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Strafstoss

Strafstoß #19 – Reine Nervensache 5 – Kopfrechnen

Oliver Fritsch | Montag, 29. November 2004 Kommentare deaktiviert für Strafstoß #19 – Reine Nervensache 5 – Kopfrechnen

von Herrn Mertens (der sich vom letzten Link distanziert) und Herrn Bieber

Mathias Mertens: Wenn Sie für Ihren Job eine Rückennummer wählen könnten, welche wäre das?

Christoph Bieber: – ? – Ich verstehe nicht recht, worauf Sie hinaus wollen, Herr Mertens.

MM: Nun, es geht um die doch immer erfolgende Rückbeziehung des Sports auf das Leben. Und wenn Erving Goffmann auch meinte, wir spielten im Leben alle Theater, so könnte man doch auch behaupten, wir spielten alle Fußball. Mit der Metaphorik hätte es Goffmann bestimmt in die SPIEGEL-Bestsellerliste geschafft und nicht bloß in den Psychologie-Kanon. Also: was spielen Sie im Leben? Einen antiquarischen Mittelläufer? Einen goldenzeitigen Libero? Einen modernsten Kettenaußen? Oder, nachdem die feste Zuordnung der Nummern ja schon lange aufgehoben ist und jemand wie Ronaldo d. Ä. mit der 10 spielen darf, würden Sie eher nach ästhetischen Gesichtspunkten auswählen, die 33 etwa wegen der Form oder die 23 aus verschwörungstheoretischen Gründen?

CB: Ah, nun kann ich Ihnen folgen! Spontan fiele mir selbstverständlich die 42 ein, doch die müsste ich gleich wieder verwerfen – denn „Die Antwort auf die große Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“ geben oder gar sein zu wollen, ist nun doch recht anmaßend. Verdient hätte sie auf dem Fußballfeld vielleicht Pélé, aber mit seinem Werbeauftritt für eine gewisse Männermedizin bin ich mir da nicht mehr so sicher.

MM: Zu Unrecht, denn von einem bestimmten (zugegeben zynischen) Standpunkt aus kann man sagen, daß Pélé damit die einzig richtige Antwort auf die große Frage gegeben hat. Antwort Nummer 1 gewissermaßen.

CB: Herr Mertens, ich muss doch bitten. Wenn Sie so weitermachen, knüpfen ja nahtlos an ihren frauenfeindlichen Fußballweisheiten an!

MM: Nun lassen Sie mich doch mal ausreden! Ein biologischer Organismus will den Fortbestand der eigenen Art sichern. Dazu sichert er dann die eigene Existenz und verschafft sich Nahrung und Sicherheit. Alles andere folgt erst nach diesen Bedürfnissen: Auto, Boot, Plasmafernseher, neuer Bundestrainer. Während Pélé also weise von den ersten und letzten Dingen spricht, beschäftigen sich deutsche Fußballer nur mit diesem Sekundären, Tertiären und Multiplären. Vor allem Beckenbauer, bei dem man ja gar nicht mehr weiß, mit welchem Handy er denn nun eigentlich telefoniert, welches Bier er mit welcher Bank finanziert und durch wen er unter Strom steht. Der müßte ja eigentlich seine Kontonummer hinten auf dem Trikot haben.

CB: Na, so ein breites Kreuz hat selbst der Kaiser nicht. Oder aus wie vielen Ziffern besteht ein Nummernkonto? Doch wir schweifen ab, eigentlich sollte ich mich doch zu meiner „gefühlten Rückennummer“ bekennen. Aber bevor ich mich zahlentechnisch outen kann, ist noch etwas Kopfrechnen angesagt: Wieso denn eigentlich Rückennummer? Neuere Tendenzen der Trikotgestaltung verlagern die Spieler-Nummerierung auch auf den Brustkorb und dort wandern sie langsam aber sicher von der Herzgegend in Richtung Körpermitte. Größer werden die Ziffern dabei auch noch, was soll uns das sagen, Herr Mertens – zunächst über das Spiel, dann über das Leben?

