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Vier Jahre Weltstadt, nun ein Jahr Westerlo – eine Art Fußball-Wehrdienst
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| Donnerstag, 18. November 2004Christian Eichler (FAZ 18.11.) hat Sebastian Kneißl nicht vergessen: „Vier Jungen zogen einst nach England, um groß zu werden. Drei trugen am Mittwoch das neue rote Trikot der deutschen Nationalelf. Der vierte trug Trauer. Kneißl saß in einem belgischen Kaff namens Westerlo in einem Appartement, das ihm seine Eltern aus Fürth im Odenwald möbliert haben. Im Fernseher sah er die Nationalspieler Huth, Volz und Hitzlsperger. Er wäre gern wie sie nach Leipzig gefahren, wenigstens als Fan. „Doch ich hätte es nicht mehr rechtzeitig zurück geschafft“: zum Frühtraining beim KVC Westerlo. Trainer Jan Ceulemans ist da unerbittlich. Die deutsche Leihkraft, die ihr Geld vom reichen FC Chelsea bekommt, mag mehr verdienen als die belgischen Profis; Privilegien gibt es nicht. Kneißl galt als Riesentalent, als ihn Chelsea aus der Jugend von Eintracht Frankfurt holte. Im Training schoß er gleich ein Tor gegen Weltmeister Desailly. Der Franzose nahm den Sechzehnjährigen in seinem Ferrari mit. Andere Stars wie Zola, Deschamps, Trainer Vialli behandelten ihn wie einen von ihnen. Es sah aus wie die Tür zur großen weiten Fußballwelt. Doch der Sprung in einen Kader mit Klassestürmern wie Crespo oder Mutu, Drogba oder Robben blieb Utopie. Chelsea verlieh das Talent weiter. Ein halbes Jahr in die schottische Liga, an deren grob-physischer Spielweise er litt; zu Beginn dieser Saison, gemeinsam mit drei Südafrikanern, nach Westerlo. Die Tür zur großen Fußballwelt, sie war wieder zu. Kneißl schwindet die Hoffnung, daß sie wieder aufgeht (…) Vier Jahre Weltstadt, nun ein Jahr Westerlo – eine Art Fußball-Wehrdienst.“
The coming of the Fourth Reich
Raphael Honigstein (SZ 18.11.) bestaunt Marco Reichs Comeback bei Derby County: „Als das Fax aus England kam, machte seine Berater den Videotext an, fand aber Derby County partout nicht in der Tabelle der Premier League. Stattdessen ziemlich am Ende der Zweiten Liga, und obendrein wollten the rams (die Widder) Reich erst in einem Probetraining sehen. Der Mann, der mal eine große Hoffnung des deutschen Fußballs war, wurde im Pride-Park-Stadion im Januar als „German International“ vorgestellt. Richtig – beim 3:3 gegen Kolumbien im Februar 1999, in den USA, durfte er unter Erich Ribbeck ran. Nach seinem Debüt gegen Gillingham bekam der Pfälzer „elf von zehn Punkten“ vom Stadionreporter, der sich über „the coming of the Fourth Reich“ freute. Das war nett gemeint. Dann zirkelte der 26-Jährige beim letzten Match der Saison einen Freistoß in den Winkel; das 2:0 gegen Millwall sicherte den Klassenerhalt. Und aus dem Abstiegskandidaten wurde dank Reichs überragenden Leistungen ein Spitzenteam von Liga zwei. (…) Daheim hatte er zuletzt den ruinösen Ruf des schnöselhaften Schönwetterspielers, allein seine Körperhaltung brachte die Ränge in Rage. In Köln, wo Reich als teuerster Einkauf der Vereinsgeschichte enttäuschte, sei er als Mensch und Spieler fast zerbrochen: „Wenn ich morgens die Zeitung aufgeschlagen habe, und mein Name stand nicht in großen Buchstaben drin, war ich schon zufrieden.“ Die Erinnerung lässt ihn erschaudern.“