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Interview

Ich habe fast jeden Tag an der Uni genossen, sogar das Geräteturnen

Oliver Fritsch | Freitag, 24. Dezember 2004 Kommentare deaktiviert für Ich habe fast jeden Tag an der Uni genossen, sogar das Geräteturnen

Höchst lesenswert! Ralf Rangnick mit Wolfgang Hettfleisch & Jan Christian Müller (FR 24.12.)
FR: Wie geht es Ihrer Viktoria Backnang, die Sie vor 20 Jahren als Spielertrainer nach vorne gebracht haben?
RR: Schlecht. Allen Clubs hier geht es schlecht. Backnang hat sich ins Niemandsland des Fußballs verabschiedet. Die Viktoria ist leider wieder da angelangt, wo ich sie damals übernommen habe: Sie dümpelt in der Bezirksliga herum.
FR: Sie haben die Mannschaft in zwei Jahren zweimal zum Aufstieg geführt…
RR:… dabei hat es keinen Pfennig Geld für die Spieler gegeben. Ich war damals 26 und kam vom Zweitligaaufsteiger SSV Ulm 1846. Ich war dort Stammspieler, stand in 33 von 34 Spielen in der Anfangsformation und in der Aufstiegsrunde in sieben von acht Spielen. Für eine Bezirksligisten wie Backnang war ich also damals fast wie ein Geschenk. Sie haben einen Zweitligaspieler im besten Alter bekommen, der darüber hinaus dabei war, seinen Fußballlehrer zu machen.
FR: Wir fragen jetzt nicht nach Ihrem aktuellen Gehalt. Sagen Sie uns ja sowieso nicht. Aber Sie dürfen uns ruhig verraten, wie viel es damals war?
RR: Genau tausend Mark. Der Präsident lag damals mit einem Leistenbruch im Krankenhaus. Ich habe ihn dort besucht. Wir sind unten im Garten herumgelaufen und haben uns schnell geeinigt.
FR: Warum haben Sie den Job in Backnang überhaupt gemacht?
RR: Weil ich nichts anderes hatte. Das glaubte zwar keiner, aber es war so. Die Ulmer …
FR:… wo Sie im defensiven Mittelfeld gespielt haben …
RR:… ich musste immer den gegnerischen Spielmacher ausschalten. Jedenfalls steigen wir auf und ich erhalte ein Angebot …
FR:… das Sie nicht annehmen konnten?
RR: Ich habe bald gemerkt, dass sie mich eigentlich gar nicht mehr wollten. Das Angebot, 800 Mark Grundgehalt, war hanebüchen. Ich bot sogar an, neben der E-Jugend auch noch die D-Jugend zu trainieren. Das war ihnen hundert Mark mehr wert, aber für mich zu wenig zum Leben. Da habe ich das Handeln selbst übernommen.
FR: Im Studium galten Sie unseren Informationen zufolge als sehr strebsam.
RR: Mir hat es einfach unglaublich viel Spaß gemacht. Ich habe fast jeden Tag an der Uni genossen. Sogar das Geräteturnen…
FR:…macht keinem Fußballspieler Spaß.
RR: Genau. Ich hatte am Anfang Muffe ohne Ende und habe das Geräteturnen lange vor mir hergeschoben. Drei Monate vor der Prüfung habe ich dann jeden Tag vier bis fünf Stunden an den Geräten trainiert und am Ende die Prüfung mit der Note 1,5 bestanden. Das war eines der größten Erfolgserlebnisse, die ich als Sportler hatte. Denn seither weiß ich: Wenn du wirklich willst, kannst du alles lernen. Sogar Salto vorwärts, Salto rückwärts und so weiter.
FR: Sagt Ihnen die Adresse Old Barn Way noch etwas?
RR: So hieß wahrscheinlich das Stadion des FC Southwick.
FR: Stimmt. Sie haben dort in der sechsten oder siebten englischen Liga gespielt.
RR: Ich bin in erster Linie ein Jahr lang in England gewesen, um richtig Englisch zu lernen. Ich wusste: Wenn ich mein Studium schaffen und irgendwann mal 800 Seiten Hard Times von Charles Dickens lesen können will, muss ich über einen längeren Zeitraum in England gelebt haben.
FR: England gilt inzwischen als Schlaraffenland des Fußballs. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
RR: Soll ich Ihnen das wirklich erzählen?
FR: Nur zu.
RR: Also: Mein erstes Spiel – Spielbeginn war 15 Uhr. Als ich um 13.45 Uhr ankam, war noch kein Mensch da. So gegen 14.30 Uhr kamen die ersten Spieler in die Kabine. Ich habe mich dann ganz schnell umgezogen und wollte raus zum Warmmachen. Da kam der Kapitän und fragte: „Hey, wo willst Du hin? Hier führt der Captain die Mannschaft raus.“ Zehn vor drei sind wir dann alle raus. Der Captain vorneweg.
FR: Und Sie haben sich gleich eine Zerrung zugezogen?
RR: Nein, aber im zweiten Spiel, auswärts in Chichester, habe ich mir drei Rippen gebrochen und einen Lungenflügel durchbohrt. Danach lag ich drei Wochen im Krankenhaus. Es war keine Absicht. Ich glaube sogar, der Ball war danach im Tor. Aber ich konnte danach vier Monate keinen Fußball mehr spielen.
FR: Gibt es etwas, das Sie vom englischen Fußball gelernt haben?
RR: Jede Menge. Erst einmal: das Kopfballspiel; dann: von hinten heraus immer langer Ball. Aber vor allem: Es wird unglaublich viel gesprochen auf dem Platz. Es gibt kaum eine Situation, in der man sich untereinander nicht coacht und anfeuert. Man baut sich ständig gegenseitig auf: „Come on, boys!“ und so weiter. Das hat mich total begeistert und geprägt. Noch heute sage ich zu meinen Mannschaften: „Ich will Euch spielen hören, nicht nur spielen sehen.“

