Deutsche Elf
Wir sind für Reformen – es darf sich nur nichts ändern
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| Mittwoch, 17. November 2004Jürgen Klinsmann wäscht vielen den Pelz – Oskar Beck (FTD 17.11.): “Klinsmann tut nur, was er geschworen hat: „Der Laden muss auseinandergenommen werden.“ Prima, haben alle gejubelt, endlich lüftet mal einer durch und bricht die Strukturen auf. Doch plötzlich erschrecken dieselben Jubler und formulieren den deutschen Lieblingssatz: Wir sind für Reformen – es darf sich nur nichts ändern. Klinsmann denkt, auch wenn es einigen wehtut, amerikanischer. Die Bilanz ist alles. Das Ziel. Dafür managt er den Umbruch ohne faule Kompromisse und opfert bei der Personalumstrukturierung die alten Zöpfe für seine engsten Vertrauten. Ich halte den Kopf hin, sagt Klinsmann, also entscheide ich auch. Und trifft sich, mit wem er will. Letztens saß er im Kanzleramt. Außer ihm und Gerhard Schröder war noch eine Reihe von Vorstandschefs aus Dax-Unternehmen dabei. Es ging um die WM. Und um Deutschland. Klinsmann hat den Wirtschaftskapitänen das Portemonnaie geöffnet. Sind halt auch nur Fußballfans. „Er macht alles richtig“, hat Karl-Heinz Rummenigge gelobt – bis Klinsmann Oliver Kahn nicht nur als Kapitän, sondern auch als unangefochtene Eins im Tor abgesetzt hat. Prompt hatte Rummenigge aus Sorge um Kahns Nervenkostüm nicht mehr das große, deutsche Ganze im Auge, sondern dachte etwas kleiner und bayerischer: „So geht es nicht.““
Weltoffenes Image
Jürgen Klinsmann erstellt ein neues Leitbild für Nationalspieler – Ludger Schulze (SZ 17.11.): „Die Tage in Leipzig sind für die Nationalspieler alles andere als ein Allerlei, sondern voll gepackt mit ungewohnten Eindrücken. Neben dem gewohnten Training und der üblichen Vorbereitung auf das Länderspiel haben sich die Kicker auf ungewohntes Terrain begeben. Auf Initiative von Jürgen Klinsmann und Oliver Bierhoff mussten/durften sich die Kicker mitten im normalen Leben bewegen, der Besuch einer Kinderkrebsklinik, ein Treffen mit Schulkindern sowie eine Medienschulung unter Leitung des Premiere-Spitzenmannes Marcel Reif stand auf der Agenda. Der Trainerstab stattete der Nikolai-Kirche, von der die Montagsdemonstrationen der Vorwendezeit ausgingen, einen intensiven Besuch ab. Unter Klinsmann ist die Nationalmannschaft dabei, sich ein neues, weltoffenes Image zu erarbeiten, das die Millionäre in kurzen Hosen als Mitbürger mit sozialer Verantwortung ausweisen und den Ruf als abzockender Nutznießer einer übertourigen Unterhaltungsindustrie zum überkommenen Klischee degradieren soll.“
Jürgen Klinsmann „hat die Nationalelf derart reformiert, dass jedes Testspiel zum Ernstfall wird“, lobt Christof Kneer (BLZ 17.11.): “Man hatte sich ein wenig gefürchtet vor dieser wettkampflosen Zeit. Man fürchtete luschige Länderspiele und mittelmäßig motivierte Helden, und wahrscheinlich ist dies die bislang größte Leistung, die sich der neue Bundestrainer anrechnen darf. Er hat sich und sein Team mit radikalem Reformertum so unter Druck gesetzt, dass ihm jeder Misserfolg sofort auf die Füße fiele. So sehr ist noch kein Bundestrainer von Ergebnissen und sportlichem Vortrag abhängig gewesen, und auch Klinsmanns Glaubwürdigkeit in der Mannschaft hängt mehr als bei allen Vorgängern davon ab, ob seine Methoden Wirkung zeigen.“