MM: Interessante Frage. Warum die Nummer auf dem Rücken? Die Ritter hatten doch früher ihr Kreuz oder was immer sie trugen auch auf der Brust. Wahrscheinlich, weil man als Betrachter des Geschehens in den allermeisten Fällen einen Blickwinkel auf den davonlaufenden Spieler hat, ihn aus der Ferne also nur aufgrund seiner Hinteransicht identfizieren kann. Der Ritter dagegen mußte beim Zuschlagen von Angesicht zu Angesicht wissen, mit wem er es im Getümmel zu tun hat, deshalb vorne. Und um jetzt beide jonglierte Gedanken zusammenzubringen: Vielleicht sind Fußballspieler heutzutage immer mehr Ritter, die sich im Aufmerksamkeitsschlachtgetümmel außerhalb des Platzes behaupten müssen. Und da man Beckham, Ballack, Zidane und die anderen nicht von hinten ablichtet, man aber gleichzeitig auch noch das Zeichen für ihr Fußballerdasein benötigt, muß es eben auch vorne drauf sein, um gemeinsam mit dem Gesicht als ein Authentifizierungsensemble zu fungieren.

CB: Nette Idee, allerdings ist das primäre Erscheinungsbild des Spielers außerhalb des Platzes mitnichten eines in Arbeitsmontur. Man muss ja fast schon froh sein, wenn die Spieler überhaupt etwas anziehen… Ich denke aber auch, dass die Nummernwanderung etwas mit der gestiegenen medialen Abbildbarkeit zu tun hat – das gilt auch für das Spielfeld. Durch die vielen Kameraperspektiven und Darstellungsgeschwindigkeiten wird der Spieler auf dem Platz totalobserviert, weshalb die Nummer auf der Brust immer sichtbarer wird. Es gibt aber noch einen ganz profanen Grund: indem die Trikot-Hersteller einen funktionalen Raum definieren, versperren sie sportartfremden Sponsoren äußerst wirksam die breite Brust ihrer Werbeträger. Aber auch ihre Ritter-Analogie könnte sich in naher Zukunft überraschend bewahrheiten: zwar wird es nicht die „Helmkamera“(!) sein, aber irgendeine Art von „playercam“ wird es geben. Aber sorry – meine „Realwelt-Rückennummer“ würde ich schon aus dem Reservoir der Kreativzahlen beziehen wollen: also vielleicht eine „Sieben“, eine „Neun“ oder doch eine „Dreizehn“…?

MM: Aha! Sie sind ein Kabbalist! Die mystische, heilige, göttliche Sieben, Zahl der Vollendung, die Verbindung des Geistigen (3) und der Materie (4). Die Neun als die höchste Schwingung, die es geben kann, Zeichen für Vollkommenheit und göttliches Bewußtsein. Und die Dreizehn als Störung des göttlichen Gleichgewichts (12). Da sehe ich doch einen von seiner Sache überzeugten Revolutionär
in Ihnen schlummern.

CB: Nun, dass die Kabbala gerade schwer angesagt ist, ist ja nichts so neues – und über Rückennumern diskutiert man unter Fußballfreunden wohl auch eher häufig. Ich habe es mit der Nummernlogik eher bodenständig gehalten und mich doch nur an die ursprüngliche Verteilung der Zahlen nach taktischen Maßgaben gehalten…

MM: Papperlapapp! Jede Verschwörung wird durch ihr Dementi nur noch wahrscheinlicher. Als Stürmer im Strafraum sind sie doch im Zentrum des Geschehens. Schwingend mit der Neun in der Mitte wie der Elber, störend mit der Dreizehn ins Gewicht fallend wie der Morlock und der Müller oder überlegend und technisch überlegen mit der Sieben von der Seite einfallend wie der Beckham – es geht doch immer um den Fall, wenn auch erst einmal nur des Tores. Und bevor hier mein Interview zu Fall gebracht wird, mache ich mich zur Eins und schlage weit ab.

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