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Von dem unerträglich bedächtigen Spielaufbau von einst ist nichts mehr zu sehen

Oliver Fritsch | Dienstag, 9. November 2004 Kommentare deaktiviert für Von dem unerträglich bedächtigen Spielaufbau von einst ist nichts mehr zu sehen

„Von dem unerträglich bedächtigen Schalker Spielaufbau von einst ist nichts mehr zu sehen“ (FR) – „noch fehlt den Schwaben das schnelle, präzise Kombinationsspiel“ (FAZ) – „mit einem Rücktritt könnte Juri Schlünz seinem geliebten Klub den grössten Dienst erweisen“ (NZZ) / Hansa Rostock, „gefangen in Lethargie und Solidarität“ (Tsp)

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Hamburger SV-Schalke 04 1:2

Von dem unerträglich bedächtigen Spielaufbau von einst ist nichts mehr zu sehen

Andreas Morbach (FR 9.11.) befasst sich mit den Ursachen des Schalker Erfolgs: “Es wird immer deutlicher, dass der auf Schalke gescheiterte Startrainer Heynckes nicht alles falsch gemacht hat. Vielleicht sprach er ein bisschen zu viel über Real Madrid und zu wenig über Schalke, nervte die Stars im Team mit seinem Rotationsprinzip vermutlich etwas zu sehr und brachte die schlummernden Offensivkräfte im Kader nicht konsequent genug zum Einsatz. So wie Ralf Rangnick das seit seiner Ankunft bei Blau-Weiß tut. Er hat zum Beispiel den Genussmenschen Gerald Asamoah wieder zu einem normalgewichtigen Profi getrimmt oder Nachwuchsspieler wie Christian Pander konsequent gefördert. Immerhin blitzt nun bei dem einen oder anderen Schalker immer wieder mal der Dank an Jupp Heynckes durch. Dieses Blitzen ist allerdings nichts gegen die Begeisterung über den atemberaubenden Antritt seines Nachfolgers. In sechs Spielen hat Ralf Rangnick Schalke 04 betreut – und sechs Mal gewonnen. Vereinsrekord. Wobei deutlich wird, dass die Spieler vor allem heilfroh über die entschlossen offensive Grundausrichtung unter dem neuen Trainer sind. Denn zwei, drei Jahre lang war S04 in Deutschland zum Synonym für Schlafwagenfußball geworden. Von dem unerträglich bedächtigen Spielaufbau von einst ist nichts mehr zu sehen.“

Ailtons Zähmung

Jörg Marwedel (SZ 9.11.) lässt den erneut ausgewechselten Ailton erklären: „¸Heute ich akzeptier. Letzte zwanzig Minuten sehr gut Spiel von uns. Hanke war für Mannschaft besser, schießt Tor, Mannschaft gewinnt. Schalke 04 ist nicht nur Ailton. Schalke 04 ist Schalke 04.“ Die bemerkenswerte Einsicht darf als ein Beleg gelten für die These des Fußballlehrers Rangnick. „Die Mannschaft“, analysierte er, „ist als Mannschaft wieder ein Stück zusammengewachsen.“ Doch nicht Ailtons Zähmung war Rangnicks wichtigstes Argument, sondern die Reaktion auf den Rückstand – eine unter seiner Regie bislang einmalige Situation. (…) Die Diskrepanz zwischen Schalke und dem HSV trug zudem einen Namen: Lincoln. Einmal erspähte der Brasilianer eine Lücke in der für einen Moment unorganisierten HSV-Defensive und zirkelte den Ball perfekt zum Torschützen Hanke. Kurz darauf fing er vor dem eigenen Strafraum einen naiven Fehlpass von Björn Schlicke ab, lief 60, 70 Meter mit dem Ball und versenkte ihn mit einem präzisen Schuss im Netz. Die hübscheste Laudatio auf den derzeit vielleicht besten Mittelfeldspieler der Bundesliga hielt wiederum Ailton: „Er hat schöne Augen, gut Denke, gut Bewegung, gut Schuss mit rechte Fuß.““

VfB Stuttgart-Hansa Rostock 4:0

Noch fehlt den Schwaben das schnelle, präzise Kombinationsspiel

Michael Ashelm (FAZ 9.11.) befasst sich mit Matthias Sammers Sorgenfalte: „Es gibt wohl keinen Trainer in der Bundesliga, der auch nach deutlichen Siegen so schön jammern kann. Ein Meister dieses Fachs ist Matthias Sammer. Wohl deshalb, weil der Sachse Erwartungen dämpfen will. Nichts scheint ihm unangenehmer zu sein als ungebremster Optimismus. Und so klagte der sportliche Chef des VfB Stuttgart in einer Tour. Man hätte fast denken können, seine Mannschaft wäre gerade als Verlierer vom Platz geschlichen. Tatsächlich war es genau andersherum: Die Schwaben gewannen und hatten nach drei Niederlagen in Folge eigentlich Grund zur Freude. Sammer hatte sie nicht. (…) Sicherlich wäre es übertrieben, das deutliche Ergebnis gegen Rostock überzubewerten. Noch fehlt den Schwaben das schnelle, präzise Kombinationsspiel, das sie zu Beginn der Saison an die Tabellenspitze gebracht hatte. Der Aufbau wirkt manchmal umständlich, zu oft braucht es einen ruhenden Ball, um die Torgefahr der Stürmer auszuspielen. Zudem zeigt sich die Abwehr sporadisch unsicher, aber ähnliche Probleme haben auch andere Spitzenmannschaften der Liga, selbst die Bayern. Ein echtes Pfund haben die Schwaben den Gegnern entgegenzusetzen – nämlich ihre besten Torschützen. Die treffen in schöner Regelmäßigkeit und sorgen für eine gewisse Planungssicherheit.“

