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Bundesliga

Neudi und Eitelkeit, ehrlich, aber nicht klug

Oliver Fritsch | Montag, 29. November 2004 Kommentare deaktiviert für Neudi und Eitelkeit, ehrlich, aber nicht klug

Die Spiele des 15. Bundesliga-Spieltags: „Die Show in München dauerte bis zur letzten Minute“ (SZ) – „Neid und Eitelkeit in Wolfsburg“ (SZ) – Bert van Marwijks harter Rüffel für seine Spieler, „ehrlich, aber nicht besonders klug“ (FAZ) – „Der Unterschied zwischen Freiburg und Kaiserslautern könnte größer nicht sein“ (FAZ) – „Simulierter Trainerwechsel“ (taz) in Bochum – Rostock, die „Tasmanier der Neuzeit“ (SZ)

………….

Bayern München-FSV Mainz 4:2

Die Show dauerte bis zur letzten Minute

Philipp Selldorf (SZ 29.11.) applaudiert: „Münchner Hochgeschwindigkeitsbetrieb herrscht auf dem ganzen Platz: Hinten, wo Lúcio aufräumt wie Bud Spencer; im Zentrum, wo Ballack die Bälle verteilt und den Aufbau des Gegners blockiert; auf den Flügeln, im Angriff, wo Pizarro und Makaay kreiseln. Das Besondere daran: Die Show dauerte bis zur letzten Minute, wie schon gegen Tel Aviv. Wie die Münchner ihr forderndes und offensives Spiel in der zweiten Hälfte fortsetzten, anstatt wie üblich die Führung zu verwalten, das hatte etwas Mitreißendes.“

Höchsten Unterhaltungswert

Elisabeth Schlammerl (FAZ 29.11.) auch: „Daß die Partie höchsten Unterhaltungswert hatte, lag nicht nur an den stürmischen Bayern, sondern auch an Mainz, das auch in München zumindest phasenweise seinen offensiven Stil pflegte, dadurch dem Gegner einerseits viel Raum zur Entfaltung ließ, andererseits am Ende zu zwei Treffern kam. Die Bayern haben ihr Manko der ersten drei Monate, die wenigsten Chancen der gesamten Bundesliga herauszuspielen, auch ohne das Mainzer Entgegenkommen längst behoben.“

VfL Wolfsburg-Hertha BSC Berlin 2:3

Geschichte

Michael Reinsch (FAZ 29.11.) vermutet, dass die Wolfsburger nicht mehr nach oben finden: „Die Zeit, als der VfL die Tabelle anführte, ist erst seit zwei Wochen beendet, aber scheint doch schon Geschichte zu sein. Wie leicht eine Mannschaft aus dem Gleichgewicht geraten kann, haben die Wolfsburger bewiesen, obwohl sie couragiert aufspielten.“

Echte Perspektive nach unten

Peter Unfried (taz 29.11.) vermutet, dass die Wolfsburger nach unten fallen: „Der VfL Wolfsburg hat zwar seit gestern mit Thomas Strunz einen neuen für Fußball verantwortlichen Geschäftsführer; aber auch zum ersten Mal seit September den Champions-League-Platz verloren. Und dafür eine echte Perspektive nach unten. Vordergründig ist die überwunden geglaubte Fehleranfälligkeit der Defensive Grund für die zweite Heimniederlage. Dahinter steht die fehlende Tiefe des Kaders. Und der starke Verdacht, dass im Gegensatz zur Hertha in Erik Gerets’ Team die Balance zwischen dem angestrebten Kollektivfußball und der Nutzung des dortigen exzeptionellen Starfußballers Andres d’Alessandro nicht stimmt.“

Neid und Eitelkeit

Javier Cáceres (SZ 29.11.) wundert sich über die Aussagen des zutiefst beleidigten Thomas Brdaric: „Die Gefahr ist, dass sich die Spirale viel weiter nach unten dreht, als es mancher nach dem besten Saisonstart der Vereinsgeschichte vermutet hatte. Immer deutlicher tritt zutage, dass die atmosphärischen Reibungsverluste durch Neid und Eitelkeiten im Team enorm sind. Thomas Brdaric empfand seine anfängliche Rolle als Reservist als „einen Tiefschlag“ – also als eine unzulässige und unfaire Handlung, die ihn deshalb überrascht habe, weil er geglaubt hatte, dass „alles gestimmt hat, mit mir, meiner Person und dem VfL Wolfsburg“, und er und/oder seine Person „das ganze Jahr auf so einem hohen Level gespielt und alles mitgemacht habe, Europameisterschaft und Asienreise“ (obwohl die ja erst noch stattfindet). Jammern wollte er natürlich nicht, er müsse sich aber schon überlegen, wie er sich in Zukunft verhalte. „Sicherlich weiß ich, dass man auch in gewisser Weise über Leichen gehen muss“, sagte Bradric. Näher erläuterte er dies nicht, allerdings erneuerte er seine Spitze gegen Spielmacher Andrés D’Alessandro: „Ich glaube nicht, dass ich ihn kritisiert habe, ich habe nur gesagt: Er hat jetzt zwei Wochen nicht gespielt und kann jetzt nicht kommen und sagen: ,So, ich bin jetzt da und alle anderen müssen gucken was los ist“.“ Bei den Argentiniern kam das nicht so gut an.“

