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Internationaler Fußball

Zwei Supermächte auf Besuch in der Provinz

Oliver Fritsch | Dienstag, 26. Oktober 2004 Kommentare deaktiviert für Zwei Supermächte auf Besuch in der Provinz

Arsenal London und Malcolm Glazer, „zwei Supermächte auf Besuch in der Provinz Manchester“ (FR) / Manchester United siegt gegen Arsenal London dank „Fußball als Wille, Wut und Wehrübung“ (FAZ) – 0:0 in Mailand, „das wildeste Derby der Welt findet im Reich der Fantasie statt“ (SZ) – Real Madrid gewinnt mit „einer Aufstellung, die den Regeln des modernen Fußballs spottet“ (BLZ) – Bernd Schuster, als Trainer „noch kein sicherer Wert“ (NZZ) – der Abstieg des schwedischen Traditionsklubs AIK Solna – „Chinas junge Fußball-Liga ertrinkt in einer Serie von Skandalen“ (SZ)

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Wie eine Supermacht auf Besuch in der Provinz

Manchester kämpft mit allen Mitteln und gegen zwei Mächte – Raphael Honigstein (FR 26.10.): „Der ganze Zorn der Massen traf Malcolm Glazer, den amerikanischen Milliardär, der die Übernahme von United anstrebt. Vor dem Stadion hatten mehrere tausend Fans gegen ihn demonstriert und Flugblätter verteilt. Die Motive des 76-Jährigen sind den Anhängern der roten Teufel hochgradig suspekt; dass der kleine Mann mit dem roten Bart noch nie im Old Trafford war, spricht zusätzlich gegen ihn. Am Montag reagierte dann auch Manchesters Vorstand: Die geplanten Gespräche mit dem Amerikaner wurden kurzerhand abgesagt („nicht im Interesse des Vereins“). Immerhin konnten ihn die 67 000 entfesselten Besucher kurz in der Halbzeit sehen – er hing als Puppe an einem Galgen hinter dem Tor, bevor ein Aufseher intervenierte. Die mitgereisten Arsenal-Fans ärgerten den Gegner mit frechen „USA, USA“-Rufen. Wie eine echte Supermacht auf Besuch in der Provinz schienen derweil auch die Gunners ihren absoluten Herrschaftsanspruch untermauern zu wollen. Nach 49 Spielen ohne Niederlage konnte man ihre Aura der Unverwundbarkeit spüren, Angriffszüge von erlesener Schönheit waren zu bestaunen. United, das keine Niederlage leisten konnte, wehrte sich im eigenen Haus mit den Mitteln des Straßenschlägers gegen die spielerische Übermacht. Der Dribbler José Reyes wurde systematisch „vom Platz getreten“, wie sich Arsène Wenger hinterher zu Recht beschwerte, Rio Ferdinand stoppte Freddy Ljungberg ungestraft per Bodycheck, Ruud Van Nistelrooy trat Ashley Cole gezielt aufs Knie. Schiedsrichter Mike Riley verlor in seinem ehrenwerten Bestreben, die Dinge weitestgehend laufen zu lassen, leider komplett den Überblick; in Deutschland hätte so eine Leistung wohl eine Klage wegen unterlassener Hilfeleistung nach sich gezogen. Als Wayne Rooney, der an seinem 19. Geburtstag bis dahin nur durch rüpelhafte Fouls aufgefallen war, 20 Minuten vor Schluss neben Sol Campbell zu Boden ging, gab es Elfmeter. „Rooney hat unseren Spielern gesagt, er sei nicht berührt worden“, klagte Wenger, auch in der Zeitlupe war kein Körperkontakt zu erkennen.“

