Nachschuss
Dietrich Schulze-Marmeling – Davidstern und Lederball. Die Geschichte der Juden im deutschen und im internationalen Fußball
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| Dienstag, 26. Oktober 2004Von Detlev Claussen
Juden im deutschen Fußball waren selten zu sehen; ein Thema schien „Davidstern und Lederball“ nicht zu sein, bis das von dem deutschen Fußballexperten Dietrich Schulze-Marmeling heraugegebene gleichnamige Buch erschien. Es ist im Göttinger Verlag Die Werkstatt herausgekommen, der schon eines der besten Fußballbücher überhaupt, Christoph Bausenweins „Geheimnis Fußball“, neben kritischen Vereinsgeschichten, in denen Fans und Interessierte sich über die wichtigsten Bundesligaklubs informieren können, herausgebracht hat. Durch die schöne Göttinger Idee „Das große Buch der deutschen Fußball-Stadien“ wurden im Jahr 2000 Spiegel-Journalisten darauf aufmerksam, dass das Schweinfurter Stadion noch heute nach der lokalen Nazigröße, dem Motorradfabrikanten und Playboyvaters Willy Sachs, benannt ist. In „Davidstern und Lederball“ läßt sich nun nachlesen, zu welchen Diskussionen im Lande des Weltmeisters der Vergangenheitsbewältigung es heute noch kommt, wenn in einem solchen Stadion ein Gastspiel mit Maccabi Haifa vereinbart wird. Ganz Schweinfurt fühlte sich vor zwei Jahren von „Spiegel“ bis „Süddeutsche“ diskriminiert, aber den Namen änderte man nicht. Der Absteiger aus der Zweiten Liga wird auch in der Saison 2003/4 in dem nach SS-Obersturmbannführer Sachs benannten Stadion antreten.
Aus dem deutschen Fußball scheinen die Juden verschwunden zu sein; in der Geschichte des DFB kehren sie als Gespenster wieder. Mit dem Präsidenten Meyer Vorfelder hat man sich jemand an die Spitze gewählt, der durch seine spontanen, vom Alkoholgenuss ungetrübten Meinungsäußerungen die vom DFB ausposaunte Dummheit, der Fußball könne nicht besser sein als die Gesellschaft, in der er gespielt werde, zu beweisen sucht. Diesem öffentlichen Sich-dumm-Stellen arbeitet ein Sachbuch wie „Davidstern und Lederball“ entgegen. Man kann mehr über Fußball wissen als die Schön- und Festredner der inzwischen hundertjährigen Geschichte. Über den autoritären Grundzug in der deutschen Fußballorganisation nicht allein die Verstrickung in den Nationalsozialismus, informiert das Buch „Stürmen für Deutschland“. Aber leider machen die Autoren Dirk Bitzer und Bernd Wilding es sich etwas zu leicht: Sie nehmen die offensichtlich empörendsten Tatsachen der deutschen Politik vor während und nach dem Nationalsozialismus – dankenswerter Weise auch in der DDR – und kombinieren sie mit Fußballgeschichten, statt das komplexe, widersprüchliche Verhältnis zu zeigen, weshalb man nämlich am Fußball Spaß haben und einem die Sache selbst durch das Drumherum verleidet werden kann…oder gar die spaßbringende Sache selbst zerstört wird.
Von Beginn an gab es im deutschen Fußball zwei widersprechende Tendenzen – die des Obrigkeitsstaates, zu dem sich der der DFB immer hingezogen gefühlt hat, und die einer demokratischen Popularisierung. Bernd M. Beyer erinnert in seinem Artikel an den Fußballpionier Walter Bensemann, dem er auch ein eigenständiges, ebenfalls im Verlag Die Werkstatt erschienenes Buch gewidmet hat. Bensemann führte den deutschen Fußball aus seiner internationalen Isolation, in die er sich freiwillig schon vor dem ersten Weltkrieg begeben hatte. Der anglophile Gentleman, der Schweizer Internatserfahrungen besaß, organisierte 1908 das Rahmenprogramms des ersten deutschen Länderspiels – gegen die Schweiz selbstverständlich. Auch nach dem ersten Weltkrieg vereinbarte er am deutschnationalen DFB vorbei internationale Begegnungen; er betrachtete den Fußballsport als eine „Religion“, das vielleicht „einzige wahre Verbindungsmittel der Völker und Klassen“. Bensemann gründete 1920 den damals lesenswerten „Kicker“, als deren Chefredakteur der Jude 1933 abgesetzt wurde. Er floh in die Schweiz, wo schon sein Freund , der spätere FIFA-Generalsekretär Ivo Schricker sich hingerettet hatte.