Werder Bremen-Borussia Dortmund 2:0

Ehrlich, aber nicht besonders klug

Frank Heike (FAZ 29.11.) befasst sich kritisch mit den Aussagen der Trainer: „Bert van Marwijk sagte in ungewöhnlicher Offenheit: „Wenn man nur fünf Spieler hat, die den Erfolg wollen, kann man nicht gewinnen.“ Er legte die Namen der Besseren unter den Schlechten sogar vor: Weidenfeller, Wörns, Brzenska, Jensen und Kehl konnten den holländischen Trainer überzeugen (zumindest bei Kehl hatte er diese Meinung wohl exklusiv). Der Rest: durchgefallen. Die öffentliche Kritik an den tief gefallenen Champions von einst ist zwar ehrlich, aber nicht besonders klug, verursachen solche Schuldzuweisungen doch eher weitere Spaltungen eines Teams, in dem Mannschaftsgeist ohnehin nur mit der Lupe zu erkennen ist. (…) Seit einigen Wochen redet Schaaf die Leistung seiner Mannschaft aber schön. Das gefällt nicht jedem in Bremen. Von der ersten Minute an habe ihn sein Team überzeugt, sagte der Meistertrainer und übersah vermutlich mit Absicht Werders müde Anfangsphase voller Krampf und Ungenauigkeit.“

Auch Jan Christian Müller (FR 29.11.) beäugt den Rüffel seitens van Marwijk skeptisch: “Der Grad der Verzweiflung muss schon weit fortgeschritten sein, bevor ein Fußballlehrer zu derartigen Mitteln greift. Und es darf bezweifelt werden, ob es sinnvoll ist, eine Mannschaft derart offensichtlich in Gut und Böse aufzuteilen.“

Borussia Mönchengladbach-Hamburger SV 1:3

Ein Herz und eine Seele

Der Hamburger Trainerwechsel scheint nachhaltig zu wirken – Jörg Stratmann (FAZ 29.11.): „Wird die Branche der Fußballehrer überschätzt? Nicht wenige Eingeweihte glauben, daß gerade die erfolgreichsten Kräfte der Bundesliga nur eines sind: Animateure, die sich eine Zeitlang darauf verstehen, die hochbezahlten Kicker bei Laune zu halten. Für den Rest gibt es Fachleute unter den Assistenten. Das klingt ungerecht. Denn natürlich gehört wohl auch beim Chef die Fähigkeit dazu, ein Spiel zu lesen und die nötigen taktischen Voraussetzungen zu kennen und zu vermitteln. Aber wie anders als mit dem neuen Gute-Laune-Trainerkumpel Thomas Doll wäre zu erklären, daß dieselben Profis, die den Hamburger SV zu Saisonbeginn ans Tabellenende taumeln ließen, nun plötzlich so frisch, geordnet und als ein Herz und eine Seele auf Rang acht stürmten?“

