WM 2006
Biedere Niedlichkeit macht sich besser bezahlt als extravagante Entwürfe
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| Montag, 15. November 2004„Deutschland streitet nicht mehr um Hartz IV, Deutschland streitet über Goleo VI“ (taz) – ist Leipzig WM-tauglich? (BLZ)
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Biedere Niedlichkeit macht sich besser bezahlt als extravagante Entwürfe
Thomas Klemm (FAS 14.11.) hat sich Deutschlands WM-Maskottchen Goleo VI angeschaut: „Ähnlichkeiten des stilisierten Löwen mit „Alf“, Figuren aus der „Muppet Show“ oder der „Sesamstraße“ sind nicht zufällig – allesamt wurden sie von der amerikanischen Jim Henson Company entwickelt. „Pille“, der Stichwortgeber für die Hauptfigur, wurde von den Kölner GUM Studios kreiert. Modern soll das Maskottchen wirken und auch über eine vom Münchner Medienunternehmen EM-TV produzierte Fernsehserie als „Brücke zum Fan“ dienen, hoffen Fifa und WM-OK. Fachleute wie Kurt Weidemann sind skeptisch. „Zeitgemäß fand ich diesen Firlefanz nie“, sagt der ausgezeichnete Grafikdesigner und frühere Professor. (…) Biedere Niedlichkeit macht sich besser bezahlt als extravagante Entwürfe – dies zeigte sich ex negativo bei der vorigen WM in Japan und Südkorea. Was wurde für ein enormer Aufwand betrieben, um drei computeranimierte Figuren zu entwickeln und ihnen durch eine Abstimmung in asiatischen McDonald’s-Filialen Namen zu geben! Am Ende erblickten drei futuristische Aliens das Licht der virtuellen Welt. Ihre Erfinder nannten sie „Spheriks“, doch leider hatten die Energiewesen „Ato, Nik und Kaz“ herzlich wenig mit Fußball zu tun – und die Fußballfans dieser Welt wollten nichts mit diesen Computerbankerten zu tun haben.“
René Martens (FTD 15.11.) warnt: „All die 1-Euro-Jobber, die nun bis zur WM den Löwen geben müssen, können einem schon jetzt Leid tun, vor allem man bedenkt, was einem Kollegen Goleos, dem Grotifanten aus Krefeld, kürzlich widerfahren ist. Beim Pokalspiel zwischen dem KFC Uerdingen und Fortuna Düsseldorf wurde er vom Torhüter der Gäste zunächst angepöbelt („hässlicher Elefantenkopf“) und dann verkloppt. So wie Goleo aussieht, kann er einen guten Bodyguard gebrauchen.“
Er scheißt klug. Dieser Ball sollte eigentlich Johannes B. Kerner heißen
Robin Alexander & Arno Frank (taz15.11.) schlagen die Hände überm Kopf zusammen: „Der Schock sitzt tief. Deutschland streitet nicht mehr um Hartz IV. Deutschland streitet über Goleo VI. (…) Goleo VI heißt übrigens deshalb Goleo VI, weil angeblich die ersten fünf Entwürfe für ihn in die Mülltonne wanderten. Wie schlecht müssen die Maskottchen gewesen sein? (…) Und das Schlimmste kommt noch: der Ball. Der argentinische Gauchito (1978) stoppte den Ball, der italienische „Ciao“ balancierte das Spielgerät 1990 elegant auf den Schultern, der amerikanische „Striker“ schoss ihn 1994 fröhlich nach vorn und der französische „Footix“ (1998) streichelte ihn gar zärtlich. Alles schöne Dinge, die man mit einem prallen Ball machen kann. Goleo dagegen kann – hier trifft er die deutsche Nationalmannschaft – nichts mit dem Ball. Er hält ihn nur in der Hand. Dafür kann der Ball: nämlich sprechen. Er gibt Anekdoten zum Besten, Statistiken und jede Menge Daten. Er weiß alles besser. Er scheißt klug. Dieser Ball sollte eigentlich Johannes B. Kerner heißen.“
Leipzig muss den DFB und die Fifa von seiner Eignung noch überzeugen
Vor dem Spiel gegen Kamerun – Grit Hartmann & Jens Weinreich (BLZ 15.11.) melden Zweifel an der Tauglichkeit Leipzigs als WM-Spielort: „Erstmals wird die 44 000 Zuschauer fassende Schüssel, gebaut für die WM 2006, ausverkauft sein, was ein gewisses Risiko birgt. Denn die zahlreichen Baustellen rund ums Stadion machen schon den täglichen Berufsverkehr zur Geduldsprobe. Die Stadt warnt deshalb vor „Stauerscheinungen“. (…) Das Länderspiel wird mehr als ein Testlauf fürs Verkehrsmanagement: Leipzig muss den DFB und die Fifa von seiner Eignung für den Confederations Cup 2005 und die WM 2006 erst noch überzeugen. Das Stadion ist von WM-Tauglichkeit noch so weit entfernt wie der Viertligist FC Sachsen vom Aufstieg in die Bundesliga. Im Innern versprüht das Hauptgebäude den maroden Charme der DDR. Kaum etwas ist zu sehen von all dem, was die Fifa so verlangt: Räume für Funktionäre, Sicherheitspersonal, Mediziner oder Medien – vor allem aber die infrastrukturelle Anbindung der Arena macht Sorgen. Mönchengladbach und Düsseldorf würden auch gern WM-Spiele ausrichten und verfügen über fertige Stadien – „Plan B“ heißt das im Sprachgebrauch des WM-OK, aber nur unter der Hand. Die Lobbyisten aus dem Rheinland werkeln fleißig. Und in Frankfurt am Main ist man nicht sonderlich amüsiert über das, was sich hinter der renovierten Leipziger Fassade abspielt, ringt aber um diplomatische Formulierungen.“