Juden im deutschen Fußball stehen für Internationalität, Weltoffenheit und Völkerverständigung, wie an der Pinoiergeschichte von Walter Bensemann gezeigt wird. Einer wie er fühlte sich in Deutschland zuhause und gerade deshalb kritisierte er den spezifisch deutschen Zusammenhang von Militarismus und Deutschem Fußball Bund. Der DFB und auch die Nazis wehrten sich erbittert gegen die Professionalisierung des Fußballs, die in England schon längst das Spielerpotential aus dem Arbeitermilieu erschlossen hatte. Professionalismus galt den meisten deutschen Fußballfunktionären als Inbegriff von Kommerzialisierung und das hieß bei ihnen – jüdischer Praktiken. Den Beweis sah man im Nachbarland, das bis 1938 Deutschland im Fußball überlegen war, in Österreich. In der Tat spielen im österreichischen Fußball Juden nicht nur eine hervorragende, sondern eine zentrale Rolle. Wie Österreich nach Ende des ersten Weltkriegs als alpine Schrumpfrepublik aus dem Habsburger Reich hervorging, entstand auf den Ruinen des Vielvölkerstaats mit dem Mitropa Cup ein erster internationaler Spielbetrieb, ohne den die Champions League von heute nicht vorstellbar wäre. Der Erfinder hieß Hugo Meisl, den Erik Eggers in diesem Band ebenso eindrucksvoll porträtiert wie seinen jüngeren Bruder Willy Meisl, der nach dem zweiten Weltkrieg anerkennend „König der Sportjournalisten“ genannt wurde. Bei den Meisl-Brüdern kam es zu der so seltenen Verbindung im Fußball von Ballkunst und Schreibfertigkeit, von Sachkenntnis und Ausdrucksfähigkeit. Der einstige österreichische Nationaltorwart Willy Meisl machte als Journalist in Berlin eine einzigartige Karriere, die durch die Nazis beendet wurde. Schon in den fünfziger Jahren sinnierte er über die in der englischen Emigration studierten Probleme des Profifußballs, die heute die gesamte Welt des bezahlten Fußballs ergriffen haben.
Warum spielen Juden eine wichtige Rolle im Fußball – und warum meistens eine progressive? Die Popularisierung des Sports im Zwanzigsten Jahrhundert versprach die Befreiung von der alten Ständegesellschaft, in der die europäischen Juden Unterprivilegierte gewesen waren. Vom Sport erhofften sie sich die Anerkennung des Leistungsprinzips. Im Fußball kann man diskutieren, wie man will: Wer mehr Tore geschossen hat als der Gegner, hat gewonnen. Gegenüber den endlosen Diskussionen, die das moderne Europa durchzogen, ob die Juden denn nun wirklich gleichberechtigt seien, sein sollten oder könnten, hatte die Entscheidung auf dem Platz etwas Befreiendes. Aber der Fußball wurde gerade um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zum Massensport, als der Nationalismus auf dem Kontinent eine große Blüte erlebte. Mit ihm wurde Mode, was der Historiker Eric Hobsbawm „Traditionserfindung“ genannt hat. Nirgendwo ist das schärfer und konkurrenter aufgetreten als in der zerfallenden Habsburger Monarchie. Im Schrumpfösterreich nach 1918 konzentrierten sich auch physisch die Kräfte, besonders in der Metropole Wien. Der Schriftsteller Friedrich Torberg, Erzähler der bahnbrechend witzigen Geschichten von Tante Jolesch, hat diese einmalige Atmosphäre der Wiener Zwischenkriegszeit in der Anekdote „Hoppauf, Herr Jud´“ festgehalten – dankenswerterweise auch in diesem Band nachgedruckt. Im Konflikt eines sich völkisch definierenden Deutschtums, einer sich kosmopolitisch verstehenden Wiener Bürgerlichkeit und einer sich selbstbewusst national begreifenden jüdischen Mittel- und Unterschicht entstanden Fußballrivalitäten, die das Wunder einer jüdischen Fußballmeisterschaft hervorbrachten. Sie hatte einen Namen, der weltbekannt wurde: Hakoah. Sie wurden nicht nur Meister 1924/25 in der damals stärksten Liga des Kontinents, sondern sie erteilten auf der Insel selbst den Lehrmeistern von einst, West Ham United, mit 5:0 eine Lektion, die damals von der fairen englischen Presse begeistert aufgenommen wurde. Hakoah heißt Kraft, die Vereinsideologie war jüdisch-national, die Spieler waren ausschließlich Juden. Ihr heißester Konkurrent in der großen Zeit hieß Austria, von den Antisemiten auch als „Judenclub“ diffamiert. Entscheidende Verstärkung bekam Hakoah durch aus dem Horthy-faschistischen Ungarn geflohene Juden, die nun mit Fußballspielen ihren Lebensunterhalt verdienen mußten. Unter ihnen befand sich der glänzende Mittelläufer Bela Guttmann, das missing link zur fußballerischen Moderne. Er trug das einst in Budapest entwickelte 4-2-4 –System durch seine internationalen Trainerstationen nach Brasilien und zu Benfica Lissabon, mit der er Real Madrid als Europacupkönige 1961 und 1962 stürzte. Auch ein jüdisches Schicksal, das nicht zu den in manchen Texten allzu schablonenhaft verwandten Epitheta „zionistisch“ und „assimiliert“ passt. Dennoch ein lesenswertes Buch, das verlogene Mythen durch spannende Geschichten ersetzt.
Detlev Claussen ist if-Leser und Professor für Gesellschaftstheorie, Kultur- und Wissenschaftssoziologie an der Universität Hannover
Besprochene Bücher:
Dietrich Schulze-Marmeling (Hg.), Davidstern und Lederball. Die Geschichte der Juden im deutschen und im internationalen Fußball, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2003, 509 S., € 26,90.
Bernd M. Beyer, Der Mann, der den Fußball nach Deutschland brachte. Das leben des Walter Bensemann. Ein biografischer Roman, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2003, 544 S., € 26,90.
Dirk Bitzer, Bernd Wilting, Stürmen für Deutschland. Die Geschichte des deutschen Fußballs von 1933 bis 1954, Campus, Frankfurt/New York 2003, 253 S., € 21, 50.