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Ball und Buchstabe

Wie ein austauschbarer letzter Verteidiger

Oliver Fritsch | Donnerstag, 13. Januar 2005 Kommentare deaktiviert für Wie ein austauschbarer letzter Verteidiger

„Nie waren sie so laut, die deutschen Torhüter“, klagt Christian Eichler (FAZ 12.1.): „Hätte der Teamchef seine Torwartkandidaten in den RTL-Dschungel geschickt statt in den Medien-Urwald, das Resultat könnte auch nicht schriller, lauter, nervender sein. Die Gefahr dabei ist, daß die Reputation einer Institution, einer großen solitären Fußballfigur, beim Plappern und Posieren Schaden zu nehmen droht. Torhüter, einst bewundert wie Torjäger, werden heute oft schon unterschätzt wie Verteidiger. (…) So wirkt mancher Torwart, einst unverrückbare Autorität der letzten Sicherheit, heute wie ein Getriebener. Wie ein austauschbarer letzter Verteidiger, dem keiner den Rücken freihält. Und viele im Nacken sitzen.“

Ludger Schulze (SZ 13.1.) warnt: „Der Verdacht keimt, dass das berechtigte Vorhaben von Jürgen Klinsmann, auch im Tor einen Konkurrenzkampf zu eröffnen, mittelfristig weitere Irritationen und Schaden verursachen könnte. Dann schlägt die Hurrastimmung schnell in Eisklima um.“

Lästiger Unruhestifter

Raphael Honigstein (FR 12.1.) vermutet, dass Jens Lehmann bei Arsène Wenger keine Chance mehr erhalten wird: „Ins Englische übersetzt klingen Lehmanns zum Großteil nicht unsachliche, aber sehr direkte Sätze noch um einiges härter. „Man hatte das Gefühl, dass er gar nicht merkt, was er da sagt“, erzählt ein englischer Kollege, dem vor Aufregung beim Mitschreiben des Interviews fast der Stift zerbrochen wäre. Lehmann hätte nach 18 Monaten auf der Insel eigentlich wissen müssen, dass Spieler, die über die Medien kontroverse Themen ansprechen, als lästiger Unruhestifter, schlimmstenfalls gar als Verräter gelten. Wenger, Alleinherrscher bei Arsenal, wird „die unglaubliche Attacke“ (Daily Mail) auf seine Autorität kaum verzeihen.“

Auf Spiegel Online lesen wir: „Dass Torhüter eine außergewöhnliche Spezies sind, ist eine alte Fußball-Weisheit, die die deutschen Schlussleute dieser Tage beeindruckend bestätigen. Seit Wochen dominieren die Torleute die Schlagzeilen – weil sie ausrasten, über den Durst trinken oder nur noch auf der Reservebank hocken.“

Par ordre du mufti

Uli Hoeneß fordert Gebührenerhöhung für den deutschen Profifußball – Michael Hanfeld (FAZ/Medien 11.1.) liest ihm die Leviten: „Hat er das Grundgesetz des modernen Fußballs vergessen, dem zufolge in diesem vollständig kommerzialisierten Sport allein Angebot und Nachfrage die Preise bestimmen? Und daß diesem zufolge allein die ARD der Liga 65 Millionen Euro zahlt – mehr, als private Sender bereit waren auszugeben? Und daß Premiere noch einmal 180 Millionen Euro pro Jahr dazulegt? Ganz zu schweigen von der WM 2006, für welche ARD und ZDF 230 Millionen Euro und Premiere wiederum rund 40 Millionen Euro hingeblättert haben. Wenn Uli Hoeneß statt rund 300 Millionen Euro pro Jahr, welche die Liga angeblich zur Zeit vom Fernsehen bekommt, 500 Millionen Euro erlösen will, wie er sagte, dann sollte er sich einfach jemanden suchen, der diesen Preis bezahlen will. Und nicht par ordre du mufti die Gebührenzahler belasten und eine Extrasteuer fordern. Mit welcher Rechtsgrundlage eigentlich?“

Die neunziger Jahre, in denen für Fußball utopische Summen gezahlt wurden, sind vorüber

Björn Wirth (BLZ 12.1.) verweist auf den Markt: „Abgesehen davon, dass sich Hoeneß ziemlich unverschämt beim Zuschauer bedienen will, der die Gebühr ja bezahlen muss, abgesehen davon auch, dass es bereits um die 88 Cent Gebührenerhöhung ab 1. April einen Riesenwirbel gab, abgesehen davon ist es bemerkenswert, was von der Rundfunkgebühr alles bezahlt werden soll. Orchester, Filmförderung, zuletzt Harald Schmidt und jetzt auch noch die Fußballmillionäre. Würde dagegen ein wenig Realitätssinn in der Bundesliga walten, wüsste auch Uli Hoeneß, dass bei den Fernsehsendern nicht mehr viel zu holen ist. Die neunziger Jahre, in denen für Fußball utopische Summen gezahlt wurden, sind vorüber. Heute müssen ARD und ZDF und erst recht die Privatsender auf jeden Cent schauen. Viele Zuschauer übrigens auch.“

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SZ: „Mit einer Kampfansage im CSU-Stil stimmt Uli Hoeneß seinen Klub auf das Duell mit dem FC Schalke ein.“

Parodistische Mimikry

Seite 1 – Ajax Amsterdam will seine Identität ändern; Christoph Biermann (SZ 12.1.) beschreibt das paradoxe Vorhaben und den Hintergrund: „Damit Juden wieder ins Stadion kommen können, will Ajax Amsterdam sein Image als „Judenklub“ ablegen. (…) In den sechziger Jahren begannen Fans anderer Vereine Ajax gelegentlich als „Judenklub“ zu beschimpfen, notorisch wurde das jedoch erst im Laufe der achtziger Jahre mit dem Aufstieg des Hooliganismus. In einem Akt parodistischer Mimikry, die an die Adaption des einst beleidigend gemeinten Begriffs „schwul“ durch Homosexuelle erinnert, wendeten die Fans von Ajax solche Beschimpfungen in eine angenommene jüdische Identität. Seitdem feiern sie sich als Juden, ohne welche zu sein. Einen ähnlichen Fall gibt es in London, wo sich die Anhänger von Tottenham Hotspur selbst „Yids“ (Juden) nennen und etwa über Jürgen Klinsmann während seiner erfolgreichen Zeit beim Klub sangen: „Jürgen war ein Deutscher, aber jetzt ist er ein Jude.“ In Amsterdam schwenken selbst junge Muslime, etwa gebürtige Marokkaner, in der Fankurve von Ajax israelische Fahnen.“

Image aus Trotz

Stefan Hermanns (Tsp 13.1.) ergänzt: „Das Image vom Judenklub hat sich längst verselbständigt und von den historischen Fakten gelöst: Es ist zur Marotte geworden. Ende der siebziger Jahre wurde Jude zu einer Art Kampfname der Ajax-Anhänger. Entstanden ist er aus Trotz, weil die Ajax-Spieler zuvor als Juden beschimpft worden waren. Inzwischen ruft das offensive Bekenntnis zum Judentum bei gegnerischen Fans immer heftigere antisemitische Reaktionen hervor. (…) Verbale und körperliche Gewalt stellen im holländischen Fußball ein viel größeres Problem dar als etwa in Deutschland, und die Fans von Ajax sind dabei keineswegs nur das Opfer. Ihr angebliches Judentum jedenfalls hindert sie nicht daran, bei Spielen gegen Feyenoord die Zerstörung Rotterdams durch die deutsche Luftwaffe im Mai 1940 zu feiern.“

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