Bundesliga
In die eigene Tasche?
Kommentare deaktiviert für In die eigene Tasche?
| Montag, 18. Oktober 2004Neue Vorwürfe gegen Gerd Niebaum im Spiegel – Gerd Niebaums Rücktritt als BVB-Präsident, „Prototyp der Deutschmanager, der Hasardeure mit schamlosem Ego“ (SZ) / „Häme hat Niebaum nicht verdient, aber auch das Mitleid hält sich in Grenzen“ (FAZ) / Kritik auch an den Mitläufern der BVB-Führung, „nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“ (FAS) – Klaus Toppmöllers Entlassung, „zum wiederholten Mal hat er bewiesen, dass er in der Krise kein Rezept weiß“ (FR) / „der HSV unterscheidet sich nicht von Karstadt oder Opel“ (Tsp)
…………..
In die eigene Tasche?
„Längst muss sich Gerd Niebaum nicht nur vorhalten lassen, dem Größenwahn anheim gefallen zu sein. Erstmals gibt es Indizien dafür, dass er sein Amt nutzen wollte, um in die eigene Tasche zu wirtschaften“, liest man im Spiegel (18.10.): „In Erklärungsnot ist er gekommen im Fall des Transfers von Karlheinz Riedle von Lazio Rom zur Borussia. Der Vorgang spielt in der berühmten Via Veneto, jener mondänen Prachtstraße in Rom, die einst die Kulisse bildete für Federico Fellinis Klassiker „La dolce vita“. Im Haus mit der Nummer 78 residiert eine Filiale der Banca Intesa, deren Vorläufer einmal Banca Commerciale hieß. Hier gingen, nach Erkenntnis italienischer Ermittler, am 23. November 1995 auf dem Konto 9353450192 exakt 1 252 470 000 Lire ein – rund 570 000 Euro. Inhaber des Kontos: „Borussia Dortmund BVB 09″. Auftraggeber der Überweisung war die Tesoreria Provinciale dello Stato – die Staatskasse. Bei der Zahlung handelte es sich um eine Rückerstattung der beim Riedle-Wechsel angefallenen Umsatzsteuer durch die italienischen Finanzbehörden. Doch das Geld ist nie in der Vereinskasse angekommen. Die Kontoauszüge und sonstige Schreiben schickte die Bank jahrelang an eine deutsche Adresse: Fritz-Kahl-Straße 5, Dortmund. Dort wohnt Gerd Niebaum. Der Fußball-Boss bestreitet die Kontoinhaberschaft vehement. (…) Selbst wenn sich alles in Wohlgefallen auflösen sollte, hinterlässt Niebaum ein desaströses Bild. Längst interessiert sich auch die DFL verstärkt für Borussia. Dass die Clubbosse dem neuen Finanzier Homm jeden Wunsch erfüllen mussten, ergibt sich aus einer Auskunft des DFL-Geschäftsführers Wilfried Straub: Die hastig durchgeprügelte Kapitalerhöhung sei „Ausfluss unserer Entscheidung im Lizenzierungsverfahren gewesen“. Die DFL habe diese „Maßnahmen“ zur Liquiditätssicherung „mitgesteuert“. Im Klartext: Die Geldbeschaffung durch Platzierung neuer Aktien war eine der Auflagen, unter denen dem klammen BVB im Juni die Spiel-Lizenz überhaupt erst erteilt worden war. Wenn Großinvestor Homm nun mit Niebaums Billigung ins operative Geschäft eingreift, droht neues Unheil. Die „Einflussnahme Dritter“, so DFL-Manager Straub, sei ein Verstoß gegen die Liga-Statuten.“
Prototyp der Deutschmanager
Thomas Kistner (SZ 18.10.) kommentiert den Rücktritt des BVB-Präsidenten: „Die Affäre Gerd Niebaum erreicht nun, da dessen private Geschäftsverquickung mit dem Präsidentenamt ruchbar wird, ein Stadium, in dem man den BVB-Vorstandschef glatt zum Manager des Jahres ausrufen möchte: Als Prototyp jener Deutschmanager von Opel bis Karstadt, die alle Schlagzeilen beherrscht. Hasardeure mit einem schamlosen Ego, das selbst im Big-Brother-Container zum sofortigen Rauswurf führen würde. Unter Nadelstreifen aber, wo eine Hand gern die andere wäscht, sind Lug und Trug Kavaliersdelikte, hier lebt sich’s lange und ungeniert, sofern nicht einer mit seinen Eskapaden Kabarettreife erlangt. Der Mann, der soeben noch die Nummer eins im deutschen Profifußballmanagement, hat in den letzten Tagen eigentlich nur den Inhalt seines Personalausweises noch nicht dementiert. Niebaums erzwungener Rücktritt ist so unwürdig wie die Art, in der er sich bis zuletzt dagegen gewehrt hat, man kennt sie von bockenden Kleinkindern. Dass die Vorstandskollegen in der DFL sein Treiben über Monate deckten, ist fragwürdig: Das laxe Lizenzverfahren, das ihm zugute kam, ist Werk der DFL. Dass aber diese bis zuletzt verschwiegen hat, Niebaums Skandalklub nur unter filmreifen Auflagen die Betriebserlaubnis verlängert zu haben, nährt den Verdacht, dass weitere (hoffentlich kleinere) Niebaums in der Branche zugange sind.“
