indirekter freistoss

Presseschau für den kritischen Fußballfreund

Ball und Buchstabe

Polemisch, extravagant, provozierend, sozial engagiert, feinfühlig

Oliver Fritsch | Dienstag, 16. November 2004 Kommentare deaktiviert für Polemisch, extravagant, provozierend, sozial engagiert, feinfühlig

Gewalt und Fußball: „Der gesellschaftliche Umbruch hat offenbar einen Teil der polnischen Bevölkerung entwurzelt“ (FAZ) – eine Klage gegen die Begleichung von Ordnungsstrafen (SZ) – José Luis Chilavert, „polemisch, extravagant, provozierend, sozial engagiert, feinfühlig“ (NZZ), hört auf

…………..

Der gesellschaftliche Umbruch hat offenbar einen Teil der Bevölkerung entwurzelt

Die Stadt Cottbus erwartet heute im U21-Spiel schwere Gegner: polnische Fans. Michael Reinsch (FAZ 16.11.) berichtet: „Innenminister Jörg Schönbohm hat die Verlegung der Partie nach Mainz, wie sie der DFB aus Sicherheitsgründen veranlaßt hatte, rückgängig gemacht. Es gebe kein Sicherheitsproblem in Cottbus. Man kann den erwarteten fünftausend Zuschauern nur wünschen, daß die Polizei gut informiert ist über die Pläne von polnischen Gewalttätern. Denn diese scheinen aus einem anderen Holz geschnitzt als ihre deutschen Pendants. Er sei 1996 in Zabrze dabeigewesen, schreibt ein Deutscher in einem Internet-Forum für Hooligans. Hinterher hätten Polen mit Ketten auf sie gewartet. „Wenn ich höre“, schreibt ein anderer, „daß da selbst Motorsägen und Beile mit im Spiel sind, dann vergeht mir echt der Spaß an dem Sport.“ Mit Sport meint er nicht Fußball, sondern die Schlägereien. Polen sei berühmt für seine exzellenten Fußballanhänger, prahlt ein Pole im Internet. Der gesellschaftliche Umbruch hat offenbar einen Teil der Bevölkerung entwurzelt – und junge Männer gewaltbereit gemacht. Fast ein Drittel der Fünfzehn- bis Neunzehnjährigen gaben sich bei einer Umfrage davon überzeugt, daß die Welt voller Angst und Haß sei. Auch Polizisten sind verunsichert und schwanken zwischen Laxheit und Überreaktion. Entsprechend heftig war die öffentliche Diskussion, als ausgerechnet das vom Sozialismus befreite Polen strenge Gesetze zur Sicherheit von Sportveranstaltungen erließ. (…) Die Gewalt ist weitgehend aus den Stadien verbannt. Damit ist sie noch lange nicht verschwunden.“

Klarer Straftatbestand

Ordnungsstrafen – Johannes Nitschmann (SZ/Panorama 15.11.) berichtet von einer Klage gegen die gängige Praxis: „Fritz von Beesten ist ein erfahrener Marathonläufer. Der 63-jährige Jurist aus dem rheinischen Ratingen hat Durchhaltevermögen. Wenige Wochen nach seiner Pensionierung als Vorsitzender Richter einer Schwurgerichtskammer am Düsseldorfer Landgericht ist von Beesten zu einem juristischen Langstreckenlauf gestartet. Er will dagegen angehen, dass Fußballvereine individuelle Ordnungsstrafen für ihre Kicker und Trainer bei den Verbandsgerichten bezahlen. Er sagt: „Warum sollen alle Vereinsmitglieder dafür aufkommen, wenn ein Spieler auf dem Fußballplatz schlägt, tritt oder spuckt?“ Der asketische Jurist wehrt sich gegen eine Praxis, die bei den Fußballclubs von der Bundesliga bis zur vierten Kreisklasse seit Jahren gang und gäbe ist: Für den ehemaligen Richter ist dies ein klarer Straftatbestand. Wenn der Verein für seinen Spieler eine individuelle Ordnungsstrafe begleiche, dann begehe er eine Untreue, urteilt von Beesten. Falls der Fußballer es unterlasse, diesen „geldwerten Vorteil“ in seiner Steuererklärung anzugeben, mache er sich zusätzlich einer Steuerhinterziehung schuldig. Im Amateurbereich verhängen die Fußballgerichte bei Tätlichkeiten von Spielern oder unsportlichem Verhalten von Trainern im Einzelfall Ordnungsstrafen zwischen 50 und 500 Euro. Im Profibereich können die Geldstrafen durchaus Größenordnungen von bis zu 20 000 Euro erreichen.“

Polemisch, extravagant, provozierend, sozial engagiert, feinfühlig

Die NZZ (16.11.) verabschiedet José Luis Chilavert: „Chilavert spielte oft „alleine“ gegen die andere Equipe. Er bediente sich verbal der psychologischen Kriegsführung – und bezog im Gegenzug dafür oft Prügel. An der letzten WM-Ausscheidung in Peru wurde er von den einheimischen Fans bereits am Flughafen mit Eiern beworfen. Nichts verdeutlicht sein Charisma besser als das Spiel gegen den späteren Weltmeister Frankreich an der WM 1998. Nur ein paar Minuten fehlten in der Verlängerung, und Chilavert hätte auch Frankreich geschlagen, weiss der Volksmund in Asunción noch heute zu berichten. Das Bild des seine Mitspieler tröstenden Captains ist noch allgegenwärtig. Polemisch, extravagant, provozierend sahen ihn die einen, enorm sozial engagiert, feinfühlig und als positiven Leader die andern. 62 Tore am Karriereende reichen selten, um in die Fussballgeschichte einzugehen. Bei einem Torhüter ist dies anders, bei Chilavert sicherlich. Anmerkung: Am Sonntag fand das Abschiedsspiel dieses etwas anderen Goalies statt.“

Kommentare

Comments are closed.

  • Quellen

  • Blogroll

  • Kategorien

  • Ballschrank

114 queries. 1,055 seconds.