Interview
Nur mit Leuten wie mir wäre es langweilig
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| Samstag, 6. November 2004Ilja Kaenzig (Tsp): „Wenn es nur Leute wie mich im Fußball gäbe, wäre es langweilig“ – Bert Trautmann (FAZ): „Ich glaube, daß ich in Deutschland nicht so eine Karriere gemacht hätte wie in Manchester“ – Wilko Zicht, BAFF-Mitglied (SZ): „Sponsoring und Kartenvergabe sind unterschiedliche Dinge“
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Wenn es nur Leute wie mich im Fußball gäbe, wäre es langweilig
Sehr lesenswert! Ilja Kaenzig im Interview mit Stefan Hermanns & Friedhard Teuffel (Tsp 6.11.)
Tsp: Leiden Sie unter dem Außenseitertum Ihres Klubs?
IK: Das kann man so sagen. Aber Hannover besitzt eben ein gewisses Image. Dabei haben wir neun Nationalspieler im Kader, nur registriert das keiner. Wir müssen uns noch Respekt verschaffen. Auf und neben dem Platz.
Tsp: Als Sie noch bei Bayer Leverkusen waren, konnten Sie sogar im internationalen Fußball mitreden. Vermissen Sie die G 14 schon, die Vereinigung der wichtigsten europäischen Fußballklubs?
IK: Vermissen nicht. Aber es war eine sensationelle Erfahrung. Ohne die G 14 läuft im Weltfußball nichts. Das sind die Klubs mit den besten Spielern der Welt und dem meisten Einfluss. Wenn da Strategien besprochen wurden, hattest du das Gefühl: So kommt sich der US-Präsident vor.
Tsp: Glauben Sie denn, dass die G 14 Sie vermisst?
IK: Ich hoffe es, und zumindest versuche ich, den Kontakt zu halten. Ich könnte jederzeit zum Hörer greifen und die Vertreter, die ich dort kennen gelernt habe, anrufen. Ich habe zum Beispiel Peter Kenyon vom FC Chelsea gefragt: Wie sieht es mit Robert Huth aus? Wollt ihr den ausleihen? Da weißt du zumindest, dass er nicht gleich auflegt. Chelsea will Huth zwar nicht ausleihen, aber das sind wertvolle Kontakte. Irgendwann werden sie auch Hannover 96 zugute kommen.
Tsp: Kurz nach Ihrem Wechsel zu Hannover 96 hat Reiner Calmund als Manager von Bayer Leverkusen aufgehört. Wenn Sie noch ein bisschen gewartet hätten, wären Sie heute vielleicht sein Nachfolger.
IK: Nein, es war nie die Rede davon, dass Calmund die Position für mich freimacht, sondern dass ich nach und nach in seine Rolle hineinwachse. Es war schon gewaltig, wie er den Laden zusammengehalten hat. Calmund hat immer den globalen Blick gehabt, sich nie von Kleinigkeiten aufhalten lassen. Außerdem war es beeindruckend, wie er die Leute geführt hat. In Leverkusen gab es einen ganz extremen Zusammenhalt. Aber ich habe ja auch keine Entscheidung gegen Leverkusen getroffen, sondern eine für Hannover.
Tsp: Sie sind zwar erst 31, aber schon seit fast zehn Jahren in der Fußballbranche tätig. Mit 22 sind Sie beim Grasshopper-Club Zürich angestellt worden – nachdem Sie dem Verein einige Spieler angeboten haben.
IK: Wenn ich gewusst hätte, wie die Mechanismen der Branche funktionieren, hätte ich mich das gar nicht getraut. Zum Glück war ich damals unbedarft, und zum Glück ist Erich Vogel, der Manager, damals sehr neugierig auf mich gewesen. (…)
Tsp: Sie reden viel über das Geschäft. Kommt da bei Ihnen die romantische Sicht auf den Fußball nicht ein bisschen zu kurz?
IK: Romantik ist im Fußball ganz wichtig. Dass ehemalige Spieler wie Oliver Bierhoff, Ulf Kirsten oder hier in Hannover Carsten Linke dem Fußball erhalten bleiben, ist ein ganz wichtiger Teil der Fantasie. Diese Leute haben schon als Spieler Emotionen geschürt, und das können sie auch als Funktionäre. Wenn es nur Leute wie mich im Fußball gäbe, wäre es langweilig.
Ich glaube, daß ich in Deutschland nicht so eine Karriere gemacht hätte wie in Manchester
Bert Trautmann im Interview mit Michael Reinsch (FAZ 6.11.)
FAZ: Als Manchester City Sie entdeckt hatte und 1949 verpflichten wollte, gingen die Fans auf die Straße.
BT: Niemand wußte, ob ich überhaupt erste Mannschaft spielen würde – ich kam aus der achten Spielklasse. Und trotzdem sollen 40 000 auf die Barrikaden gegangen sein: Wenn ihr den Nazi verpflichtet, boykottieren wir den Verein. Der Rabbi von Manchester hat ihnen vorgeworfen: Wie dumm könnt ihr eigentlich sein, einen einzelnen Deutschen verantwortlich zu machen für das, was im Krieg passiert ist! Laßt ihn zeigen, was er kann!
