Champions League
Divenhaft und phlegmatisch
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| Donnerstag, 21. Oktober 2004Buhrufe für AS Rom: “divenhaft im Zweikampf und phlegmatisch, in der Abwehr mäßig organisiert, zudem mit aufreißend dandyhafter Attitüde in ihren körperbetonten Leibchen“ (taz) / „wie eine italienische Mannschaft aus den siebziger Jahren auf“ (SZ) / „Ansammlung von Provokateuren und Schauspielern“ (FR) – Fabio Capello macht in Turin den Unterschied (im Vergleich mit seinem Vorgänger, seinem Nachfolger und seinen Gegnern) / „selten haben sich die Münchner nach einer Niederlage so gelassen und zufrieden gegeben wie in Turin“ (SZ) / „die Bayern waren keine tote Mannschaft, aber auch keine lebendige“ (FTD) – „Rasanz, technische Verspieltheit und Ballverliebtheit in Mailand“ (NZZ)
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Bayer Leverkusen-AS Rom 3:1
Dandyhafte Attitüde in körperbetonten Leibchen
Bernd Müllender (taz 21.10.) buht: „Roma, der italienische Krisenclub, beladen mit aberwitzigen Schuldenbergen von Dortmunder Ausmaßen, verlassen vom entsetzt flüchtenden Trainer Rudi Völler, gebeutelt von rassistischen Fans und Schiedsrichter-Attacken von der Ehrentribüne. Und die Kernabteilung, also die Spieler? Eine Zirkustruppe. Divenhaft im Zweikampf und phlegmatisch, in der Abwehr mäßig organisiert, zudem mit aufreißend dandyhafter Attitüde in ihren körperbetonten Leibchen. Dazu boten sie alles, was der Deutsche am italienischen Fußball so liebt: Kaskaden von Mätzchen, Provokationen, Fallsucht, Verletzungsvortäuschungen. Eine Art fußballerische Commedia dell’Arte – wenn es wenigstens witzig gewesen wäre oder irgendeine Art Kunst oder zumindest gut geschauspielert. Rudi Völler war fortgeblieben, weise ließ er die Tatsachen für sich sprechen. (…) Ein leicht erklärbares Fußballspiel war es dennoch nicht. Manchmal hatte Romas Spielweise etwas von Freizeitfußball der Art Samstag um drei im Park. Die einen igeln sich um den Strafraum und dreschen die Bälle weg, die vermeintlichen Künstler stehen faul vorne herum; Mittelfeldspiel und Laufarbeit ausgeschlossen. Doch mit der Mischung aus Rüpelhaftigkeit und Larmoyanz tat sich Bayer erstaunlich schwer.“
Akt sinnloser Aggression
Christoph Biermann (SZ 21.10.) pfeift auf den AS Rom: „Es gibt Indizien dafür, dass die Partie gegen Rom nachwirken könnte. Sie war nämlich keine rauschhafte Fußballfeier wie die Triumphe über den FC Bayern oder über Real Madrid. Die Partie entwickelte sich eher zu einem zähen Nervenkrieg gegen eine der unangenehmsten Mannschaften, die je in Leverkusen gespielt hat. Glücklich war der AS Rom vor der Pause in Führung gegangen. Schon da traten die Gäste wie eine italienische Mannschaft aus den siebziger Jahren auf: Ständig intervenierte Totti beim französischen Schiedsrichter Eric Poulat, während seine Mannschaftskameraden sich auf den Boden warfen und das Spiel verzögerten. Die kleinen Nickeligkeiten wurden zu offener Brutalität, als Rom in Rückstand geriet. „Hässlich und böse“ fand selbst La Repubblica ein Team, das sich nun in eine Bande von Straßenschlägern verwandelte. Zu verstehen war das nicht, obwohl den Gästen beim Stand von 2:1 ein regulärer Treffer wegen angeblichem Abseits aberkannt wurde. Der Protest dagegen war schwach. Oder machte sich Christian Panucci deshalb Luft, als er kurz darauf Krzynowek seinen Ellbogen in den Nacken knallte? Er sah die Rote Karte, und als Daniele de Rossi kurz vor Schluss den Polen an der Mittellinie umtrat, war im Stadion mehr ein Ruf des Erstaunens denn der Entrüstung zu hören. So einen Akt sinnloser Aggression erwartet man eher von schlecht gelaunten Kreisligakickern als in der Champions League. Stoisch ließen die Leverkusener die Tretereien an sich abprallen.“
Ansammlung von Provokateuren und Schauspielern