Fußball als Wille, Wut und Wehrübung

Christian Eichler (FAZ 26.10.) bespricht den Sieg Manchesters gegen Arsenal: „Keine Angelegenheit für Fußball-Feinschmecker: Alex Ferguson waren ästhetische Einwände natürlich egal. Er wußte, daß selbst seine teure Truppe ein Team wie Arsenal London nicht schön bezwingen kann, nur unschön – sofern der Schiedsrichter es zuläßt. Weil das so war und weil United nach Ansicht seines Bosses „das einzige Team in England ist, das keine Angst vor Arsenal hat“, endete die großartigste Serie in der Geschichte des englischen Fußballs. Mit dem 0:2 lernte Arsenal zum ersten Mal seit 49 Spielen und 542 Tagen das Gefühl wieder kennen, wie es ist, ein Ligaspiel zu verlieren. Es fiel ihnen nicht leicht. „Wir fühlen uns beraubt“, sagte Trainer Arsène Wenger. (…) So betrat Jungstar Rooney an seinem 19. Geburtstag, so der Telegraph, „den Klub der sterbenden Schwäne“. Riley pfiff Elfmeter, „den üblichen Elfmeter“, so Wenger sarkastisch, „wenn wir nach Manchester kommen und sie in Schwierigkeiten sind“. Es war im achten Spiel, das der Schiedsrichter in Old Trafford leitete, sein achter Elfmeter für Manchester. (…) Dabei war es immer noch nicht der Beweis der kreativen Klasse und Torgefahr, die ein Ensemble mit dem 86-Millionen-Euro-Sturm Rooney, Ronaldo, van Nistelrooy auf die Beine bringen sollte. Statt dessen bot Fergusons Truppe nur eine abermalige Übung in der Kunst, die sie beherrscht wie kaum ein anderes Team: eine Partie zur grimmigen Schlacht zu machen, zum Guerrilla-Kampf, der nicht Spielkunst, sondern Leidensfähigkeit fordert – Fußball als Wille, Wut und Wehrübung.“

Die Fans üben sich in der Exegese der Moderne, und das wildeste Derby der Welt findet im Reich der Fantasie statt

Sehr lesenswert! 0:0 im Mailänder Derby – eine Rezension von Birgit Schönau (SZ 26.10.): „Wie war dieses Derby hochgejazzt worden! Zum Klassikknüller, zum Weltgipfel, zur aufregendsten Stadtmeisterschaft aller Zeiten. Was man sich eben so einfallen lassen muss angesichts einer Konsumkrise, in der auch der Fußball sich nicht mehr von selbst verkauft. Also Milans Brasilianer gegen Inters Argentinier, wobei der Modeschöpfer Stefano Gabbana kurz vor dem Anpfiff bekannt gab, er sei jetzt doch von Inter zu Milan umgeschwenkt, weil er ja gerade deren Mannschaft eingekleidet habe. Und was soll man von Tifosi denken, die in der Kurve den Schrei von Edvard Munch entrollen, jenes berühmte, sich immer noch in Diebeshand befindliche Gemälde, und es untertiteln mit: Interista, werde verrückt. Das ist Mailand, die Schneider machen ihre Umfaller öffentlich, die Fans üben sich in der Exegese der Moderne, und das wildeste Derby der Welt findet im Reich der Fantasie statt. Auf dem Rasen gab es nur grauenhaftes Gekicke zu sehen, das später alle mit einem diskreten molto tattico vom Tisch wischen wollten. (…) Warum sind die 80 000 Zuschauer bis zum Schluss sitzen geblieben? Weil sie ihrerseits dafür bezahlt hatten? Weil sie dachten, der junge Wilde Vieri, der Impressionist Schewtschenko machten am Ende doch noch ein Tor, statt sich in „masochistischen Exerzitien“ zu ergehen (La Repubblica)? Wenn es wenigstens l’art pour l’art gewesen wäre, wie es der tschechische Kettenraucher Zdenek Zeman mit seiner US Lecce vorführt: bester Angriff der Serie A, jetzt Tabellenzweiter. Aber Zeman ist Kult, Mancini und Ancelotti sind Angestellte, für die Fußballtaktik etwa den künstlerischen Rang eines Makrameenetzes hat.“

