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Der letzte Popstar der Liga
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| Montag, 25. Oktober 2004Mehmet Scholl, „Bayern Münchens einziger Kreative“ (FAZ) und „der letzte Popstar der Liga“ (SZ) – Willi Landgraf, „ein Paterfamilias, der in Bottrop wohnt“ (FAZ)
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Bayern Münchens einziger Kreative
Mehmet Scholl, Individualist – Matthias Wolf (FAZ 25.10.): “Irgendwie erweckte er von Beginn an den Eindruck, als gehörte er gar nicht richtig dazu. Erst lümmelte er sich nur, scheinbar desinteressiert, auf der Ersatzbank. Dann, die Haare zottelig und unrasiert, betrat er die Bühne. Gab seinen Auftritt – und verschwand wieder, als ginge ihn das alles nichts an. Wohl selten zuvor hat sich ein Hauptdarsteller in der Bundesliga, jenem Hort der Eitelkeiten, so untypisch verhalten wie Mehmet Scholl im Ostseestadion. Um ihn herum sprachen alle über ihn und seine phantasievollen Taten, die den roboterhaften Ergebnisfußball des FC Bayern letztlich noch veredelten. Doch Scholl schwieg, Bayern Münchens einziger Kreative schüttelte alle Fragesteller ab und genoß den Triumph still. Wer mag es dem 34jährigen Profi verdenken, der schlechte Erfahrungen gemacht hat und sich seit langem dem Rummel entzieht? (…) Ein Gewinn für den Bayern-Jahrgang, der derzeit so arm ist an Geistesblitzen. Das Ballquergeschiebe war einer europäischen Spitzenmannschaft unwürdig und stand im Gegensatz zu dem, was Magath seit seinem Arbeitsantritt in München predigt.“
Der letzte Popstar der Liga
Mehmet Scholl, Künstler – Klaus Hoeltzenbein (SZ 25.10.): „Er verhält sich wie ein Künstler, der ahnt, dass sein Spätwerk auch dadurch besser wird, dass er sich nicht erklärt; dass andere staunend wie vor einem Impressionisten stehen und versuchen, sein Tun zu deuten. Es ist nicht übertrieben, zu behaupten, Mehmet Scholl sei der letzte Popstar in der Liga. In jenen Jahren, in denen er sich mit ersten Gebrechen plagte, ist ihm kaum Konkurrenz erwachsen. Kevin Kuranyi schafft es auf die Titelseiten von Bravo und anderen Teenager-Lektüren, aber sonst? Benjamin Lauth ist viel zu oft verletzt, als dass seine blondierten Strähnchen regelmäßig titeltauglich wären. Im Quartett beißen Kuranyi und Lauth mit Arne Friedrich und Andreas Hinkel in Butterbrote mit Schokoladenaufstrich – das ist Fußball-Kultur 2004. Da die Werbung den Charme eines Frühstücks bei Azubis der Bank für Gemeinwirtschaft besitzt, beschreibt sie nur eine breite Lücke. In diese dribbelt dann der Retro-Scholl. In Rostocks Schmuddelwetter aber zeigte sich, dass Mehmet Scholl noch immer die schnellsten Beine und die schnellsten Gedanken der Liga hat. Sorgen bereitet die Frisur, die nicht mehr fällt wie einst. Nach Kurzhaar hat Scholl in einer Kreuzung aus Oasis-Britpop und Vokuhila eine Mode gefunden. In Münchner Klubs gab er schon den DJ, und die CDs mit seinen Lieblingstiteln sind nicht zu verachten. Wer Vergleiche sucht, kommt womöglich bei Prince vorbei. Auch der sah sich einst als Sklave von Gewerbe und Passion, sprach nicht mehr öffentlich, nannte sich „The Artist“ oder verbarg seine Identität hinter einem Symbol. Wahrscheinlich ist es bei Mehmet Scholl einfacher, ist er nur das vierte Mitglied der Sportfreunde Stiller, die er zu seinen Bekannten zählt. Einer, der gerne Musik macht und der sich quält, bis er wieder gute Laune hat.“
Emile Mpenza, Torschütze – Richard Leipold (FAZ 25.10.): “Wenn ein neuer Trainer die Arbeit aufnimmt, ändert sich manches, ohne daß es eine vernünftige Erklärung dafür gibt. Mpenzas Leistung gehört zu diesen Mysterien. Zuvor hatte der 26 Jahre alte Profi sich zwar eifrig bemüht, aber auch mit besten Chancen nichts anfangen können. Seinem vorherigen Trainer und Förderer Klaus Toppmöller muß es vorgekommen sein wie Ironie des Schicksals, daß Mpenza gerade bei der Premiere von Thomas Doll den Grundstein zum Erfolg legte. Zwei Wochen vor seiner Entlassung hatte Toppmöller angekündigt, Mpenza werde „noch seine Tore machen“. (…) Beibehalten hat er seinen Hang, sich abzukapseln. Beim HSV gilt der ein paar Wochen später auch noch verpflichtete Moreira als seine einzige Bezugsperson neben dem „persönlichen Betreuer“, der ihn durch die Fährnisse des Alltags lotst. Schon in Schalke spotteten Kritiker, Mpenza führe in der Mannschaft das Dasein eines Autisten. Das Mobiltelefon klebt ihm am Ohr, als wäre es festgewachsen; seinen Mitspielern indes hat er nicht viel zu sagen.“
Ein Paterfamilias, der in Bottrop wohnt
Willi Landgraf, Rekordzweitligaspieler – Thomas Klemm (FAZ 25.10.): „Über Rot-Weiss Essen, den FC Homburg, abermals Essen sowie den FC Gütersloh ist der Verteidiger 1999 nach Aachen gekommen. Vier Vereine, 18 Zweitligajahre, viele Höhen und Tiefen – aber kein einziges Kopfballtor. „Kopfballtore machen die anderen“ – damit hat er sich genauso abgefunden wie mit der Tatsache, daß ihm niemals ein Angebot von einem Erstligaverein vorlag. Kein Frage der Qualität, sondern des Zeitgeistes, meint der in Mülheim an der Ruhr geborene Landgraf. Man habe eben immer „Superstürmer“ gesucht und sich nicht so sehr um Abwehrspieler geschert. Oder lag es daran, daß er sich niemals einen Berater geleistet hat? Warum einen Berater engagieren, lautet Willi Landgrafs Gegenfrage. „Meine Frau schafft es, um ein Uhr das Essen auf den Tisch zu bringen.“ So spricht ein Paterfamilias, der in Bottrop wohnt, die Heimspiele von Rot-Weiss Essen besucht und an Trainingstagen der Alemannia 250 Kilometer hin- und zurückfährt. Mit harter Arbeit, unermüdlichem Fleiß und kämpferischer Einstellung hat es Willi Landgraf zum Stammspieler unter 19 Trainern gebracht – „18 waren ordentlich, einen würde ich rauspacken“.“