Champions League
Transparenter, virtuoser, kunstvoller
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| Donnerstag, 4. November 2004Werder Bremen, „Utopie von der Gemeinschaft der Gleichen“ (SZ) – „Barça wirkte transparenter, virtuoser und kunstvoller als Milan“ (NZZ)
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Werder Bremen-RSC Anderlecht 5:1
Das System Schaaf verinnerlicht
Ivan Klasnic, dreifacher, bescheidener Torschütze – Frank Heike (FAZ 4.11.): „Klasnic blieb so kühl, als hätten Eiswürfel im Entmüdungsbecken gelegen. „Ich brauche keine Superlative. Es ist mir egal, wer die Tore macht. Ohne eine gute Mannschaftsleistung hätte ich nicht getroffen. Wir profitieren alle voneinander.“ Natürlich war diese Abgeklärtheit des Kroaten auch Pose. Beim rauschenden 5:1 hatte Klasnic drei Tore geschossen und ein weiteres mittelbar vorbereitet. Niemand hätte ihm überschwappende Gefühle auch eine Stunde nach der Partie übelgenommen. Doch Ivan Klasnic hat das System Schaaf verinnerlicht. Um den innerbetrieblichen Frieden nicht zu stören, wird bei Werder niemand über Gebühr hervorgehoben, niemand zurückgesetzt. Das lebt Thomas Schaaf vor. Er lobte nach der Gala den Dänen Daniel Jensen; Klasnic habe nur getan, was er am besten könne. Prompt sagte Klasnic, als seien er und sein Trainer gleichgeschaltet: „Es ist alles Nebensache, was ich mache.“ Nebensache, wenn einer Werder im Alleingang ganz nah ans Achtelfinale bringt? Daß es doch noch eine andere Wahrheit als die des Ivan Klasnic gab, bewies eine Äußerung von Christian Schulz. Er sagte grinsend: „Wir werden viel zu tun haben, Ivan wieder auf den Boden der Tatsachen zu holen.““
Utopie von der Gemeinschaft der Gleichen
Werder Bremen in seinem Lauf, halten weder Ochs noch Esel auf – Jörg Marwedel (SZ 4.11.): „Die untergegangene DDR hat es nicht geschafft, die einstige Weltmacht Sowjetunion ist ruhmlos verschieden, und Fidel Castros sozialistisches Kuba vegetiert dem Ende entgegen. Die Utopie von der Gemeinschaft der Gleichen, getragen von einer Idee und bedingungsloser Solidarität, wird von der Geschichte als gescheitert betrachtet. Hoffnung auf eine bessere Welt spendet seit Dienstag der Fußball. Und wer das nicht glauben mag, der braucht nur noch einmal den Film jener zauberhaften Demonstration kollektiver Fußballkunst ablaufen zu lassen, mit welcher Werder Bremen den belgischen Titelträger RSC Anderlecht besiegte. Einen Klub, der wie Real Madrid eine Krone im Vereinswappen trägt, aber am Ende dastand wie ein König ohne Kleider.“
FC Barcelona-AC Mailand 2:1
Milan spielte Verstecken, Barça wollte entdecken
Felix Reidhaar (NZZ 4.11.) rezensiert das Spiel: „Das phantastische Tor war gleichsam Abschluss wie Höhepunkt eines sehenswerten Spiels von zwei der derzeit ohne Zweifel besten Teams der Welt. Gegen das Bukett an balltechnischem, organisatorischem, läuferischem und taktischem Können von lauter lateinisch geprägten Nationalspielern muss das Potenzial beispielsweise des neuen, sensationellen Europameisters zur Karikatur geraten. (…) Abgesehen von den Einzigartigkeiten und Persönlichkeiten auf beiden Seiten, die den Abend zu einem der raren Leckerbissen machten, stachen markante stilistische Unterschiede hervor: Milan spielte zunehmend Verstecken, Barça wollte entdecken. Milan wartete mehr ab, ging wählerischer vor und suchte den Weg zum Ziel in der Regel mit in der Vertikalen angelegten Direktangriffen. Barça wirkte transparenter, virtuoser und kunstvoller, wurde immer wieder beeinträchtigt durch den bekannten Hang zur Verspieltheit und übertrieb zuweilen das schnelle Kombinationsspiel. Aber weil der Platzklub bis zum Schluss mit bewundernswerter Hingabe drängte und insistierte, fand er, fand Ronaldinho doch noch die eine Lücke in diesem kompakten wie stoischen Mailänder „Riegel“. Was beide Equipen in extenso demonstrierten, war beispielhaftes Wiedererlangen und Halten des Balles (…) Rijkaards Team ist weit mehr als eine Ansammlung hervorragender Einzelkönner. Es überzeugte durch Ausgeglichenheit und Festigkeit und erinnerte mit seinen sorgsam über die ganze Terrainbreite und -länge verteilten Ballstafetten ein bisschen an die Spielart à l‘ hollandaise.“