Vorwärts-seitwärts-rückwärts

Peter Hartmann (NZZ 26.10.) schildert eine Ablösung im Tor von Inter Mailand: „Früher hiess Alberto Fontana „Der Akrobat“ wegen seiner Luftnummern, als er noch bei Liftmannschaften wie Bari, Cesena, Atalanta Bergamo und Neapel in der Serie A im Tor herumturnte, einer dieser wahren Helden, die in Teufels Küche arbeiten, ständig unter Feuer, aber auch im Schaufenster. Einer, der mehr Metier in die Handschuhe gepackt hat als die grossen, von starken Verteidigern geschützten „Portieri“ seiner Zeit (von Pagliuca, Tacconi, Taffarel, Peruzzi bis Zenga), aber nicht ihren Ruhm. Seit 2001 bezieht Fontana bei Inter eine Frührente als Nummer zwei, in der klassischen Stellvertreterposition, die in Italien in der Regel von väterlichen Routiniers besetzt wird. Er hat seither nur gerade 16-mal gespielt. Das Inter-Management wollte ihm für diese Saison keinen Vertrag mehr geben. Dann kam Roberto Mancini, der neue Trainer, und erkannte mit dem Röntgenauge des geborenen Stürmers den langjährigen Platzhirsch im Tor als Fehler- und Irritationsquelle: Er setzte Francesco Toldo unter Konkurrenzdruck. Toldo ist fast unüberwindbar auf der Torlinie, aber zögerlich, befangen im Herauslaufen. Fontana, das zeigte er auch im Derby, hat sich in den ungezählten Abwehrschlachten seines früheren Lebens die Antizipationsreflexe eines Liberos angeeignet und fischte einige geniale Langpässe des Milan-Brasilianers Kakà ab. Und er ist der „Akrobat“ geblieben: Schwerelos hechtet Fontana (er ist 1,85 Meter gross und wiegt 72 Kilo, also eher unter Gardemass), im Stile von Frankreichs Weltmeister-Torhüter Fabien Barthez, vorwärts-seitwärts-rückwärts nach jedem Ball, aber er sucht nie die Konfrontation, die Einschüchterung wie etwa Oliver Kahn. (…) Trotz fehlenden Toren war das Mailänder Traditionsduell eine spannende Vorstellung.“

Eine Aufstellung, die den Regeln des modernen Fußballs spottet

Real Madrid flieht nach vorne – Ralf Itzel (BLZ 25.10.): “Weil die Mannschaft zuletzt so schwach verteidigte wie immer und so erfolglos angriff wie nie zuvor, hat Remon sich dazu entschieden, nun einfach die besten seiner Fußballer alle zusammen aufzubieten, auch wenn das ausnahmslos Angreifer sind. Ronaldo und Owen stürmen in vorderster Linie, und dahinter drängen Raúl, Guti, Zidane und Figo. Weil auch Roberto Carlos gerne nach vorne rennt, agiert Real nurmehr mit drei echten Abwehrakteuren. Fehlt nur noch, dass der Coach den rechten Verteidiger Salgado demnächst durch den derzeit verletzten Beckham ersetzt. Es ist eine Aufstellung, die den Regeln des modernen Fußballs spottet, weswegen der Trainer selbst überrascht wirkt, dass das Experiment bisher gelingt. Zwei Siege sind erreicht, in der Champions League gegen Kiew und in der Liga gegen den Meister FC Valencia. Kurios, dass das riskante Unternehmen nicht durch zahlreiche Tore geadelt oder durch viele Gegentreffer durchkreuzt wird, denn das Ergebnis lautete in beiden Fällen 1:0.“

Noch kein sicherer Wert

Lange nichts gehört von und über Bernd Schuster; Georg Bucher (NZZ 26.10.) hilft nach: „Traditionell trennen sich spanische Klubs nach dem Aufstieg von ihren Trainern. Dahinter steht ein Klassenbewusstsein, die Ansicht, dass Ausbildner, zumal solche, die als Spieler keine Bäume ausrissen, mit Fleiss und Fachwissen im Unterhaus reüssierten, auf der nächsten Stufe aber mangels Intuition überfordert wären. Aus Imagegründen wird kein gestandener Trainer verpflichtet, sondern ein „Mythos“. (…) Auch Bernd Schuster, in Levante Nachfolger von Manuel Preciado, ist noch kein sicherer Wert. Zwei Jahre hatte er mit wechselndem Erfolg den südspanischen Zweitligaklub Xerez trainiert, später in Donezk Champions-League-Luft geschnuppert, bevor Levante auf ihn zukam. Hier scheint das Betriebsklima Schusters Vorstellungen zu entsprechen. Typisch für den gemächlich-genialen, freiwillig aus der deutschen Nationalmannschaft ausgestiegenen Spielmacher ist seine Einstellung zum Präsidenten. Ob der etwas von Fussball verstehe, spiele keine Rolle, mangelnde Kenntnisse seien sogar wünschenswert. Als abschreckendes Beispiel nannte Schuster Bayern München. Dort, wohin er niemals gehen würde, beziehe der Trainer von allen Seiten Prügel, vom Präsidenten, vom Generaldirektor und vom Manager, denn Beckenbauer, Rummenigge und Hoeness sind Welt- oder Europameister und fühlen sich im Besitz der Wahrheit.“