Erik Eggers (FR 21.10.) beglückwünscht Jacek Krzynowek: „An fast allen Schlüsselszenen war Krzynowek entscheidend beteiligt: Der Mann auf der linken Außenbahn strotzte nur so vor Vertrauen in seine Fähigkeiten, ging selbstbewusst in die Zweikämpfe, und wenn er einmal einen solchen verlor, sprintete er zurück und eroberte sich den Ball flugs zurück. Seine Flanken fanden fast immer einen Abnehmer, und nach seinen brandgefährlichen Eckbällen und Freistößen von rechts, die er zumeist zum Tor hin zieht, zerbröselte die römische Abwehr stets wie ein trockener Sandkuchen. Und dann diese ansatzlosen Schüsse aus der Ferne! (…) Kein Zufall war, dass die beiden Roten Karten, die sich die frustrierten Römer abholten, jeweils aus bösen Fouls an Krzynowek resultierten. Speziell der brutale Tritt von de Rossi kurz vor Spielende entlarvte die Italiener endgültig als schlechte Verlierer. Derzeit verbirgt sich hinter dem großen Namen AS Rom nicht mehr als eine Ansammlung von Provokateuren und Schauspielern, die offenbar die finsteren Traditionen des italienischen Fußballs aus den 60er und 70er Jahren wieder aufleben lassen wollen.“
Nach dem Spiel gehts weiter – Roland Zorn (FAZ 21.10.): „Augenthaler, als rustikaler Libero des FC Bayern München einst selbst ein Profi der hemdsärmligen Art, konnte nur staunen: „Wie die durch die Gegend getreten haben…“. Nach allem, was an offenen und verdeckten Fouls ausgeteilt wurde, richtet sich der Bayer-Coach für das Rückspiel vor leeren Rängen auf eine Fortsetzungsgeschichte ein: „Ich befürchte, daß die Italiener in Rom genauso hinlangen werden.“ Giftig konterte deren Trainer Luigi del Neri die Aussagen des Niederbayern über die rauhe römische Spielkultur: „Der soll vor seiner eigenen Haustüre kehren.“ Dort aber mußte Augenthaler diesmal nicht viel Staub aufwirbeln. Sein Team hatte mal wieder eine Saisonlektion begriffen, mit der dieses Künstlerkollektiv dauernd konfrontiert wird: daß Fußball nicht nur eine schöne Spielerei mit Ball und Gegner ist.“
Juventus Turin-Bayern München 1:0
Thuram-Cannavaro-Falle
Fabio Capello macht den Unterschied – Peter Hartmann (NZZ 21.10.): „Der Trainer braucht den Stars nur den Ball hinzuwerfen, dann spielen sie drauflos und machen intuitiv alles richtig. Diese fussballromantische Mär wird momentan von Real Madrid mit wechselnden Antreibern widerlegt. Und von der finsteren römischen Gladiatoren-Truppe um Totti und Cassano. Auf die Handschrift des Trainers kommt es an, zu „vielleicht 20 Prozent“, wie Fabio Capello seinen Erfolgsanteil einmal bescheiden beziffert hat. Capello wurde mit Real im Jahre 1997 spanischer Meister. Er war bei Milan der Nachfolger des legendären Arrigo Sacchi und gewann viermal den Titel. Schon in seiner zweiten Saison gewann er 2001 auch mit der AS Roma den Scudetto. Im Sommer wechselte er überraschend zur kränkelnden „Alten Dame“ Juventus, und die Folgen simultan in Turin und in Leverkusen zu besichtigen: Juve besiegte Bayern in einem taktischen Abnützungskampf 1:0, die Roma unterlag Bayer 1:3. Capello baute der Juventus-Squadra, die unter Marcello Lippi nach zwei Meistertiteln chronische Abwehrschwächen offenbart hatte, eine neue Längsachse ein: Er gab Thuram, der jahrelang gemurrt hatte, dass er Aussenverteidiger spielen musste, die Rolle des Stoppers neben Cannavaro, den Inter ausgemustert und unverständlicherweise nach Turin abgeschoben hatte. Der Bayern-Goalgetter Makaay verfing sich hoffnungslos in der Thuram-Cannavaro-Falle. In der Serie A hat der Leader Juventus erst zwei Gegentore erhalten.“
Selten haben sich die Münchner nach einer Niederlage so gelassen und zufrieden gegeben