of: … und ich war stolz auf meine 4+ in der Turnprüfung …

Ich bin die Nummer eins

Äußert lesenswert! Oliver Kahn mit Michael Horeni (FAZ 24.12.)
FAZ: Welches Buch lesen Sie gerade?
OK: Helmut Schmidt, Mächte der Zukunft.
FAZ: Mögen Sie keine Biographien mehr, das war doch immer Ihre bevorzugte Gattung?
Doch, danach will ich das Buch von Robbie Williams lesen, das ist zwar auch keine richtige Biographie, aber es ist sicher interessant, was er alles erlebt hat.
FAZ: Welche Biographie hat Sie am stärksten beeindruckt?
OK: Die meisten Biographien waren von Sportlern – zum Beispiel „Tiger“ Woods, „Air“ Jordan, Boris Becker und andere. Mich hat keine spezielle Biographie besonders fasziniert, sondern ich habe aus den jeweiligen Lebensbeschreibungen die für mich interessanten Phasen auf mich wirken lassen. (…)
FAZ: Wenn man nach diesen Erfolgen eine solche Heroisierung erfährt, dann besteht doch die Gefahr, zu glauben, alles, was man macht, sei richtig.
OK: Wenn einen die Medien so übermenschlich darstellen, als fehlerloses Wesen, dann besteht die Gefahr, genau dieses Bild zu leben. Genau das habe ich getan. Heute weiß ich: Ich will kein Titan mehr sein, sondern ein menschliches Wesen mit Stärken und Schwächen. Bevor man an diesen Punkt kommt, ist es teilweise schwer einzusehen, daß man etwas ändern soll. Auch wenn man es gesagt bekommt. Wenn doch alles, was man bis dahin gemacht hat, so erfolgreich war.
FAZ: Wäre ein Trainer wie Jürgen Klinsmann, der sich mit Psychologie beschäftigt, für Sie nicht schon vor einigen Jahren eine Hilfe gewesen?
OK: Ein Trainer, der wie Jürgen Klinsmann psychologisch sehr geschult ist, ist auf alle Fälle hilfreich. Aber wenn man selber noch nicht zu dieser Erkenntnis gekommen ist, dann kann auch so ein Trainer nur schwer helfen. (…)
FAZ: Es könnte ja sein, daß 2006 ein anderer deutscher Torwart besser ist als Sie. Würden Sie Ihre Karriere auch als Nummer zwei beenden?
OK: Für mich ist es psychologisch enorm wichtig, mich damit nicht auseinanderzusetzen. Das darf ich nicht. Denn sonst setzt man solche Prozesse im Kopf in Gang. Ich betrachte die Situation im übrigen so: Ich bin die Nummer eins. Das hat auch Jürgen Klinsmann immer gesagt. Ich habe jetzt fast 80 Länderspiele gemacht und glaube nicht, daß ich mir in der Nationalmannschaft viel habe zuschulden kommen lassen. Bei der EM habe ich solide gespielt. Ich habe bei allen WM- und EM-Qualifikationen meinen Mann gestanden, bei den Turnieren dem Druck immer standgehalten und meine Leistung gebracht. Aber natürlich muß ich, da ich beim FC Bayern kein gutes Jahr hatte, meine Position verteidigen gegen meinen Herausforderer. Dem stelle ich mich, damit habe ich überhaupt keine Probleme.
FAZ: Und wer ist der beste Torhüter der Welt? – Immer noch Oliver Kahn?
OK: Momentan halte ich den Italiener Buffon für den besten Torhüter der Welt. Wenn Sie mir diese Frage in einem Jahr noch einmal stellen, dann gebe ich Ihnen vielleicht eine andere Antwort.
FAZ: Und wenn auch in Deutschland 2006 einer besser sein sollte als Sie?
OK: Ich möchte spielen, weil ich der beste Torwart bin. Und wenn ich es nicht schaffen sollte, dann gehe ich zu meinem Konkurrenten, gebe ihm die Hand und wünsche ihm viel Glück.