Gerhard Fischer (SZ 26.10.) befasst sich mit dem Abstieg des AIK Solna: „Der AIK Solna, dessen Aufsichtsrat von Uefa-Chef Lennart Johansson geführt wird, ist der traditionsreichste Verein in Schweden. 1896 nahm der Allmänna Idrottsklubben (Allgemeine Sportklub) Stockholm den Fußball in sein Programm auf. Vier Jahre später wurden die AIK-Kicker Meister, und es folgten insgesamt 77 Jahre in der Ersten Liga. Die Umbenennung in AIK Solna erfolgte in den neunziger Jahren – Solna ist der Vorort Stockholms, in dem der AIK und das Rasunda-Stadion beheimatet sind. Nun wird dort Zweitliga-Fußball gespielt, die Gegner werden Brommapojkarna (die Bromma-Burschen) und Cafe Opera heißen. Trotzdem spricht noch keiner vom Wiederaufstieg. „AIK’s Albtraum hat erst begonnen“, schreibt die Zeitung Dagens Nyheter. Das Blatt meint, dass ein Klub, der derart in Trümmern liege, Jahre brauche für den Neuaufbau. Vermutlich begann das Unglück damit, dass AIK 1998 Meister wurde und später Geld aus der Champions-League-Qualifikation kassierte. Im Überschwang wurden überschätzte Spieler gekauft – von überflüssigen Funktionären, die wenig vom Sportlichen und nichts vom Wirtschaftlichen verstanden.“

Die Fußballer sind dabei, die Herzen ihrer Fans endgültig zu verspielen

„Chinas junge Fußball-Liga ertrinkt in einer Serie von Skandalen“, erfahren wir von Kai Strittmatter (SZ Seite 3 26.10.): „In China ist die Selbstzerstörung des chinesischen Fußballs zu besichtigen. Ein weiterer Akt in diesem Schauspiel wurde Anfang diesen Monats eingeläutet, ausgerechnet an dem Ort, an dem Chinas Fußball den Einzug zur WM 2002 gefeiert hatte: im Stadion von Shenyang. Peking war zu Gast. Zuerst stellte der Schiedsrichter einen Pekinger Spieler vom Platz, ohne dass so recht ersichtlich gewesen wäre warum. Dann pfiff er aus ebenso heiterem Himmel einen Elfmeter für Shenyang. Keiner rechnete mit dem, was dann geschah: Die Pekinger marschierten geschlossen vom Feld. Und ihr Manager Yang Zuwu stellte sich hin und sagte: Uns reicht’s! Er sprach – vor Kameras und in die Mikrofone – von Schiebung, von Bestechung und vom drohenden Kollaps der Liga. Mehr als eine Milliarde Yuan (100 Millionen Euro) sei in den zehn Jahren ihres Bestehens in Chinas Profiliga investiert worden, referierte der zornige Yang Zuwu im Staatssender CCTV. Sein knappes Resümee: „Rausgeschmissenes Geld.“ „Hei shao“, „schwarze Pfeife“, ist mittlerweile einer der meistgehörten Rufe in Chinas Stadien: „Korrupter Schiri“ heißt das, gebrüllt aus den heiseren Kehlen wütender, verzweifelter Fans. (…) Die Fans wenden sich in Scharen ab. Noch vor fünf Jahren kamen im Durchschnitt 20 000 bis 30 000 Zuschauer ins Stadion, heute verlieren sich bei manchen Spielen gerade mal 1000 Leute in den Rängen. Clubs wie Shenzhen Jianlibao haben ihre Spieler seit Mai nicht mehr bezahlt. Eben noch war Fußball Nationalsport – heute fachsimpeln manche Taxifahrer lieber über die Formel 1, und Pekinger Jungs tragen nicht mehr die grünen Trikots ihres Pekinger Guo’an-Clubs, sondern NBA-T-Shirts mit dem Basketball-Idol Yao Ming: Die Fußballer sind dabei, die Herzen ihrer Fans endgültig zu verspielen.“

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