Andreas Burkert (SZ 21.10.) fängt Stimmen: “Für Felix Magath ist das Gastspiel durchaus ein Vergnügen gewesen, wie er später mitgeteilt hat, trotz des 0:1 vor gerade einmal 18 089 Zuschauern in der schaurig tristen Atmosphäre des Alpenstadions. Der Trainer goutierte als passionierter Denksportler die Auseinandersetzung mit dem italienischen Tabellenführer, einem anerkannten Großmeister des Minimalismus. „Das war nicht langweilig, wenn man einen der Favoriten der Champions League lange klar beherrscht“, entgegnete Magath leicht genervt auf Fragen derjenigen, die das Duell so aufregend fanden wie eine Briefmarkenbörse im Pfarrheim. Auch Uli Hoeneß verbat sich Zweifel an der Hochwertigkeit der lange von überzeugenden Defensivreihen geprägten Auseinandersetzung. „Die Italiener spielen eben Rasenschach“, sagte er, „das ist nur was für Feinschmecker.“ Selten haben sich die Münchner nach einer Niederlage so gelassen und zufrieden gegeben wie in Turin. Dabei wird auch ihnen klar sein, auf welch riskantem Weg sie sich inzwischen bewegen. (…) Magath wirkt wie ein innovativer Architekt, dem seit Wochen ein Handwerker nach dem anderen abgesagt hat. Allmählich gerät die zeitige Fertigstellung in Gefahr. Doch die Termine stehen, Aufschub wird nun nicht mehr gewährt.“
Sie waren keine tote Mannschaft, aber auch keine lebendige
Heinz-Wilhelm Bertram (FTD 21.10.) teilt das Lob für das Spiel und die Münchner nicht: „In dem auf beiden Seiten gleichwertigen Gestoppel, dem Kreativität sowie Schwung und Abschlusswille abgingen, fanden die Bayern wieder einmal in einer italienischen Mannschaft ihren Meister. Und es erstaunt der teils gleiche Wortlaut und grundsätzlich der gleiche Inhalt, mit dem die Verantwortlichen damals wie heute die Niederlagen gegen italienische Teams beklagen. In der Saison 2002/2003, als Bayern zweimal dem AC Mailand mit 1:2 unterlag, haderte Hoeneß: „Ich kann mich kaum erinnern, dass wir einmal so zu Unrecht verloren haben. Wir waren deutlich besser.“ In Turin nahm ihm jetzt Magath die Worte aus dem Mund: „Wir waren die bessere Mannschaft, wir haben sie im Griff gehabt. Bis auf den Fehler beim Gegentor.“ Eine delikate Auffälligkeit ist das: Speziell gegen italienische Mannschaften verlieren die Bayern in den Augen der Bosse regelmäßig „unverdient“, aber tatsächlich sind diese Niederlagen unausweichlich. Diesen Bayern fehlt Überlegenheit ebenso wie die Entschlossenheit, die einst Stefan Effenberg verkörperte. Sie spielten, wieder einmal, nicht schlecht. Aber auch nicht gut. Sie ließen nur eine Chance zu. Aber sie selbst hatten auch nur eine. Sie waren keine tote Mannschaft. Aber auch keine lebendige. Irgendetwas lastet auf dieser Elf.“
Elisabeth Schlammerl (FAZ 21.10.) fügt hinzu: „Karl-Heinz Rummenigge war offenbar der einzige beim FC Bayern, der erkannt hat, daß die Lage doch ein wenig ernst ist. Beim traditionellen Bankett für Mannschaft und Sponsoren hielt er sich nicht auf mit überschwenglichem Lob. Der Vorstandsvorsitzende kam schnell auf den Punkt: „Wir sollten uns nicht an Niederlagen gewöhnen“, sagte er zu mitternächtlicher Stunde. „Es ist wichtig, daß wir ganz schnell auf den Pfad der Tugend zurückkehren, sprich zum Siegen.“ Der Herbst, der so golden begonnen hat mit den Siegen gegen Ajax Amsterdam und Werder Bremen, könnte am Ende wie schon in den vergangenen Jahren doch wieder ein sehr stürmischer werden.“
AC Mailand-FC Barcelona 1:0
Rasanz, technische Verspieltheit und Ballverliebtheit
In der NZZ (21.10.) lese ich: „Der „Match der Künstler“ war von allem Anfang an auch einer der Tempobolzer. Es mutete fast unglaublich an, welch hohen Rhythmus beide Seiten anschlugen – und konstant einhielten. Die Rasanz, technische Verspieltheit und Ballverliebtheit von Fussballern lateinischer Prägung gingen zwar auf Kosten der Präzision, hielten aber das Publikum fast permanent in Atem. Der Hang zum Direktspiel oder die Provokation des Zufall wurde von den hoch gestimmten Barcelonesen zuweilen übertrieben, aber darin äusserte sich vor allem auch die Bereitschaft, auf fremdem Terrain Risiken einzugehen und den Widersacher zu fordern. Dieser ging vergleichsweise abgeklärter und kontrollierter vor, zeigte sich aber nicht minder initiativ und offensiv und schien eine Spur wirkungsvoller mit seinen Gegenstössen als Barça mit den gar oft um eine Station übertriebenen Ballstafetten.“