät.“

Unser Erfolg ist der Erfolg von Peter Pander

Es sind schon Führungsleute für sehr wenig zurückgetreten, Peter Pander in Wolfsburg zum Beispiel – Frank Heike (FAZ 16.10.) fühlt mit ihm: „Im Gespräch merkt man ihm Bitterkeit an: Es ist nämlich sein Team, das da gerade die Bundesliga aufmischt – ohne ihn. Pander hat den Klub von 1991 bis Ende August 2004 geformt und geführt. Als er, der einfache VW-Angestellte, als Fußball-Obmann anfing, spielte der VfL in der dritten Liga vor 500 Zuschauern, die auf besseren Grashügeln hockten. Inzwischen gehört der VfL zum Inventar der Liga, hat ein schönes Stadion und ein hervorragendes Umfeld. Pander hat danebengegriffen (Effenberg, Röber), und er hat erfolgreich zugegriffen (D‘Alessandro, Gerets). Allemal haben Panders Einkäufe dem VfL zu mehr Kontur und Farbe verholfen. Die Arbeit lohnte sich für ihn. Er konnte sich als Mensch weiterentwickeln, die große weite Welt erkunden, und ein Vertrag bis 2008 (im vergangenen Jahr von VW verlängert) läßt ihn und seine Familie aller Sorgen ledig sein. Vergessen hat ihn niemand. Trainer Erik Gerets sagt, daß er ohne Panders Einsatz niemals kurz vor dem Ende der vergangenen Serie zum abstiegsbedrohten VfL gekommen wäre. Zusammen haben Gerets und Pander die Abwehrspieler Hofland und Quiroga sowie Brdaric und Hristow eingekauft und so die Schwächen des Teams in der Defensive beseitigt. „Unser Erfolg ist der Erfolg von Peter Pander“, sagt Gerets.“

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