Häme hat Niebaum nicht verdient, aber auch das Mitleid hält sich in Grenzen
Dazu schreibt Roland Zorn (FAZ 18.10.): „In Dortmund waren Niebaum und Meier, die handelnden Hauptpersonen, am Ende nur noch Getriebene ihrer eigenen Geschäftspolitik. Zu lange glaubten sie sich bei der investitionsgläubigen Borussia ganz besonders progressiv und verkannten die Minuszeichen an der Wand. Kirch-Crash, Verfehlen internationaler Wettbewerbe, allzu ambitionierter Ausbau des Westfalenstadions – all das hinterließ Verschuldungsspuren, die von Jahr zu Jahr breiter wurden. Am vorläufigen Ende stehen Gesamtverbindlichkeiten von mindestens 119 Millionen Euro. Mag der Präsident von gestern in der Vergangenheit auch noch so verdienstvoll gewesen sein, die Gegenwart des BVB war letztlich zu belastend. Häme hat Niebaum nicht verdient, aber auch das Mitleid hält sich in Grenzen.“
Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen
Michael Ashelm (FAS 18.10.) verweist auf die Verantwortung der gesamten Vereinsführung: „Ein Konglomerat von unterschiedlichsten Gremien wacht derzeit über das Geschäftsgebaren des Wirtschaftsbetriebes der Borussia, doch in Wirklichkeit haben die Regularien nicht verhindern können, daß der allmächtige Niebaum einen ihm genehmen Zirkel von getreuen Vasallen installieren konnte. „Die Kontrollierten bestimmen ihre Kontrolleure“, kritisiert Werner Wirsing (ehemaliger Schatzmeister). (…) Über Jahre haben die Gepflogenheiten niemanden tiefgründiger interessiert, es wurde genickt und mitgemacht. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen – bis zum großen Knall. In den Führungszirkeln des Klubs finden sich viele Persönlichkeiten aus der Region wieder, die dem Verein bis heute wichtiges Geld bringen. Vom Bankmanager bis zum Brauereichef ist die Lokalprominenz in den Gremien vertreten, Niebaum, der lange Zeit angesehene Wirtschaftsanwalt, wählte bei der Besetzung mit feinem Gespür nach alten Seilschaften und Bekanntschaften aus. „Alles gute Freunde, die ihm treu ergeben und eigentlich nur auf eine VIP-Karte und den VIP-Parkplatz für ihre Limousine scharf sind“, sagt ein Insider. Von größeren, tiefgreifenden Auseinandersetzungen in den gleichgeschalteten Machtzirkeln ist deshalb nichts zu hören. (…) Das einst so starke Gebilde des Dortmunder Fußballs bricht – zumindest personell – langsam in sich zusammen. Die Verantwortlichkeit für das Desaster tragen ganz sicher nicht nur ein oder zwei Männer an der Spitze.“
Kein Rezept
Jan Christian Müller (FR 18.10.) befasst sich mit der Entlassung Klaus Toppmöllers: “Toppmöller war ohnehin vom Heimweh geplagt, und er hat – man muss das leider so drastisch formulieren – zum wiederholten Mal bewiesen, dass er in der Krise kein Rezept zur Bewältigung derselben weiß. In Frankfurt war das so, in Leverkusen erst recht, nun in Hamburg wieder. Man kann den Toppmöller weisungsbefugten Verantwortlichen, Dietmar Beiersdrofer und Bernd Hoffmann, wahrlich nicht vorwerfen, in hektische Betriebsamkeit ausgebrochen zu sein. Beide haben lange an Toppmöller festgehalten, länger, als es ihre Überzeugung eigentlich erlaubt hätte. Aber beide müssen sich auch an ihren Personalentscheidungen messen lassen. Sie sind verantwortlich dafür, dass in Jara und Toppmöller Trainer verpflichtet wurden, die sich nicht lange beim HSV hielten.“
Nina Klöckner (FTD 18.10.) ergänzt: „Man wurde den Eindruck nie ganz los, dass es sich bei der Liaison von Anfang an um ein großes Missverständnis handelte. Seit Toppmöller die Mannschaft aus Leverkusen ins Finale der Champions League geführt hat, hält er sich für einen ganz Großen der Zunft. Nur den Beweis für die selbstbewusste Eigenanalyse hat er in Hamburg nie erbracht. Erst mäkelte er an der Mannschaft herum, weil die nicht er sondern seine Vorgänger zusammengestellt hatten. Mit der hanseatischen Zurückhaltung des Publikums seiner Person gegenüber konnte er auch nicht viel anfangen. Und als das Personal schon eher seinen Vorstellungen entsprach, warf er seinen Spielern öffentlich vor, dass „einige ständig Forderungen stellen und dann keine Leistung abliefern“. Toppmöller schaffte es, seine oftmals berechtigte Kritik so ungeschickt zu formulieren, dass am Ende er den schwarzen Peter hatte. Die Gegenseite verhielt sich allerdings nicht viel geschickter. Die Verantwortlichen sprachen dem Trainer zwar ständig ihr Vertrauen aus – aber nur bis zum nächsten Spiel. So etwas zehrt an den Nerven. Und stärkt nicht gerade das Vertrauen.“
