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Ball und Buchstabe

Letztes Weltpokalfinale

Oliver Fritsch | Samstag, 11. Dezember 2004 Kommentare deaktiviert für Letztes Weltpokalfinale

Das Weltpokalfinale findet heute zum letzten Mal statt – für Ludger Schulze (SZ 11.12.) kein Grund zur Nostalgie: „Der friedliche Wettstreit zwischen den stärksten Teams auf dem Globus, den sich die Väter wohl erhofft hatten, ist die Partie nur in Ausnahmefällen gewesen. Viel öfter geriet sie zu einem Hauen und Stechen, Kneifen und Spucken der seltsamsten Art. Man erinnert sich noch an den feinen Fußballkünstler George Best von Manchester United, der vor nicht ganz 40 Jahren das halbe Spiel reglos an der rechten Außenlinie verharrte und dem Treiben aus guter Distanz zuschaute, eine reine Vorsichtsmaßnahme, „denn sie haben nach allem getreten, was sich bewegte“. Sie – das waren die argentinischen Spieler von Estudiantes de la Plata, die auch in den Folgejahren hyperenergisch auf sich aufmerksam machten. Einer von ihnen hieß Carlos Bilardo, der viele Jahre später als Trainer Argentinien zum Weltmeister 1986 machte. Damals war Bilardo Verteidiger und im Nebenberuf Medizinstudent. An der Uni lernte er, kranke Menschen gesund zu machen. Auf dem Fußballplatz praktizierte er das Gegenteil und versuchte mit allem Körpereinsatz, gesunde Menschen ins Krankenhaus zu bringen. Als sein kurzsichtiger holländischer Gegenspieler Joop van Daele 1970 das 1:0-Siegtor für Feyenoord Rotterdam geschossen hatte, riss ihm Bilardo die Sportbrille vom Kopf, warf sie zu Boden und trampelte auf ihr herum, bis nur noch Glassplitter übrig waren.“

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„Eine kritische Hommage an den brasilianischen Fußball“, liest Thomas Klemm (FAZ 10.12.): „Seit Brasilien als junge Republik 1894 dank des englischen Einwanderers Charles Miller den Fußball als Kunst des Lebens entdeckte, bildet der heiß- und innig geliebte Kick zusammen mit Religion und Karneval die Trinität der Massenkultur. Wobei Bellos meint, daß Fußball dort keine Religion sei, sondern „eine Ausdrucksform brasilianischer Religiosität“. An Belegen für die These fehlt es nicht. In jedem Fußballklub ist der Masseur zugleich kundig in Schwarzer Magie, um bei den Göttern um sportlichen Erfolg zu buhlen. Im Sinne der afrobrasilianischen Religion Candomblé werden Tiere geopfert oder Fußballplätze umgegraben und nach toten Fröschen (die als Überbringer von Verwünschungen gelten) abgesucht. Solche für aufgeklärte Europäer wundersamen Geschichten bietet Bellos zuhauf in seinem detailreichen Panoptikum.“

Alex Bellos: Futebol. Fußball – Die brasilianische Kunst des Lebens. Edition Tiamat 2004. 400 Seiten, 18 Euro.

Ein weiterer Buchtipp von Bernd Steinle (FAZ 10.12.): „Zehn Reportagen hat der amerikanische Journalist und Anhänger des FC Barcelona auf seiner acht Monate langen Reise durch die Stadien dreier Kontinente zusammengetragen. Es ist ein Trip durch die widersprüchliche Welt des Fußballs: mal brutal, mal sentimental, mal liebenswürdig, mal irrwitzig, mal unwiderstehlich und mal zum Verzweifeln. Foer erzählt, wie die Fans von Roter Stern Belgrad zu willigen Vollstreckern der serbischen Machthaber wurden; wie der Nigerianer Edward Anyamkyegh in der ukrainischen Liga die Freude am Fußball verlor; warum die brasilianische Liga seit Jahren am Abgrund entlangtaumelt; und wie der Fußball in Iran zum Hoffnungsträger für eine Demokratisierung des Landes wurde. Es sind fesselnde Geschichten, gründlich recherchiert, elegant geschrieben.“

Franklin Foer: How Soccer Explains the World. An Unlikely Theory of Globalization. HarperCollins, New York 2004. 272 Seiten, 24,95 Dollar.

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