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Bundesliga

Lehrstück

Oliver Fritsch | Mittwoch, 20. Oktober 2004 Kommentare deaktiviert für Lehrstück

„Das Dortmunder Lehrstück eines aus seinen Vereinsstrukturen hinausdrängenden und an der Börse nie so richtig angekommenen Unternehmens“ (FAZ/Leitartikel) – „niemand weiß, ob Deisler den Beruf des Fußballprofis wird dauerhaft ausüben können“ (Tsp) / „Mutmaßungen über einen bayerischen Patienten“ (FAZ)

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Lehrstück

Roland Zorn (FAZ/Leitartikel 20.10.) kommentiert den Sinkflug Borussia Dortmunds: „Was in Dortmund seit Beginn des Jahres für jedermann sichtbar aufgeführt wird, ist das Lehrstück eines aus seinen Vereinsstrukturen hinausdrängenden und an der Börse nie so richtig angekommenen Unternehmens. Niebaum und seine Helfer erlagen der Faszination von „Fresh Money“, die im Jahr des Börsengangs, als noch die New Economy blühte, verständlich schien. Schließlich hatte Borussia Dortmund als erster und bisher einziger Bundesligaklub nur vorweggenommen, was auch an anderen Fußball-Standorten der Premiumklasse längst geplant wurde. Das schlechte Beispiel aus dem Revier, aber auch die schwache Konjunktur haben den Elan möglicher Nachahmer längst erlahmen lassen. Zu abschreckend war die Vorstellung der Dortmunder Start-up-Unternehmer, die sich mit den Millionen aus dem Börsengang eine zu teure Mannschaft, ein zu teures Stadion und eine zu riskante Geschäftspolitik leisteten. Dem Größenwahn eines Klubs, der sich an der einzig erfolgreichen Fußball-Börsengeschichte von Manchester United orientierte, folgte ein böses Erwachen. (…) Beschleunigt durch den tiefen Fall der lange als neureich geltenden Dortmunder, haben wieder alte Kaufmannsprinzipien eine Chance, auch in den Statuten verankert zu werden. Diese lebt der deutsche Fußballprimus Bayern München seit Jahr und Tag mit Augenmaß und Solidität vor. Auf dem Umweg immer neuer Finanzierungsmodelle die inzwischen längst nicht mehr so kreditfreudigen Banken zu umdribbeln kann nicht der Weg der Zukunft sein. Daß sie eines Tages mit den fußball-fernen Unternehmern dieser Welt nach der Bruchlandung von heute einen neuen Aufschwung proben müssen, daran haben die zukunftsgläubigen Borussen nicht gedacht, als sie im Oktober vor vier Jahren voller Hoffnung an die Börse zogen. Inzwischen wissen sie, daß sie dieses Spiel nicht einmal halb so gut beherrschen wie ihre nur noch mittelmäßigen Profis den Fußball.“

Niemand weiß, ob Deisler den Beruf des Fußballprofis wird dauerhaft ausüben können

Armin Lehmann (Tsp 20.10.) stört sich an der Diskussion um Sebastian Deisler: „Depressionen gehören noch immer zu den häufigsten Gründen für Berufsunfähigkeit in Deutschland und zu den Hauptursachen von Selbstmorden. Trotz dieser möglichen dramatischen Konsequenzen wissen die Laien – Familienangehörige, Freunde, Kollegen, Vorgesetzte – noch immer viel zu wenig über diese Krankheit und sind dementsprechend hilflos. Sebastian Deislers Fall ist dafür exemplarisch. Als der Fußballprofi des FC Bayern im Sommer wieder lachte, trainierte und tolle Spiele ablieferte, haben viele das gedacht, was Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge laut aussprach: „Wer lacht, hat keine Depressionen.“ Auch das ist leider falsch. Man kann den Menschen im Umfeld von Depressiven nicht vorwerfen, dass sie die Hoffnung auf vollständige Heilung haben und Heilung ist ja auch nicht ausgeschlossen. Aber zu dieser Krankheit gehört leider auch der beklagenswerte Umstand, dass sie immer wieder ausbrechen kann. Niemand weiß, ob Deisler den Beruf des Fußballprofis unter Dauerdruck wird dauerhaft ausüben können – in einem Umfeld, das mehr Hoffnung hat als Wissen.“

Mutmaßungen über einen bayerischen Patienten

Hans-Joachim Leyenberg (FAZ 20.10.) ergänzt: „Das Aufflackern von Symptomen sei „eine natürliche Reaktion“. Diese ausgesprochen optimistische Schnelldiagnose des Professors Florian Holsboer mag auch eine vorbeugende Reaktion darauf sein, den einmal erzielten und verkündeten Heilungsprozeß nicht in Frage stellen zu lassen. Vielleicht steht Holsboer ja unter ähnlichem Erfolgsdruck wie Trainer Felix Magath. Der hatte bei seinem Sebastian in den vergangenen Wochen ein „Kopfproblem“ ausgemacht. Wenn sich Deisler einen Kopf macht, das werden selbst Laien unterscheiden, ist das etwas anderes, als wenn Kahn ins Grübeln kommt. Jedenfalls in der öffentlichen Wahrnehmung. Deisler, diese Vermutung sei erlaubt, fühlt sich nicht wohl in seiner Haut. Wie es drinnen ausschaut, geht gemeinhin keinen an, aber alle sehen hin. So gesehen, gleicht jeder Auftritt in der Bundesliga einem Aufenthalt in der Hochdruckkammer. Deisler trägt seine offenkundig dünne Haut zu Markte. (…) Mutmaßungen über einen bayerischen Patienten, jetzt sind sie wieder en vogue. Im Fall Deisler wünschte man sich gelegentlich, daß jemand schlicht und ergreifend zugibt: „Wir wissen, daß wir nichts wissen.““

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