of: Diskutieren Sie über Oliver Kahn in der Südkurve!

Extreme Auswüchse

Sehr lesenswert! Urs Meier mit René Hofmann (SZ 24.12.) über die englische Kampagne gegen ihn
SZ: Wie war das, als Sie am Abend das Stadion verließen?
UM: Nach dem Spiel kam Sven-Goran Eriksson zu mir und sagte: Danke für die Leistung, aber das Tor hätte zählen müssen. Kaum hatte er die Schiedsrichterkabine verlassen, riefen Freunde an und gratulierten mir: „Wir haben alles im TV gesehen, die Entscheidung war absolut korrekt, weil der Torhüter behindert wurde.“ Die Engländer im Stadion haben das ja auch akzeptiert. In der Nacht gab es eine riesige Party – mit Portugiesen und Engländern. Erst mit den Zeitungen kam am nächsten Morgen alles ins Rollen.
SZ: Was geschah?
Meier: Telefonterror. Die Fax- und E-Mail-Flut in meinem Geschäft für Haushaltswaren in Würenlos haben wir relativ schnell gestoppt. Mit den Anrufen war das nicht so einfach. Das Spiel war am Donnerstag, am Montag gingen immer noch mehr als 5000 Schmäh-Anrufe ein. Nach Hinweisen der Polizei hat die Gemeinde eine Woche lang zwei bewaffnete Sicherheitsleute vor dem Geschäft positioniert. Als ich am Dienstag nach Hause kam, wurde ich von der Polizei abgeholt. Ich bin dann direkt untergetaucht. Zunächst im Schweizer Jura, dann in Lenzerheide.
SZ: Reporter der Sun rollten eine gewaltige Union Flag vor ihrem Haus aus.
UM: Ursprünglich wollten sie die Flagge aufs Dach legen. Jemand hat mir erzählt, dass die Briten im Zweiten Weltkrieg so ihre Bombenziele markierten. Das waren extreme Auswüchse. Ein Abgeordneter regte an, man solle den Kanton Aargau bombardieren. Unglaublich.
SZ: Gab es direkte Morddrohungen?
UM: Zuhauf.
SZ: Gab es auch Aktionen, über die Sie schmunzeln konnten?
UM: Den Gratis-Sehtest für alle Schweizer und den Boykott-Aufruf gegen Schweizer Käse, Schokolade und Kuckucksuhren – die kommen gar nicht von uns, sondern aus Deutschland.
SZ: Endete der Spuk mit der EM?
UM: Mehr oder weniger. Gelegentlich hört immer mal wieder einer meinen Namen und denkt, dem habe ich auch schon lange nicht mehr geschrieben. Und eine Strafanzeige läuft noch, gegen einen Hacker, der meine Homepage umgeschrieben hat. Dort stand plötzlich, dass ich mich beim englischen Volk entschuldige. Ich hätte von hohen Funktionären der Uefa Geld erhalten, um Portugal weiterkommen zu lassen.

of: … dabei war doch nicht das aberkannte Tor der Engländer eine Fehlentscheidung, sondern der verweigerte Elfmeter gegen Wayne Rooney, bei dem er sich schwer verletzte…

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