FAZ: Sie waren eine Attraktion. Sind Sie so spektakulär gesprungen, wie es auf den Fotos scheint?
BT: Gar nicht. Bobby Charlton hat einmal erzählt, daß ihr Trainer Jimmy Murphy sie davor gewarnt hat, beim Schuß zu mir aufzublicken, als könnte ich ihre Gedanken lesen. Es war meine Voraussicht, meine Antizipation, die sie fürchteten. Ich war nicht spektakulär. Aber ich trat in die Fußstapfen von Nationaltorhüter Frank Swift.
FAZ: Sie wurden gerühmt für Ihre offensiven Fähigkeiten. Ihre Abwürfe galten als erster Angriffszug.
BT: Ich war ein guter Handball- und Völkerballspieler. Dieses Fangen kannten die Engländer nicht. Und ich konnte wirklich Bälle fangen, auch die aus vier, fünf Meter geschossen wurden. Und ich konnte halbwegs und gezielt werfen. An Paraden kann man einen Torwart nicht messen. Was zählt, ist, was er seiner Hintermannschaft an Arbeit abnimmt, auch an Flanken und indem er den gegnerischen Stürmern zeigt, daß er da ist. Leider gehen in der Bundesliga sogar Kopfbälle aus dem Fünfmeterraum ins Tor. Das sieht man jeden Samstag drei, vier Mal. Wenn in meiner Mannschaft ein hoher Ball in die Mitte kam, haben die Mittelfeldspieler abgedreht. Sie wußten, daß das mein Ball ist.
FAZ: Was haben Sie in England gelernt?
BT: Menschlichkeit, Ehrlichkeit und Toleranz. Ich habe empfunden, daß Sport eine ziemlich ehrliche Sache ist. So soll man durchs Leben gehen – mit Mut und zugleich mit Respekt und Spaß am Mitmenschen. (…) Ich glaube, daß ich in Deutschland nicht so eine Karriere gemacht hätte wie in Manchester. Zwei Jahre lang habe ich nach dem Genickbruch versucht, wieder meine alte Leistung zu bringen. Dann habe ich gesagt: Jetzt mache ich Schluß, ich kann nicht mehr. Der Manager und die Mannschaft haben mich daraufhin gefragt: Weißt du eigentlich, wie viele Punkte du uns alleine schon geholt hast? Das war 1958, ich war 35 Jahre alt. Und dann ging es, durch dieses Zeichen des Vertrauens, wieder bergauf. Ich war hinterher besser als zu der Zeit, als ich Fußballer des Jahres geworden war. In Deutschland hätten sie mich fallengelassen, glaube ich.
Sponsoring und Kartenvergabe sind unterschiedliche Dinge
Wilko Zicht, BAFF-Mitglied, im Gespräch mit Christian Zaschke (SZ 6.11.)
SZ: Franz Beckenbauer hat angekündigt, dass bei der WM 2006 nur etwa 20 Prozent der Karten für Zuschauer aus Deutschland zur Verfügung stehen. Wie wird das an der Fan-Basis aufgenommen?
WZ: Es war klar, dass das Kontingent begrenzt sein würde. Die Frage ist jedoch, ob nicht zu viele Karten an Sponsoren gehen und an all die Verbände. Die große Fifa-Familie will ja versorgt werden.
SZ: Es gibt drei Millionen Karten. Knapp ein Drittel geht an Sponsoren und Verbände.
WZ: Das ist leider nicht nur bei der WM so, wir haben das Problem immer bei großen Spielen. Die Verbände sagen, das gehe nicht anders, weil die Sponsoren die Karten brauchten. In der Praxis sieht das dann so aus, dass Mitarbeiter dieser Firmen stapelweise Karten bekommen und es denen nicht so wichtig ist, das Spiel zu sehen. Diese Karten werden häufig bei eBay verkauft.
SZ: Selbst Mitglieder der Fifa-Exekutive haben schon Karten auf dem Schwarzmarkt verkauft. Haben Sie den Eindruck, dass man etwas ändern könnte, und dass Deutschland beispielhaft eine WM organisiert, die für die Fans gedacht ist?
WZ: Die Frage ist, inwieweit die Fifa das zulässt. Ich nehme es dem deutschen Organisationskomitee ab, dass es da weiter gehen würde, wenn es könnte, aber die Fifa beansprucht einen erheblichen Teil der Tickets. Wir haben das auch in der Champions League erlebt. Da wurden von der Uefa Tausende Karten an die Vereine zurückgeschickt. Das zeigt, wie groß die Diskrepanz zwischen der Nachfrage ist und dem, was die Verbände beanspruchen.
SZ: Welche Änderungen bei der Kartenvergabe würden Sie als Fanvertreter vorschlagen?
WZ: Ich würde, was die Sponsoren angeht, mich auf das Wesentliche beschränken: nämlich darauf, dass das Werbepartner sind und nicht Verteilungsstellen für Freikarten. Sponsoring und Kartenvergabe sind unterschiedliche Dinge. Ein gewisses Kontingent muss da sicherlich zur Verfügung stehen, aber es wird total übertrieben.