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Presseschau für den kritischen Fußballfreund

WM 2006

Jürgen Klinsmann, der heimliche Regierungschef des FC Deutschland

Oliver Fritsch | Donnerstag, 9. Dezember 2004 Kommentare deaktiviert für Jürgen Klinsmann, der heimliche Regierungschef des FC Deutschland

Tina Hildebrandt & Moritz Müller-Wirth (Zeit 9.12.) erläutern politisches Programm und Erfolgsrezept Jürgen Klinsmanns: „Er begeistert, er hat es geschafft, dass seine Leute wieder an sich glauben. Er gilt als Deutschlands mutigster Reformer. Der Mann ist nicht Bundeskanzler, sondern Bundestrainer. Er heißt Jürgen Klinsmann, und er wird langsam so etwas wie der heimliche Regierungschef des FC Deutschland. Von so viel Zuspruch und Reformbegeisterung kann Gerhard Schröder nur träumen. Seine Agenda 2010 hat er in einem Kraftakt durchgesetzt. Aber was die Regierung bis 2006 noch vorhat, kann derzeit niemand so recht sagen. Kein Wunder, dass sich der Bundeskanzler gerne ein wenig im Glanz des Bundestrainers sonnen würde. Immerhin haben beide ein gemeinsames Ziel: Sie wollen 2006 gewinnen. Klinsmann die Weltmeisterschaft, Schröder die Wahl. Die Regierung arbeitet daran, dass es so aussieht, als ob das irgendwie dasselbe ist. (…) Wird nun also der Reformfußballer den Reformkanzler retten, als eine Art geheimes Kabinettsmitglied? Der „coolste Deutsche seit Marlene Dietrich“ (The Observer) spricht lieber über Fußball, zum Beispiel über die Asienreise. Vor der Bundestagswahl 2002 sprach sich Klinsmann für eine „zweite Halbzeit“ Schröders aus, der Kanzler wiederum ist Schirmherr bei seiner Stiftung Jugendfußball. (…) Und Angela Merkel? Von der ist bekannt, dass sie als Kind keinen Berg runterlaufen konnte. Außerdem ist die CDU-Chefin natürlich, wie ihre Leute versichern, leidenschaftliche Fußballanhängerin, und auf dem Parteitag hat sie gesagt, dass Deutschland Weltmeister werden könne und das Land Menschen wie Klinsmann brauche. Aber als Lieblingsvereine gibt sie Hansa Rostock und Bayern München an. Angela Merkel eben: Den Osten hat sie, der verliert aber gerade, den Westen hätte sie gerne, der passt aber besser zu anderen.“

Robert Ide (Tsp 9.12.) fügt hinzu: „Klinsmann und Schröder haben 2006 viel gemeinsam. Die WM bietet ihnen die Möglichkeit, viel zu gewinnen. Kein Wunder, dass sich beide von Kritik kaum irritieren lassen wollen.“

Deutsch feiern heißt eben feiern nach Vorschrift

Thomas Kistner (SZ 9.12.) befasst sich mit der Diskussion um Großleinwände: „Nur die WM-Städte sollen, von der Fifa bezuschusst, public viewing als offizielles Ereignis anbieten. Wer sonstwo in der Republik Leinwände aufbaut, ohne Bezüge zur WM herzustellen, ohne deren Logos und Titel zu nutzen, der soll seine Sponsoren frei wählen dürfen. Und muss nicht auf öffentliche Gelder zurückgreifen. Wird lustig zu sehen sein, wie überall Zehntausende WM gucken, ohne dass dort das schlimme WM-Wort fällt, ein einziges T-Shirt verkauft werden darf. Nicht mal auf den Ankündigungen sind Begriffe wie WM-Party erlaubt. Hieße im Fall unseres Wunschfinales: Sonntag, Marktplatz: Übertragung des Länderspiels gegen Brasilien. Deutsch feiern heißt eben feiern nach Vorschrift.“

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