Mit einem Rücktritt könnte Schlünz seinem geliebten Klub den grössten Dienst erweisen

Über die Lage in Rostock schreibt Martin Hägele (NZZ 9.11.): „Die Gefahr, dass der einzige Verein des Ostens die Eliteklasse verlässt, ohne dass der Rest der Republik dies merkt, ja selbst ohne dass in Mecklenburg-Vorpommern ein echter Abstiegskampf stattfindet, wie man das aus Städten wie Kaiserslautern, Nürnberg, Bochum oder Bielefeld kennt, ist in der Tat sehr gross. In solchen Situationen wird normalerweise erwartet, dass der Trainer eine Stadt, eine Zeitungslandschaft, einen Klub und vor allem die Professionals mit Parolen mobilisiert oder durch irgendwelche Gesten aufrüttelt. Wenn Schlünz zwischendurch einmal etwas sagt („ich werde weiterhin kämpfen wie ein Löwe“), wirkt das, als sei ihm da ein Satz herausgerutscht, von dem er selber weiss, dass der keine Wirkung zeigt. Die Mannschaft von Hansa erschien auch in Stuttgart wie ein Ensemble, das je länger das Spiel dauert, desto weniger an sich glaubt. (…) Mit einem freiwilligen Rücktritt könnte Schlünz seinem geliebten Klub wohl den grössten Dienst erweisen. In Stuttgart sah das Hansa-Idol schon aus, als ob es nicht mehr viel länger leiden könne.“

Gefangen in Lethargie und Solidarität

Michael Rosentritt (Tsp 9.11.) ergänzt: „Die Krise schweißt die Menschen beim FC Hansa noch enger zusammen. Mittlerweile sind sie so eng aneinander geschweißt, dass ihnen jeglicher Handlungsspielraum abhanden gekommen ist. Sie sind gefangen in einer Lethargie und in ihrer Solidarität zum Publikumsliebling Schlünz. Niemand, weder Vereinsführung, Mannschaft noch die Fans wollen ihren Trainer verlieren. Sie können schon deshalb nicht mehr emotionslos darüber nachdenken, was in dieser Situation für den Verein das Beste ist. Der Einzige, der das vielleicht noch kann ist – Juri Schlünz.“

Es ist eine Frage der Zeit, wann das Prinzip der Genügsamkeit scheitert

„Der Niedergang des FC Hansa hinterlässt wenig Geräusche“, schreibt Ronny Blaschke (FTD 9.11.): „Der FC Hansa hat sich zum wichtigsten Werbeträger Mecklenburg-Vorpommerns entwickelt. 2000 Arbeitsplätze sind in Verein, Gastronomie oder Nahverkehr vom FC Hansa abhängig. Bei einem Abstieg würde sich der 25-Mio.-Euro-Etat des FC Hansa halbieren. Elf Spielerverträge laufen aus, der Hauptsponsor geht am Ende der Saison. Der einzige ostdeutsche Bundesligist könnte für lange Zeit seinen Status verlieren. Und trotzdem reagiert der Vorstand auf Ratschläge von außen mit penetrantem Schweigen. Wimmer, sein Vize Rainer Jarohs und Manager Herbert Maronn kennen sich seit der Sandkastenzeit. Böse reagieren sie auf das Wort Klüngelei. Sie hatten die Stagnation immer als Erfolg postuliert. Die Rostocker sehen nach neun Jahren ihre Berufung noch immer in erstklassigem Abstiegskampf. Es ist eine Frage der Zeit, wann das Prinzip der Genügsamkeit scheitert.“

Zu Tode sparen

Matthias Wolf (FAS 7.11.) kritisiert Hansa Rostocks Einkauf: “Vorstandschef Manfred Wimmer wirkt hilflos: „Ich kann doch nicht achtzehn Mann rauswerfen.“ Im Grunde sind das die ersten Zweifel an der eigenen Personalpolitik, die seit Jahren nur von außen immer wieder hinterfragt wird. Stolz sind sie bei Hansa, daß sie „als kluge und vorsichtige Kaufleute“, so Wimmer, nicht mit den Wölfen heulen: „Wir steuern gegen den Trend in der Liga, das Geld zum Fenster rauszuwerfen.“ Nur 300000 Euro haben sie im Sommer für drei neue Ergänzungsspieler (Lapaczinski, Keller, Rasmussen) ausgegeben, dann noch einmal 200000 Euro für Marcus Allbäck von Aston Villa. Aber erst als die Sturmmisere schon offenkundig wurde. Zuvor blieb sich Hansa im Poker mit Victor Agali treu, bot nur das, was allen vertretbar erschien. Agali schießt nun in Nizza Tore. Irgendwann, so unken Kritiker wie die ehemaligen Funktionäre Gerd Kische und Peter Michael Diestel seit langem, werde sich Hansa zu Tode sparen. Mag das Stadion auch noch so hübsch sein, mögen sich alle freuen, daß der Pool an Sponsoren nun fast 150 Firmen umfaßt und alle Werbebanden vermietet sind: Letztlich zählen im Fußball andere Werte.“

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