1. FC Kaiserslautern-SC Freiburg 2:0

Der Unterschied zum 1. FC Kaiserslautern könnte größer nicht sein

Peter Heß (FAZ 29.11.) definiert den Gegensatz zweier Vereine und deren Strategie, Abstieg zu verhindern: “Der SC Freiburg steigt ab, und keinen regt es auf. 15 Jahre gelebte Vernunft durch Trainer Volker Finke, 15 Jahre unaufgeregtes Arrangieren mit der Realität haben ihre Wirkung im Breisgau hinterlassen. „Wir müssen unser Konzept erst in Frage stellen, wenn wir in der zweiten Liga auf Platz vier stehen.“ Diese Philosophie von Finke und Freiburg, im Kampf gegen die wirtschaftlich Übermächtigen die sportliche Niederlage und sogar den Abstieg zu akzeptieren, führt zu einer Ruhe im und um den Verein, die Borussia Dortmund und den 1. FC Kaiserslautern neidisch werden lassen. Andererseits erschwert es solch eine Atmosphäre den Profis, ihre Leistungsgrenzen zu überschreiten. Das 0:3 war eine typische Freiburger Vorstellung in dieser Saison: ehrlich bemüht, gepflegt kombiniert, aber in den entscheidenden Momenten nicht entschlossen genug gewehrt und gehandelt. Der Unterschied zum 1. FC Kaiserslautern könnte größer nicht sein – wo doch in der Pfalz die ganze Region trauerte, wenn die Fußballprofis nicht mehr erstklassig wären. Wo die Trainer nach wenigen Niederlagen verhöhnt werden und vom Rauswurf bedroht sind. Wo sich die Spieler nicht mehr auf die Straße trauen könnten, wenn sie tatsächlich abstiegen. Und mit einer entsprechenden Verbissenheit rackern denn auch die Rote Teufel genannten Pfälzer Buben.“

Der alte Sforza lebt noch

Martin Hägele (SZ 29.11.) staunt darüber, dass Carsten Jancker auch im FCK-Trikot Milde erfahre und dass Ciriaco Sforza noch immer ein wichtiger Spieler sei: „Die Entstehungsgeschichten einiger FCK-Tore, vor allem wenn Jancker daran beteiligt war, haben zuletzt immer mehr Gegner und neutrale Besucher an der Kompetenz der Bundesliga-Richter zweifeln lassen. Auf solchen Geschichten basierte einst der Mythos vom Betzenberg, als die Elf noch um Meisterschaften und Pokale spielte. Mittlerweile kämpft sie gegen den Rauswurf aus der Eliteklasse; es helfen nicht mehr nur die magischen Kräfte der Arena. Es braucht Personen, die Feuer schlagen und die Bewegung entfachen können. Sforza ist so ein Führer. Mit ihm nahm das Spiel der Lauterer sofort jene Form an, die sie hier lieben. Der Schweizer war noch keine zehn Minuten auf dem Platz, da beförderte er bei einem Bodycheck mit 20 Metern Anlauf seinen Landsmann Bruno Berner fast bis in die Vip-Zone. Ein Signal, das sagen sollte: Der alte Sforza lebt noch.“

VfL Bochum-1. FC Nürnberg 3:1

Simulierter Trainerwechsel

„Gegen Nürnberg bot Peter Neururer eine Mannschaft auf, die auch ein Nachfolger aufgestellt hätte. Der simulierte Trainerwechsel beim VfL war billiger und erfolgreich – er könnte Schule machen“, vermutet Christoph Schurian (taz 29.11.): „Wie ein Diskursanalytiker hatte Neururer zu Beginn der Trainingswoche seine Spieler befragt: Was ein Trainerwechsel bringe? Die Profis antworteten wie bestellt: Ersatzspieler würden sich reinhängen, auch Stammspieler müssten sich erneut beweisen. Neururer klatschte in die Hände und rief „Klasse, so machen wir es!“ – mit einem Unterschied: Der Trainer bleibt.“

Gruppenphasenteilnehmer der Herzen

Auf kanzlerfussball.de lesen wir: „Tanzen wollte der Neururer noch nicht, wofür wir sehr dankbar sind. Aber der Gruppenphasenteilnehmer der Herzen zeigt zum ersten Mal in dieser Saison eine gute Leistung. Weiter so, VfL!“

Hansa Rostock-Bayer Leverkusen 0:2

Tasmanier der Neuzeit

Ronny Blaschke (SZ 29.11.) erstarrt: „Peinlich, blamabel, Gott sei mit ihnen: so ähnlich werden Rezessionen dieser Art kommentiert, schlimme Sonderfälle bedürfen eines schlimmes Vokabulars. Und so wurde Hansa mit einem historischen Schimpfwort bestraft: Die Rostocker sind die Tasmanier der Neuzeit, sie stellten den Rekord der Berliner von acht Niederlagen hintereinander aus der Saison 1965/66 ein. Man hatte diese Statistik am Boden der Bundesliga-Märchentruhe für sicher befunden; dass sie von dort hervorgekramt wurde, will in Rostock niemand glauben. Jörg Berger sagte: „Nach dem Unentschieden in Berlin verstehe ich die Welt nicht mehr. Das war eine tote Mannschaft, nach dem Motto: Angst frisst Seele.“ Er war fassungslos. Das Ostseestadion ist zu einem Museum der Ängste verkümmert. Das las man in jedem Gesicht, das hörte man an jeder Stimme.“

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