Der HSV unterscheidet sich nicht von Karstadt oder Opel
Karsten Doneck (Tsp 18.10.) fügt hinzu: „Wer entlassen wird, ist irgendwann auch mal eingestellt worden. Von wem? Mit welcher Intention? (…) Klaus Toppmöller muss in Hamburg gehen, nach nur einem Jahr, entlassen von denselben Leuten, die ihn geholt haben. Hoffmann und Beiersdorfer aber werkeln ungestört weiter. So ist das Geschäft. Je mehr Verantwortung einer trägt, desto weniger haftet er im Schadensfalle. Da unterscheidet sich der HSV nicht von Karstadt oder Opel.“
In der taz (18.10.) lesen wir: „Klaus Toppmöller muss erleben, dass sein Name derzeit alles andere als angesagt ist. Jüngst hatte sich schon seine singende Tochter Sarah Nina entschlossen, auf ihren Geburtsnamen zu verzichten und sich lieber als „Zaranina“ einen Namen im Popbiz zu machen.“
Neue Männer! – René Martens (FTD 18.10.): „Fußballfans scheinen gern über die Stränge zu schlagen, doch tatsächlich sind ihre Manieren exzellent – verglichen jedenfalls mit denen einiger Machthaber. In England engagierten Spielerberater namhafte Gangster, um im Kampf um Wayne Rooney besser aufgestellt zu sein. In Dortmund agiert Gerd Niebaum, als habe es einen Uwe Barschel nie gegeben, und in Hamburg haben ein paar finstere Gesellen im nicht mehr besten Alter, die den Titel „Aufsichtsrat“ spazieren tragen, die sportlich gewiss nachvollziehbare Ablösung Klaus Toppmöllers von langer Hand vorbereitet. Immerhin: Einige der Veteranen dürften damit ihre letzte Schlacht geschlagen haben, denn am 22. November wird in Hamburg ein neuer Aufsichtsrat gewählt. Unter den Kandidaten sind vier Mitglieder der Fanvereinigung „HSV Supporters Club“, und weil diese Gruppierung fast 16 000 Anhänger umfasst, stehen ihre Chancen nicht schlecht. Da die bisherigen Aufsichtsratsmitglieder „sogar auf Beerdigungen ihre Vorwürfe lancierten“, wie das Hamburger Abendblatt berichtete, lässt sich eines mit Sicherheit sagen: Zögen die Fans ins Kontrollorgan ein, gewänne zumindest das Fußballgeschäft in Hamburg wieder ein bisschen Seriosität zurück.“
Glanzparaden als inneres Erlebnis
Christoph Biermann (SZ 18.10.) ist Purist: „Mit großer Erleichterung wurde zur Kenntnis genommen, dass alle Spitzentorhüter an diesem Samstag weitgehend unauffällig und ohne Wortgewalt ihrer Tätigkeit nachgegangen sind. Das nährt die Hoffnung, dass im Torhütergewerbe das Zeitalter des Orchestralrocks zu Ende geht. Dazu sei an jenen unseligen Abschnitt der Popgeschichte erinnert, als Musiker in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts plötzlich nicht mehr damit zufrieden waren, einfach Krach zu machen, Eltern zu ärgern und Mädchen rumzukriegen. Es drängte sie nach Höherem. So gaben sie ihren Bands bombastische Namen (Genesis, Styx, Novalis, Eloy), die sie in der Oberstufe aufgeschnappt hatten. Dazu machten sie bombastisch Musik, die das Gewicht klassischer Werke haben sollte, oder spielten gleich den Kulturkanon der Klassik nach. Wer je „Bilder einer Ausstellung“ von Mussorgsky in der unter Pennälern einst populären Version von Emerson, Lake & Palmer gehört hat, weiß, wie quälend diese pompösen Angeberhöllen waren. Was das mit Torhütern zu tun hat? Aus noch zu klärenden Gründen hatten die Keeper in diesem Land – angeführt von Oliver Kahn – vor einiger Zeit beschlossen, dass es nicht mehr reicht, einfach nur Bälle abzuwehren. Sie begannen, das Leben zwischen den Pfosten zu einer Art nietzscheanischer Grenzerfahrung zu stilisieren. Dabei erweckten sie den Eindruck, als ob die kalte Einsamkeit, die sie angeblich zwischen den Pfosten erlebten, nur noch Ernst Jünger hätte beschreiben können: „Glanzparaden als inneres Erlebnis“.“